Die Bildungspolitik ist wohl das liberalste Instrument, mit dem der Staat digitale Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt begleiten und abfedern kann. Es ist auch das effizienteste. Wie sollte eine Bildungspolitik für das digitale Zeitalter aussehen? In Zeiten hoher Unsicherheit und potenziell disruptiver Veränderungen ist eine solide, breite Grundbildung gefragt. Damit lassen sich mehr Eventualitäten abdecken und das «Verlustrisiko» minimieren. Zudem ist eine breite Grundbildung eine zentrale Voraussetzung für das lebenslange Lernen: Wer schon viel weiss, hat es leichter, dazuzulernen.

Es geht also darum, die Balance zwischen allgemeinem Humankapital – d.h. unspezifischem Wissen und Fertigkeiten, die unter zahlreichen Szenarien produktiv eingesetzt werden können – und spezifischem Knowhow – Kenntnissen, die in einem bestimmten Beruf oder sogar nur für eine bestimmte Stelle von Nutzen sind – zu justieren. Natürlich wird es für einen konkreten Job in der Zukunft weiterhin spezifische Kenntnisse brauchen, aber diese müssen und können situativ angeeignet werden. Eine breite Grundbildung erleichtert auch dies.

Studierende sollen ein tieferes Verständnis der «Maschinen» entwickeln. (Wikimedia Commons)

Unter diesen Prämissen wäre es nicht zielführend, künftig partout mehr Informatikerinnen und Informatiker an den Schweizer Schulen und Universitäten auszubilden. Es geht vielmehr darum, ein tieferes Verständnis der «Maschinen» (und ihrer Grenzen) zu vermitteln. Auf dieser Grundlage lässt sich am besten mit ihnen zusammenarbeiten.

Die Berufslehre: Ein Erfolgsmodell steht vor Herausforderungen

Avenir Suisse wird in Kürze eine Studie zur Hochschullandschaft Schweiz veröffentlichen. Heute beschränken wir uns deshalb auf jene der dualen Berufsbildung, das Kernelement der nachobligatorischen Bildung in der Schweiz: Fast zwei Drittel der Jugendlichen machen eine Berufslehre.

Zweifellos war und ist die Berufslehre ein erfolgreiches Ausbildungsmodell. Gleichzeitig steht sie angesichts der Digitalisierung vor Umwälzungen, denn ihr Erfolg gründet auf der Bildung von spezifischem Humankapital, und dies gleich dreifach:

  • Durch die relativ eng gefasste Definition der Berufe. Das Angebot umfasst 180 verschiedene eidgenössische Fähigkeitszeugnisse (EFZ) und 57 eidgenössische Berufsatteste.
  • Durch die eher spezifischen Fertigkeiten, die dabei vermittelt werden.
  • Durch die grosse Bedeutung von betriebseigenen Kenntnissen.

De facto ist der Lehrstellenmarkt heute ein vorgezogener Teil des Arbeitsmarktes mit erhöhtem Bildungsanteil; Berufslernende gehen – auch in der Selbstwahrnehmung – eher arbeiten als lernen. Dies hat den eminenten Vorteil, dass Lernende mit einem Bein schon im Arbeitsmarkt stehen. Der hohe Spezialisierungsgrad macht die Berufslehre aus Sicht der Betriebe attraktiv, denn die Ausbildung von Lernenden rentiert für den typischen Lehrbetrieb auch finanziell. Es wird geschätzt, dass Berufslernende in der Schweiz im Durchschnitt über 80% ihrer Lehrzeit mit operativen Aufgaben verbringen. Dabei steigt ihre Arbeitsproduktivität rasch an: Während sie im ersten Jahr nur 37% des Niveaus eines voll ausgebildeten Arbeitenden erreicht, beträgt sie im dritten Lehrjahr bereits 75%. Dies verdeutlicht, wie schnell sich die Lernenden in der Lehre spezifisches Wissen aneignen.

Aber gerade weil ihr Erfolg massgeblich dem hohen Spezialisierungsgrad zu verdanken ist, ist es anspruchsvoll, die Allgemeinbildung im bestehenden Modell zu stärken. Ein höherer schulischer Anteil in der Lehre reduziert nämlich die produktive Zeit im Betrieb und senkt so die Rendite aus Sicht der Lehrbetriebe. Dies würde über kurz oder lang die Ausbildungsbereitschaft in Mitleidenschaft ziehen, vor allem in Lehrberufen, die sich zurzeit speziell auszahlen.

