Der «Blick» spricht von «Pendlerstrafe», die «Wochenzeitung» (WoZ) fordert: «Rettet das GA!». Die «Schweizerische Gewerbezeitung» titelt «Für das Gewerbe unhaltbar». Christoph Mörgeli schreibt in der «Weltwoche» von «Wegelagerei», von einer «Refeudalisierung der Mobilität», die «einfach nur unsozial» sei. In diesem Politblog behauptet der Umweltjournalist Marcel Hänggi gar, Mobility-Pricing sei «aus ökologischer Sicht so falsch wie aus sozialer», ja, der «gleiche Zugang zum öffentlichen Raum» sei in Gefahr.

Kurt Schreiber, der Chef der ÖV-Lobby Pro-Bahn stellt fest: «Den Pendlern noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen, geht auf keinen Fall.» Noch härter zur Sache geht es in den Kommentarspalten der Newsportale. Solche Panikmache ist absurd, denn im Kern geht es um zwei banale Dinge: mehr Benutzerfinanzierung und variable Tarife zur besseren Kapazitätsauslastung. Und dafür gibt es gute Gründe:

  • Verkehrssubventionen fördern die Übermobilität: Während in den letzten 20 Jahren die Bevölkerung um 17 Prozent und die Wirtschaft um 44 Prozent wuchs, nahm der Personenverkehr auf der Schiene um 71 Prozent und die Fahrleistung auf den Nationalstrassen gar um 83 Prozent zu.
  • Verkehrsspitzen sind das zentrale Problem: Während der Stosszeiten staut sich der Verkehr, aber ansonsten liegt enorme Kapazität brach. Im Schnitt beträgt die Sitzplatzauslastung der SBB nur 20 Prozent im Regional- und 30 Prozent im Fernverkehr. Die bisherige Lösung sind immer neue Milliardeninvestitionen in Kapazitätsausbauten, die dann zwei bis drei Stunden am Tag genutzt werden.
  • Variable Tarife sind der Schlüssel zur Lösung: Fahrten während der Stosszeiten und auf Engpassstrecken müssen teurer werden, Fahrten in den Talzeiten hingegen billiger. Fixgebühren wie die Vignette oder Motorfahrzeugsteuer gilt es durch variable Gebühren zu ersetzen.
  • Unterm Strich werden die Bürger entlastet: Mobility-Pricing senkt die Gesamtkosten des Verkehrs, da die Übermobilität gedämpft, Kapazitäten besser genutzt und Kapazitätsausbauten vermieden werden. Der Steuerzahler wird entlastet, aber die Nutzer spüren die Kosten der Mobilität.
  • Mobility-Pricing und flexible Arbeitszeiten gehören zusammen: Damit Pendler auf variable Tarife reagieren können, sind auch die Arbeitgeber gefordert, Arbeitszeiten zu flexibilisieren und Homeoffice zu erleichtern – zum Beispiel für zwei Stunden während der morgendlichen Rushhour.
  • Mobility-Pricing hat sich in vielen Ländern bewährt: Mit der Schwerverkehrsabgabe (LSVA) hat die Schweiz bereits seit 2001 ein Mobility-Pricing. Andere Erfolgsbeispiele sind die City-Maut in Stockholm, das E-Ticket in Holland, Road-Pricing in Singapur oder alpenquerende Tunnelgebühren in Österreich.
  • Unfair ist nicht das Mobility-Pricing, sondern bestehende Subventionen: Kosten der eigenen Mobilität werden heute auf die Allgemeinheit abgewälzt. Besserverdienende sind mobiler, pendeln weiter, erhalten häufiger vom Arbeitgeber ein GA und profitieren stärker vom Pendlerabzug.
  • Es geht nicht um eine Bestrafung der Pendler, sondern um den Abbau ihrer Privilegien: Pendler profitieren heute erstens von Verkehrssubventionen (im öffentlichen Verkehr sind das 60 Prozent der Gesamtkosten), zweitens von Vielfahrerrabatten wie dem GA und drittens vom Pendlerabzug bei der Steuer.
  • In anderen Branchen sind variable Tarife an der Tagesordnung: In der Hotellerie und im Flugverkehr sind variable Tarife selbstverständlich, ohne dass hier vom Staat uniforme Preise gefordert werden. Auch die enormen Benzinpreissteigerungen infolge schwankender Ölmärkte provozierten vor einigen Jahren keinen vergleichbaren Sturm der Entrüstung.
  • Die Digitalisierung erleichtert das Mobility-Pricing: Innovationen wie GPS-basierte Smartphones und elektronische Bezahlsysteme werden die Anwendungen für Mobility-Pricing in den nächsten Jahren benutzerfreundlicher, billiger und smarter machen.

Verkehrswachstum nach Kategorien_670px

Richtig ausgestaltet ist Mobility-Pricing ökologisch nachhaltig, ökonomisch effizient und sozial gerecht. Umso erstaunlicher, dass die Idee durch die politischen Lager hinweg derart angefeindet wird. Ohnehin geht es beim jüngsten Vorstoss von Bundesrätin Doris Leuthard erst einmal um regionale Tests zur Erprobung des Mobility-Pricing. Und dies ist wahrlich kein Grund zur Panik.

Dieser Artikel ist in der Ausgabe vom 02. August 2016 in dem Tages-Anzeiger erschienen.