In den vergangenen Wochen war die Generaldirektorin der SRG auf allen Kanälen präsent. Susanne Wille hat verschiedene Interviews gegeben, in dem sie ihr Restrukturierungsprogramm «Enavant» erläuterte. Die SRG steht unter Druck – nicht nur finanziell, sondern auch politisch. Immer wieder werden tiefere Radio- und Fernsehabgaben verlangt. Hinter diesen Forderungen stecken nicht nur finanzpolitische Motive. Vielmehr schwingt die Sorge über etwas mit, das als blinder Fleck in der SRG-Debatte bezeichnet werden kann: die Ausgewogenheit.
Die vermutete oder effektive politische Färbung der Berichterstattung wirbelt seit jeher viel Staub auf. Dabei kriegen jeweils die SRG, aber auch die privaten Medien ihr Fett weg. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth ortete vor zwei Jahren einen «harten Rechtsrutsch» bei der «Arena» und der «Tagesschau». Bürgerliche Politiker beklagen wiederum, das Gros der Medien würde mit einer rot-grünen Schlagseite berichten.
Für die SRG ist die Frage der Ausgewogenheit besonders relevant, wird sie doch jährlich mit rund 1,3 Mrd. Fr. aus einer staatlichen Medienabgabe alimentiert. In der Medienpolitik kommt der Ausgewogenheit denn auch eine wichtige Rolle zu. So hält die Bundesverfassung für die öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehstationen fest: «Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck.» Doch wie steht es um diese Ausgewogenheit in der Praxis?
Was wir heute schon wissen
Dazu gibt es viele Meinungen, aber nur wenige belastbare Fakten. Eine 2024 publizierte Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) brachte etwas Licht ins Dunkel. Die Umfrage zeigte, dass sich 76 Prozent der befragten Medienschaffenden politisch links einstufen – deutlich mehr als noch 2015. Zum Vergleich: Nur knapp 34 Prozent der Gesamtbevölkerung bezeichnen sich als links.
Die Aussagekraft der Studie wurde von Journalisten und Medienforschern in Frage gestellt: Nur weil Medienschaffende links seien, bedeute das noch nicht, dass sie auch mit linker Optik berichten. Tatsächlich ist nicht entscheidend, ob die Redaktionen politisch ausgewogen besetzt sind, sondern: Ist die Berichterstattung ausgewogen? Doch das zu untersuchen war lange Zeit zu aufwändig, denn dafür braucht es eine systematische Analyse Tausender Medienbeiträge.
Dank der Digitalisierung sind solche Analysen heute machbar geworden. So untersucht das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) jeweils die Berichterstattung zu Abstimmungen. Das Ergebnis: Die grossen Medien berichten mehrheitlich ausgewogen. Allerdings wird mit den Abstimmungen nur ein ganz kleiner Teilbereich der gesamten Berichterstattung untersucht.
Bei einer umfassenden Untersuchung wäre zu erwarten, dass das Fazit anders ausfällt. Denn bei Abstimmungs- und Wahlkampagnen achten Redaktionen jeweils stärker auf Ausgewogenheit. Für ein vollständiges Bild braucht es deshalb eine Analyse auch ausserhalb dieser Phasen – und zwar auf zwei Ebenen.
Ist das Themen-Portfolio ausgewogen?
Erstens stellt sich die Frage: Wird bei einem Thema über einen längeren Zeitraum hinweg ausgewogen berichtet? Es geht also darum, ob unterschiedliche Positionen angemessen zu Wort kommen. Zweitens, und oft vernachlässigt, gibt es die Portfolio-Ebene. Diese kommt bei Abstimmungsanalysen nicht zum Tragen, denn es geht um die Frage: Welche Themen erhalten überhaupt die Aufmerksamkeit der Redaktion? Werden etwa progressive und konservative Themen langfristig gleichermassen behandelt?
Natürlich sind solche Analysen auch heute alles andere als trivial. So ist gerade die Definition von Ausgewogenheit herausfordernd. Doch es gibt praktikable Ansätze, etwa eine Orientierung an den Parteistärken in Stände- und Nationalrat. Zudem ist unbestritten: Die neuen technologischen Mittel haben viele frühere Hürden beseitigt. Die Politik sollte das bei der Ausgestaltung der Medienpolitik berücksichtigen – dabei gibt es ein Vorbild: die SRG-Generaldirektorin.
So erklärte Wille vor einer Woche der «NZZ am Sonntag», dass künstliche Intelligenz eingesetzt wird, wenn sie der Sicherung oder Verbesserung der Qualität dient. Diesen Ansatz sollten auch Medienpolitiker verfolgen. Dank neuen technologischen Möglichkeiten lassen sich grosse Mengen an Medieninhalten heute viel einfacher analysieren als früher. Wer den medialen Service public stärken will, sollte daher dem verfassungsmässigen Auftrag der Ausgewogenheit mit einer systematischen Analyse gerecht werden – damit der blinde Fleck in der SRG-Debatte künftig besser ausgeleuchtet ist.
Dieser Beitrag ist in der «NZZ am Sonntag» vom 13. Juli 2025 erschienen.