Die Einführung von Negativzinsen und die Aufhebung der temporären Wechselkursuntergrenze von Franken 1.20 je Euro fielen in eine Periode grosser politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit.

Zwar bringt der starke Rückgang der Rohstoffpreise den Unternehmen Kostenentlastungen und den Verbrauchern Kaufkraftgewinne. Zwar findet die amerikanische Wirtschaft auf den Wachstumspfad zurück, und beginnt die amerikanische Zentralbank (Fed) mit dem Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik. Wann und in welchem Ausmass die Fed an der Zinsschraube drehen wird und welches die Auswirkungen einer Straffung der geldpolitischen Zügel auf das internationale Zins- und Wechselkursgefüge sein werden, ist aber ungewiss. In einigen Krisenländern der Europäischen Währungsunion (EWU) zeichnen sich Reformerfolge ab; wie gross der Durchhaltewille ist, muss sich aber erst zeigen. Die wirtschaftliche Lage dieser Länder ist noch nicht gefestigt. Zu sehr hängen sie noch am Tropf der Europäischen Zentralbank (EZB).

Die EZB liess sich von den Regierungen unter immer grösseren Erwartungsdruck setzen und als Erfüllungsgehilfe der Fiskalpolitik instrumentalisieren. Mit ihrer Politik des billigen Geldes schuf sie für die Regierungen Anreize, die Strukturreformen hinauszuschieben und sich weiter zu verschulden. Die Renditedifferenzen zwischen den Staatsanleihen der in ihrer Leistungskraft stark divergierenden Länder haben sich eingeebnet und die Bonitätsunterschiede werden nicht mehr ausreichend wiedergegeben. Auch der kürzliche EZB-Entschluss über umfangreiche Anleihenkäufe (Quantitative Easing) macht deutlich, dass das Ende der expansiven Geldpolitik noch in weiter Ferne liegt.

Der Ausgang der griechischen Parlamentswahlen hat einen zusätzlichen Unruheherd geschaffen. Ein nicht mehr auszuschliessender Austritt Griechenlands aus der Eurozone könnte letztlich ein Befreiungsschlag sein und die EWU stabilisieren. Kurzfristig aber wäre er mit heftigen Marktturbulenzen und der Flucht in als sicher geltende Wertpapiere und Währungen verbunden. Die EWU bleibt ein Krisenherd und der Euro eine labile Währung.

Unabhängigkeit unter erschwerten Bedingungen

Vor diesem Hintergrund hat sich die Aufhebung der Wechselkursuntergrenze geradezu aufgedrängt. Die SNB wollte sich nicht auf Gedeih und Verderb an die stark expansive, auf die Abwertung des Euro zielende Geldpolitik der EZB binden – gerade nicht in einer Zeit des erstarkenden US-Dollars. Nun hat sie der Wirtschaft und den Märkten bewiesen, dass sie grundsätzlich einer eigenständigen Geldpolitik bei freiem Kapitalverkehr gegenüber einer Wechselkursstabilisierung den Vorrang gibt. Vor einer weiteren massiven Aufblähung der Zentralbankbilanz schreckte sie zu recht zurück. Die Risiken in der SNB-Bilanz hätten zugenommen, und mit der Zeit hätte sich auch politischer Druck, der an der Unabhängigkeit der SNB gerüttelt hätte, aufgebaut.

Allerdings darf der Autonomiegewinn der SNB im heutigen Umfeld nicht überschätzt werden. Eine von der EZB unabhängige Zinspolitik zu betreiben wird auch dann schwierig sein, wenn die Fed den Leitzins erhöht und damit den US-Dollar als Anlagewährung attraktiver macht. Solange Aufwertungswellen zu erwarten sind, wird die Geldpolitik des Euroraums den zinspolitischen Handlungsspielraum der SNB limitieren.

