Auf den ersten Blick klingt es nach einem grossen Fortschritt, ja nach einem Durchbruch: Ab März ist in der Schweiz das automatisierte Fahren erlaubt. Aber was heisst das konkret? Darf ich nun das Lenkrad meines automatisierten Fahrzeugs loslassen? Die Antwort lautet: Ja, mit einem grossen «aber».

Es gibt derzeit zwar automatisierte Fahrzeuge, aber (noch) keine sogenannten «autonomen» Fahrzeuge. Die Automobilbranche steckt mitten im Prozess der Automatisierung, wovon «autonome Fahrzeuge» die Endstufe (und Idealvorstellung) sind. Dabei weiss man noch gar nicht, ob und wann diese erreicht wird, und wie diese Autos in den Verkehr integriert werden. In der öffentlichen Diskussion werden allerdings die Begriffe «autonomes Fahren», «selbstfahrende Autos», «automatisierte Fahrzeuge» und «Assistenten» oftmals als Synonyme verwendet, obwohl diese Begriffe verschiedene Entwicklungsstufen und Systeme beschreiben.

Der Weg zur Vollautomatisierung

Bei Fahrzeugen wird zwischen Automatisierungsstufen unterschieden, die durch internationale Richtlinien definiert werden. In der Schweiz wird auf Bundesebene diejenige der Society of Automobile Engineers verwendet. In der Regel wird zwischen 6 Stufen unterschieden, inklusive einer Stufe 0 (siehe Abbildung).

  • Stufe 0: Das klassische Automobil, wie es im 20. Jahrhundert entwickelt und produziert wurde.
  • Stufe 1 bis 2: Das Automatisierungssystem unterstützt lediglich den Fahrer, z.B. beim Parkieren. Der Fahrer muss dabei aber das Lenkrad jederzeit halten und somit das Auto beherrschen.
  • Stufe 3 bis 4: Auf Stufe 3 kann der Fahrer mithilfe des Autobahnpiloten das Lenkrad streckenweise loslassen. Er muss dabei jedoch jederzeit in der Lage sein, das Lenkrad wieder zu ergreifen, um die Kontrolle über sein Fahrzeug zu behalten – im Gegensatz zur Stufe 3 muss der Fahrer auf Stufe 4 nur noch im Notfall eingreifen können.
  • Stufe 5: Das System ist vollautomatisiert.

Wann der Fahrer das Steuer loslassen darf

Unter geltendem Recht sind Fahrzeuge bis und mit Automatisierungsstufe 2 erlaubt. Mit der Teilrevision des Strassenverkehrsgesetzes und dessen Verordnungen werden ab 1. März die Automatisierungsstufen 3 und 4 zugelassen. Bei Fahrzeugen dieser Kategorien darf der Fahrer mit dem aktivierten Autobahnpiloten das Lenkrad loslassen. Er darf dabei aber nicht dösen, muss auf dem Fahrersitz bleiben und sein Sichtfeld darf nicht beeinträchtigt sein. Die Verwendung des Autobahnpiloten ist vorerst auf richtungsgetrennte Autobahnen beschränkt.

Nun kommt das grosse «aber». Der Fahrer muss auch, wenn er das Lenkrad loslässt, aufmerksam bleiben und jederzeit bereit sein, das Lenkrad wieder zu fassen und sein Fahrzeug zu beherrschen. Aufgrund der Unvorhersehbarkeit des Verkehrs kann es vorkommen, dass der Autobahnpilot eine Situation nicht bewältigen kann. Dabei gibt das Auto ein Signal, dass der Fahrer wieder das Steuer ergreifen muss.

Ein Beispiel: Ich aktiviere den Autobahnpiloten und lasse das Lenkrad meines automatisierten Fahrzeugs der Stufe 3 los. Ich nehme mein Smartphone in die Hand und lese die Zeitung. Wenn es zu einer Problemsituation kommt, kann ich als Fahrer möglicherweise nicht schnell genug reagieren, weil ich nicht gleichzeitig auf die Strasse achten und lesen kann. Das sieht auch der Bundesrat so. Er schreibt: «(…) die Vornahme von fahrfremden Tätigkeiten, die mit dem Ergreifen von Gegenständen, die vor der Rückübernahme der Fahrzeugbedienung wieder weggelegt werden müssen, verbunden sind, ist wegen des technischen Stands der Fahrzeuge noch nicht möglich.» Mit dem Ergreifen von Gegenständen sind auch Smartphones gemeint – Nasengrübeln ist hingegen erlaubt, solange der Blick auf die Strasse gerichtet ist.

Die Einschränkung des Bundesrates ist jedoch ein Widerspruch zu dem, was im Gesetz und der Verordnung steht. Denn aus diesen Texten würde man schliessen, dass der Fahrer von der Verantwortung bei Fahrzeugen der Stufen 3 und 4 befreit ist. Dass der Bundesrat und das Parlament, welches das Gesetz durchgewinkt hat, einen auf eine falsche Fährte führen, ist kein Ruhmesblatt für Exekutive und Legislative.

Der Autobahnpilot als Hilfsmittel

Die Einschränkung ergibt aus übergeordneter Sicht zwar Sinn, was aber den gesetzgeberischen Pfusch nicht besser macht. Autobahnpiloten sind letztlich nur Hilfsmittel. Diese erlauben einem, streckenweise das Lenkrad loszulassen. Die Steuerung wird vom Autobahnpiloten lediglich «durchgeführt». Aber beim Autobahnpiloten darf nicht davon ausgegangen werden, dass das Auto das Lenken und die Verantwortung dafür vom Fahrer «übernimmt». Das Wort «übernehmen» suggeriert, dass der Fahrer die Verantwortung an die Maschine abgegeben hat. Diese hat jedoch keine eigene Autonomie, wie wir Menschen.

Die Verantwortung wird man nicht los

Leider vermittelt die Gesetzgebung jedoch genau diesen Eindruck: In dieser wird mehr als 20-Mal von «übernehmen» bzw. «Übernahme» gesprochen. Damit scheint es, als würde bei eingeschaltetem Autobahnpiloten die Verantwortung vom Fahrer auf die Maschine übergehen. Das ist aber eine falsche Interpretation. Der Autobahnpilot führt zwar die Fahrt auf gewissen Strecken durch, die Verantwortung dafür bleibt aber immer beim Fahrer. Der Grund dafür ist simpel: Im Gegensatz zur voll automatisierten Metro M2 in Lausanne, die auf Schienen verkehrt, was ein kontrollierbares Risiko darstellt, ist der Strassenverkehr notorisch unvorhersehbar.

Weder der Hersteller des Fahrzeugs, der KI-Algorithmus, das Fahrzeug selbst, noch eine der grossen amerikanischen Technologiefirmen wird an Stelle des Fahrers verantwortlich sein. Obwohl der Fahrer das Lenkrad theoretisch loslassen darf, bleibt er also jederzeit rechtlich für sein Fahrzeug verantwortlich, wenn es zu einem Unfall kommt. Diese Klarheit fehlt sowohl im Gesetz als auch in der Verordnung.

Somit gilt auch bei automatisierten Fahrzeugen der Grundsatz weiter: Wo es Rechte für den Fahrer gibt, gibt es auch Pflichten. Zwar erlaubt das Gesetz, beim Autofahren mit Autobahnpilot das Lenkrad loszulassen. Aber man läuft dann im Notfall Gefahr, dass man das Lenkrad nicht rechtzeitig wieder ergreifen kann. Die Konsequenzen für den Fahrer wären enorm. Lassen Sie daher niemals das Lenkrad Ihres automatisierten Fahrzeugs los!