Steigende Gesundheitskosten schlagen sich nicht nur in höheren Krankenkassenprämien oder Staatsausgaben nieder. Haushalte geben auch immer mehr durch Selbstzahlungen aus. Dazu gehören Franchisen (je nach Versicherungsmodell zwischen 300 und 2500 Fr. pro Jahr), Selbstbehalte (10% der von der Grundversicherung gedeckten Kosten, jedoch maximal 700 Fr. pro Jahr) sowie «Out of Pocket»-Zahlungen (für nicht von der Grundversicherung erstattete Leistungen). Letztere umfassen u.a. Zahnbehandlungen, aber auch Medikamente oder Zubehör, die in Apotheken rezeptfrei bezogen werden (z.B. Hustensirup, Knieorthesen).

Hinter diesem Co-Finanzierungssystem stehen zwei Gedanken: Erstens soll die Kollektivfinanzierung der Gesundheitsversorgung die Versicherten vor allem vor unvorhergesehenen hohen Ausgaben schützen. Prinzip einer Versicherung ist es, Schicksalsschläge abzufedern, und nicht Trivialitäten zu finanzieren. Die Übernahme letzterer würde nicht nur die Prämien in die Höhe treiben, sondern auch einen grossen Verwaltungsaufwand nach sich ziehen, der die Vorteile einer Kollektivfinanzierung übersteigt. Ausserdem sensibilisieren Franchise und Selbstbehalt die Patienten hinsichtlich der Kosten ihrer Behandlung. Diese Eigenleistung verringert den Anreiz, Gesundheitsleistungen «unnötig» zu beanspruchen, weil sie vermeintlich «kostenlos» wären (bzw. vollumfänglich durch die Allgemeinheit finanziert.

Mehr selbstgetragene Kosten…

Die Selbstzahlungen der Haushalte steigen seit Jahren. Inflationsbereinigt stieg ihr Betrag zwischen 1996 (dem Jahr der Einführung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, OKP) und 2021 von 12,3 Mia. Fr. auf 19,2 Mia. Franken. Das Bevölkerungswachstum in diesem Zeitraum erklärt einen erheblichen Teil des Anstiegs. Gleichzeitig sind aber auch die Pro-Kopf-Ausgaben gestiegen, und zwar von etwa 1700 auf 2200 Fr. pro Jahr im selben Zeitraum (inflationsbereinigt, in Franken von 2021).

In einem Co-Finanzierungssystem ist der Anstieg der Selbstzahlungen eng mit dem Anstieg der durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben verbunden. Letztere hängen einerseits mit der Alterung zusammen: Ältere Menschen beanspruchen meist mehr medizinische Leistungen als jüngere. Selbst bei gleichbleibenden Durchschnittskosten pro Altersgruppe (z.B. für Personen ab 80 Jahren) führt ein steigender Seniorenanteil zu einem Anstieg der Gesamtausgaben des Gesundheitssystems und damit auch der durchschnittlichen Pro-Kopf-Kosten. Laut einer aktuellen Studie der ZHAW erklärt die Bevölkerungsalterung jedoch nur einen Fünftel des Anstiegs der Pro-Kopf-Kosten für den Zeitraum 2012 bis 2017.

Eine weitere Erklärung für die höheren Kosten pro Versicherten sind die sich ändernden Lebensgewohnheiten. Diese führen zum vermehrten Auftreten bestimmter Krankheiten und Unfallarten und erklären die steigenden Pro-Kopf-Ausgaben in ähnlichem Umfang (17%) wie der Alterungseffekt. Der Hauptgrund für die steigenden Pro-Kopf-Ausgaben, ca. zwei Drittel der Kostenzunahme, liegt jedoch im Anstieg der Behandlungskosten pro Krankheitsart. Den Autoren der ZAHW-Studie zufolge ist dieser Anstieg wahrscheinlich auf eine Zunahme der Behandlungsintensität zurückzuführen.