Die Herausforderungen für die Schweizer Wirtschaft sind nach der Freigabe des Mindestkurses unbestreitbar gross. Zwar kam die Exportindustrie bisher mit massvollen und nicht erratischen Aufwertungen des Frankens gut zurecht. Sie hat die Erstarkung des Frankens von 1.67 auf unter 1.20 zum Euro innerhalb von vier Jahren gut verkraftet und ist dabei effizienter, produktiver und wettbewerbsfähiger geworden. Zudem verfügt die Schweiz über ein stark diversifiziertes Branchenportfolio. Das festigt die Widerstandsfähigkeit der ganzen Volkswirtschaft und macht Aufwertungsschübe leichter verkraftbar. Schliesslich steigern die dank billigeren Importen erzielten Kaufkraftgewinne für Konsumenten und Unternehmen die Wohlfahrt. Die Wirtschaftsgeschichte hat aber auch gezeigt, dass abrupte und markante Aufwertungen die Exportwirtschaft stark belasten, die Gewinnmargen unter Druck setzen und zu hohen Verlusten führen können.

Deshalb wird sich die SNB keinem völlig flexiblen Wechselkursregime verschreiben, sondern im Interesse einer möglichst friktionsfreien Frankenaufwertung von Zeit zu Zeit Devisenkäufe tätigen. Für ihre Devisenmarktinterventionen hat sie Freiheitsgrade und diskretionären Spielraum gewonnen, weil sie nicht mehr an ein explizites Kursziel für eine einzelne Währung gebunden ist. Leichter ist ihre Aufgabe dadurch nicht geworden.

Ferner wird die SNB vorderhand am Negativzins auf den Überschussreserven der Banken festhalten und diesen allenfalls weiter anheben, beziehungsweise die Freibeträge senken. Allerdings ist der bisherige Erfolgsausweis dieses unkonventionellen Instruments nicht überzeugend. Bei einer sehr starken Frankennachfrage würde auch eine Verschärfung des Negativzinses wohl wirkungslos verpuffen.

Die Wiedereinführung einer Wechselkursuntergrenze auf höherem Niveau wäre eine Belastung für die Glaubwürdigkeit der SNB, würde die Finanzmärkte zum Testen der neuen Grenze einladen und wohl massive Interventionen zu deren Verteidigung erzwingen. Deshalb wäre dies keine zweckmässige Option. Das gilt grundsätzlich auch für die ordnungspolitisch fragwürdige und wenig Erfolg versprechende Bewirtschaftung des Kapitalverkehrs in Form von Kapitalverkehrskontrollen.

Hektik ist kontraproduktiv

Wenn die SNB bei ihren geldpolitischen Entscheiden den Frankenkurs mit ins Kalkül zieht, betreibt sie keine Politik der Exportförderung. Sie leistet vielmehr einen Beitrag, um die Exportindustrie vor einer abrupten Verschlechterung der Rahmenbedingungen zu bewahren und die Anpassung an den jüngsten Aufwertungsschub zu erleichtern. Sie muss dies aber in völliger Unabhängigkeit tun können. Mit ihrem Mandat (Preisstabilität unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung) ist diese Politik vereinbar.

Es ist die Aufgabe der Unternehmen, herauszufinden, wie sie die Last der Frankenaufwertung am besten schultern, wie sie Produktivität und Effizienz steigern, neue Märkte erschliessen, Kosten senken und von Opportunitäten in der Eurozone profitieren können – das Quantitative Easing der EZB kann ja konjunkturstimulierend wirken. Für solche unternehmerischen Entscheide brauchen sie ein Umfeld, das Verlässlichkeit ausstrahlt und nicht hyperventiliert.

Forderungen nach Konjunkturprogrammen, Schnellschüsse bezüglich Kartellgesetzrevision und übereilte Diskussionen um generelle Lohnsenkungen sind nicht zielführend. Was die Politik tun kann, ist die Durchsetzung einer Wachstumspolitik, die mittel- und langfristig wirkt und deren Schwerpunkte bekannt sind: Deregulierung, mehr Wettbewerb, flexible Arbeitsmärkte, ein wettbewerbsfähiges Steuersystem, solide Beziehungen zur EU und eine mit den demografischen Trend in Einklang stehende Altersvorsorge. In der Fiskalpolitik gilt es, die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen und den Spielraum, den die Schuldenbremse bietet, auszuschöpfen.