Verlängerung des Entscheidungshorizontes in der Berufsbildung

Heute werden eher Lehrstellen angeboten, die sich kurz- und mittelfristig für die Betriebe lohnen. Weil aber auch die Berufsbildung ein Teil des Bildungssystems ist, sollte der Entscheidungshorizont deutlich verlängert werden. Die Berufslehre sollte noch mehr als langlebige Investition verstanden werden, die vielleicht erst in zehn oder zwanzig Jahren ihre Früchte abwirft. Dass dies nicht reines Wunschdenken bleiben muss, zeigt der deutsche Lehrstellenmarkt. Für deutsche Lehrbetriebe steht die kurzfristige Rendite nachweislich weniger im Vordergrund als für schweizerische. So wird geschätzt, dass die Lehrlinge in der Schweiz nur 13% bis 1 % ihrer Zeit für betriebsfremde Tätigkeiten ausgeben, während in Deutschland dieser Anteil bei 31% bis 57% liegt.

Für grössere Industriebetriebe spielt die Berufslehre die Rolle einer Eintrittspforte in die weitere betriebliche Karriere. Sie ist damit eher Selektionsmechanismus als Renditeträger. Damit nehmen die Firmen aus eigenem Interesse eine längerfristige Sichtweise ein, sowohl bei den angebotenen Berufen als auch bei den Bildungsinhalten. Eine allzu einseitige Renditeoptik kann mit der nötigen Langfristigkeit der Entscheidungsfindung in Zielkonflikt geraten.

In der Schweiz ist in einigen Berufen bereits ein gewisser «Mismatch» zwischen angebotenen und nachgefragten Lehrstellen erkennbar. Typischerweise ist der Angebotsüberhang und der Anteil der unbesetzt gebliebenen Lehrstellen in den technischen Berufen und im verarbeitenden Gewerbe am grössten – also da, wo man den höchsten Spezialisierungsgrad vermutet.

Grundsätzlich gilt: Als zentraler Teil des Bildungssystems sollen die Curricula der Berufslehren möglichst breit und auf die lange Sicht ausgerichtet werden. Der Optimierungshorizont sollte sich auf eine längere Frist beziehen und nicht auf die Dauer der Lehrzeit. Angebote und Inhalte sollten dem «investiven» Gedanken folgen. Diskussionswürdig erscheinen uns folgende Reformoptionen:

  • Die Zusammenführung von Berufsbildern, wo immer möglich, und somit die Schaffung breiterer eidgenössischer Fähigkeitszeugnisse (EFZ). Vorbild dafür ist das EFZ des Polymechanikers.
  • Eine Erhöhung des Anteils der Allgemeinbildung, insbesondere Sprache, Kommunikation, Mathematik und Informatik (nicht zu verwechseln mit dem «allgemein bildenden Unterricht», ABU). Jedes EFZ sollte mindestens eine Fremdsprache enthalten. Heute ist nur bei ca. 40 % der EFZ eine Fremdsprache vorgesehen.
  • Förderung fremdsprachiger oder zweisprachiger Berufslehren (Vorbild Kantone Zug und Zürich). Ausbau der überbetrieblichen Kurse, die dem Erwerb grundlegender beruflicher Fertigkeiten dienen.
  • Informatik als Regelfach in jeder Lehre. Dabei muss die konkrete Ausrichtung der Kurse (Anwendungs- oder eher Programmierungsorientierung, Coding) spezifisch erfolgen.
  • Eine stärkere Förderung der Berufsmaturität: Bis 2035 sollte eine kombinierte Maturitätsquote (berufliche und gymnasiale Maturität) von 45 % erreicht werden (von den heute rund 38 %) sowie
  • eine Erhöhung der Quote der Eintritte von Berufsmaturanden in Fachhochschulen und die Verbesserung der Durchlässigkeit ins universitäre Hochschulsystem.

Unter der Federführung von digitalswitzerland und in Zusammenarbeit mit zahlreichen Partnerorganisationen findet am 21. November 2017 der erste Schweizer Digitaltag statt. Über 40 Unternehmen, Hochschulen und Institutionen aus allen Landesteilen zeigen, was Digitalisierung heute und in Zukunft konkret bedeutet.