Schliesslich ist der Anstieg der Selbstzahlungen auch geänderten Finanzierungsmodellen geschuldet. Erstens wurde die Mindestfranchise schrittweise von 150 Fr. im Jahr 1996 auf 230 Fr. anno 1998 und 300 Fr. im Jahr 2004 angehoben, was zu höheren Selbstbeteiligungen geführt hat. Zweitens entscheiden sich immer mehr Versicherte für eine höhere Franchise. Der Anteil jener, die sich für die maximale Franchise (2500 Fr. /Jahr) entschieden haben, ist von 17% im Jahr 2013 auf 34% im Jahr 2022 gestiegen. Mit der Wahl einer höheren Franchise wird bei Pflegeleistungen ein höherer Selbstbehalt verrechnet. Letzter wiederum ermöglicht eine tiefere Monatsprämie. Diese Prämieneinsparungen werden jedoch nicht in der Berechnung der Selbstzahlungen der Haushalte inkludiert.

Grafik «Allgemeinheit trägt Hauptteil der Gesundheitskosten», Vergleich 1996 zu 2021: Staat und Obligatorische Krankenversicherung tragen nun schon 59% der Gesundheitskosten.

… aber zunehmend vergemeinschaftete Finanzierung

Steigende Selbstzahlungen der Haushalte bedeuten nicht, dass das System weniger solidarisch wird – ganz im Gegenteil. Bei Einführung der obligatorischen Krankenversicherung 1996 wurde weniger als die Hälfte der Gesundheitskosten (45%) durch die OKP und über Steuern finanziert. Im Jahr 2021 hingegen waren es bereits 59% der Ausgaben (vgl. Abbildung). Während immer mehr Kosten gepoolt wurden, sank der Anteil der Selbstzahlungen von 30% auf nur noch 22% der Gesundheitskosten im Jahr 2021.

Die stetige Erweiterung des Leistungskatalogs, der von den Krankenkassen erstattet wird, erklärt den wachsenden Anteil der OKP (von 30% auf 36%, vgl. Abbildung). Ausserdem nehmen auch die ambulant durchgeführten Eingriffe zu. Während stationäre Behandlungen zu mindestens 55% von den Kantonen finanziert werden, gehen die ambulanten Leistungen vollumfänglich zulasten der Krankenkassen. Die Verlagerung zur ambulanten Versorgung führt zu einer Kostenverlagerung in Richtung Krankenkassen. Die im allgemeinen niedrigeren Kosten eines ambulanten Eingriffs im Vergleich zu einer stationären Behandlung entlasten somit die Kantone und verteuern die Krankenkassenprämien.

Trotz dieser Verlagerung steigt der staatliche Anteil (von 15% auf 23%, vgl. Abbildung). Dies ist teilweise auf die Langzeitpflege zurückzuführen. Der Staat (vor allem die Kantone oder manchmal die Gemeinden) übernimmt einen Teil der Kosten für die Heim- und Hauspflege, zwei wachsende Kostenbereiche einer alternden Bevölkerung.

Die Rechnung geht immer zulasten des Bürgers

Die Behauptung, die Selbstzahlungen der Haushalte würden zunehmen, ist somit zu relativieren. Zwar steigen die absoluten Pro-Kopf-Beträge, doch dies ist in einem Co-Finanzierungssystem nicht überraschend: Die Anzahl Behandlungen pro Patient nimmt zu und die Alterung der Bevölkerung bringt einen wachsenden Bedarf an Pflegeleistungen mit sich.

Hingegen schwindet der von den Haushalten selbst getragene Anteil der Pflegekosten. Fehlanreize, die das Co-Finanzierungssystem eigentlich vermindern sollte, werden immer weniger reduziert. Das führt langfristig zu einem Anstieg der Gesundheitsausgaben. Zudem ist die Annahme, dass die Kostenkollektivierung den Geldbeutel der Haushalte entlastet, falsch. Letztlich sind es weder die Krankenkassen noch der Staat, die die Kosten des Gesundheitswesens tragen, sondern immer der einzelne Bürger via Prämien, Steuern oder Selbstzahlungen.