Abfall – soweit das Auge reicht. Die Welt scheint regelrecht im Abfall zu versinken. Neue Landmassen entstehen, bestehend aus reinem Plastik. Dieser «Great Pacific Garbage Patch» nimmt mittlerweile das Dreifache der Fläche Frankreichs ein. Verzweifelt versucht man in Europa diesem Katastrophentrend entgegenzuwirken. Die EU verbietet etwa Wattestäbchen, Trinkhalme oder Einweggeschirr aus Plastik – oder auch ablösbare Plastikdeckel von PET-Flaschen. Gewisse Schweizer Städte haben Plastikgeschirr von ihrem Territorium verbannt. Einzig auf die Ausrufung des Notstandes wurde bis anhin verzichtet.

Doch reichen diese Massnahmen tatsächlich? Woher stammt denn der Plastikabfall in den Weltmeeren und Stränden? Wieso verzichten wir nicht einfach ganz auf Plastik? Welche Vorteile bietet Plastik?

Die moderne Kunst am Stoff

Kunststoff ist eine relativ moderne Erscheinung. Erst seit Mitte der 1970er Jahre kann dank neuer Verfahren von einer erheblichen Plastikproduktion gesprochen werden. In der Weltgeschichte wurden schätzungsweise 7,8 Mrd. Tonnen Kunststoff produziert. Dies entspricht mehr als dem Dreifachen der gesamten Biomasse aller Menschen und Tiere zusammen. Die Hälfte allen jemals produzierten Plastiks wurde in den letzten zwei Jahrzehnten hergestellt (vgl. Abb. 1). Plastik existiert in Unmengen. Doch ist das zwingend ein Problem?

Polymorphe Polymere

Die Schwemme von Plastik geht mit allerhand Nachteilen einher. Grosse Plastikteile verstopfen die Mägen unzähliger Lebewesen, Mikroplastik vergiftet und bedroht ganze Ökosysteme. Etliche Umweltorganisationen fordern daher ein generelles Plastikverbot. Weshalb werden solch radikalen Forderungen nicht unverzüglich Folge geleistet? Die Antwort ist relativ simpel: Kunststoff ist unglaublich nützlich. Er ist fast unbegrenzt formbar, bruchfest, leicht und auf Wunsch auch transparent. In seiner häufigsten Verwendungsart, der Verpackung, kann Plastik glänzen, er erfüllt verschiedenste Anforderungen:

  • Lager- und Transportfunktion (insbesondere Stapelbarkeit und Modularität)
  • Schutz u. Haltbarkeit (Stabilität, Sterilität und Hygiene)
  • Dosier- und Entnahmefunktion (z.B. Verzehr über mehrere Entnahmen)
  • Rechtliche Auflagen (z.B. Lebensmittelsicherheit, Abdruck der Informationspflichten)

Diese Vielfältigkeit gereicht wiederum selbst zum Nachteil. So gibt es Hartplastik für Fensterrahmen oder Rohre, Elastomere für Reifen oder Gummi, die press- und dehnbar sein müssen, oder Thermoplaste, die hart und dennoch plastisch sein sollen für unterschiedlichste Verpackungen. Ein einheitliches Recycling dieser unterschiedlichsten Plastikarten ist denkbar ineffizient. Mehrlagige Schichten unterschiedlichster Kunststoffe (sog. Verbundstoffe) eignen sich dann gar nicht zur Rezyklierung. Die Wiederverwertungsquote kann nicht höher als 20% bis 40% geschätzt werden.

Problem bereits gelöst?

Tatsächlich scheint Europa das Plastikproblem in den Weltmeeren vergleichsweise erfolgreich einzudämmen – dies bereits vor den symbolpolitischen Verboten von Kleinstplastikmengen, die 2021 erfolgten. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2019 zeigt den Abfallausstoss in die Weltmeere nach Kontinent (vgl. Abb. 2). Europa erscheint dort als marginale Grösse mit rund einem halben Prozent. Der wesentliche Anteil stammt aus Asien. 81% des Abfalls in den Weltmeeren kommt von dort. Nur schon ein einziger Fluss, der Pasig in den Philippinen, ist alleine für 6,4% des Abfalls verantwortlich, der durch Flüsse in die Weltmeere gelangt. Die zehn grössten «Abfall»-Flüsse verantworten mehr als die gesamten Kontinente Afrika, Nord-Amerika, Europa und Ozeanien zusammen – nämlich 15%.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die neuen europäischen Massnahmen absurd, das Verbot der Plastiktrinkhalme hilft nur noch der Seele und dem Gewissen. Denn hiesige Plastikröhrchen, Plastikdeckel und Plastiksäcke spielen eine klar untergeordnete Rolle im globalen Kunststoffproblem. Sämtliche Flüsse Europas tragen weitaus weniger als 1 Prozent des weltweiten Abfalls in die Meere (vgl. Abb. 2). Anstelle des Kampfes für ein gutes Gewissen bräuchte es eine Diskussion über die Effizienz der Massnahmen und welche Ziele man erreichen möchte. Und dafür braucht es griffige Kriterien, um Massnahmen miteinander zu vergleichen und abzuwägen.

Die Ironie des Kunststoffrezyklierers

Die asiatischen Staaten aus westlicher Seite zum Sündenbock zu erklären ist nur bedingt angebracht. Denn insbesondere Europa exportiert sein Plastikproblem wortwörtlich. Allein 2019 exportierte die EU 1,5 Mio. Tonnen Plastikabfall in Entwicklungsländer. Diese sind mit Recycling und Verwertung dieser Massen sichtlich überfordert. Fehlende Kontrollen und Garantien einer sinnvollen Entsorgung dieser Abfallexporte führen über kurz oder lang dazu, dass diese im Meer landen.

Die gute Intention einer separaten Kunststoffsammlung – statt der thermischen Verwertung in einer der lokalen Kehrichtverbrennungsanlagen – wird dadurch zum Problem. Die Abfallmengen der Schweiz werden oftmals als zu klein bezeichnet, um eine hiesige Sortieranlage ausreichend auszulasten. So wird heutzutage der separat gesammelte Kunststoff etwa nach Deutschland exportiert und dort sortiert. Von dort wiederum wird ein nicht unerheblicher Anteil nach Asien ausgeführt. So geschieht, was der umweltbewusste Schweizer Rezyklierer von vorhinein verhindern wollte: Die hiesige, separate Sammlung von Kunststoff ist der wahrscheinlichste Weg, wie sein Plastik im Meer landet.

Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie in unserer Blogserie «Recycling – Ökologie und Ökonomie in Einklang bringen».