In seiner Strategie zum Atomausstieg hat der Bund neben Importen und Subventionen für erneuerbare Energien auch den Bau von Gaskraftwerken als Alternative vorgeschlagen. Ihr Beitrag zur Versorgungssicherheit muss jedoch relativiert werden.
Gas soll im künftigen Schweizer Energiemix eine bedeutende Rolle spielen. Nach den Plänen des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation werden in der mittleren Frist nicht zuletzt neue Gaskraftwerke im Inland die schrittweise wegfallende Grundlastproduktion der alternden Kernkraftwerke ersetzen. Diese Strategie überrascht im Grunde nicht, wurde sie doch von vielen Seiten als pragmatische und vor allem marktnahe Variante angepriesen. Gaskraftwerke können mit einem vergleichsweise geringen Kapitaleinsatz und relativ schnell (etwa innerhalb 2 Jahren) erstellt werden. Ausserdem lassen sie sich flexibel einsetzen, sowohl zur Deckung der Grundlast als auch komplementär zu den stochastischen erneuerbaren Energien. Ob sich aber neue Gaskraftwerke im aktuellen Marktumfeld mit tiefen Strompreisen im Grosshandel und Überkapazitäten im europäischen Kraftwerkspark auch wirtschaftlich betrieben lassen, ist fraglich – selbst wenn sie ihr CO2 mit europäischen Emissionszertifikaten decken könnten.
Höhere Versorgungsstabilität
Der Nutzen von Gaskraftwerken für die schweizerische Energieversorgungssicherheit muss differenziert beurteilt werden. Aus Sicht der Systemstabilität weisen Gaskraftwerke durchaus Vorteile auf – etwa gegenüber neuen, grösseren Kernkraftwerken. Bei Netzunterbrüchen, Kraftwerksausfällen oder anderen Störungen können flexible Gaskraftwerke effizient und schnell für Stabilität im Netz sorgen. Die elektrische Leistung moderner Gas-und-Dampfturbinen-Kraftwerke variiert zwischen 80 und 900 MW. In der Schweiz würden vermutlich Anlagen im mittleren Bereich gebaut, also bei etwa 400 MW (zum Vergleich: das KKW Mühleberg verfügt über eine elektrische Leistung von 373 MW). Auch diese mittlere Grösse hat positive Effekte für die Versorgungsstabilität, da der Ausfall einzelner Kraftwerke keine fundamentale Bedrohung darstellt. Neue Kernkraftwerke etwa des Typs EPR mit einer Leistung von 1600 MW würden dagegen zu einer Art «Klumpenrisiko» führen. Ihr Bau würde wohl auch den Bedarf an vorzuhaltender Reserveleistung erhöhen, was mit entsprechenden Kosten für die Endkunden verbunden ist.
Warum nicht Strom- statt Gasimporte?
Der wichtigste Nachteil der Gaskraftwerke bezüglich Versorgungssicherheit liegt in ihrer Abhängigkeit vom Gas. Dass die Schweiz sämtliches Gas importieren muss, stellt noch nicht zwingend die grösste Gefahr dar. Viel wichtiger sind logistische Aspekte. Das Land verfügt heute über keine eigenen strategischen Speicher, welche kurzfristige Lieferengpässe oder Gasnetzstörungen überbrücken könnten. Das damit verbundene Versorgungsrisiko ist besonders relevant, weil die Schweiz ihr Gas grösstenteils über eine einzige Pipeline importiert. Zudem setzten in den vergangenen Jahren auch immer mehr europäische Versorger auf den Ausbau von Gaskraftwerken. Gas nimmt daher eine immer wichtigere Funktion bei der europäischen Stromversorgung ein. Zwar weisen die Entwicklungen beim unkonventionellen Gas auf eine längerfristige Verfügbarkeit hin, doch bleiben kurz- und mittelfristig relevante Gasversorgungsrisiken bestehen – vor allem im Zusammenhang mit dem Transport.
Sollte Europa einmal Probleme bei der Gas- und damit Stromversorgung haben, übertragen sich diese auch auf die Schweiz. Sie könnte im Krisenfall weder Strom noch Gas importieren. Mit dem Bau von Gaskraftwerken nimmt daher die Interdependenz mit der europäischen Energieversorgungssicherheit zu. Damit relativiert sich der Vorteil von Gaskraftwerken gegenüber Importen. Etwas überspitzt könnte man sagen: Solange es in Europa genügend Gas gibt, gibt es ausreichend Strom. Und dann kann die Schweiz auch Strom aus dem Ausland importieren.
Der Nutzen neuer Gaskraftwerke für die Versorgungssicherheit beschränkt sich in erster Linie auf ihren Beitrag zur Netzstabilität. Eine Absicherung gegen einen Produktionsmangel in Europa stellen sie dagegen nicht dar. Bedeutend grösser wäre der Nutzen von Gaskraftwerken, wenn gleichzeitig die Gasversorgung sicherer würde, etwa durch den Bau neuer Infrastrukturen zur Diversifizierung der Importrouten und zur strategischen Lagerung. Das aber könnte für den kleinen Schweizer Markt teuer sein – die zusätzlichen Investitionen müssten relativ wenige Verbraucher zahlen.
Als Alternative zum kostspieligen Ausbau inländischer Infrastrukturen bietet sich eine engere Zusammenarbeit mit den Nachbarn an. Bei der Gasversorgung wäre es besonders wichtig, dass die Schweiz in allfällige europäische Mechanismen zur Krisenvorsorge (z.B. den Zugriff auf strategische Lager) involviert würde. Damit steigt auch die Notwendigkeit eines Energieabkommens mit der EU. Eine engere Kooperation und Vereinfachung des Energiehandels mit den Nachbarstaaten ist jedoch ohnehin im Interesse der Schweiz – schliesslich ist das Land keine Energieinsel.