Unternehmen sollen wachsen und Gewinne machen. In diesem Punkt waren sich die Teilnehmer des diesjährigen wettbewerbspolitischen Workshops einig. Etwas weniger bei der Frage, wie man Unternehmen am besten daran hindern kann, volkswirtschaftlich schädliche Fusionen zu vollziehen. Die Inputreferate von Simon Jäggi (Seco), Martin Sauermann (Bundeskartellamt) und Reto Jacobs (Walder Wyss) spiegelten die Bandbreite in der Argumentation. In der anschliessenden Diskussionsrunde mit Samuel Rutz wurde aber klar, dass die meisten anwesenden Experten einer Verjüngungskur der Schweizer Fusionskontrolle nicht grundsätzlich negativ gegenüberstehen.
Fusionskontrolle auf dem Prüfstand
Im Allgemeinen gehören Fusionen zu jeder funktionierenden Marktwirtschaft, sind Teil der schöpferischen Zerstörung à la Schumpeter. Solange der Wettbewerb spielt, gibt es für den Staat nichts zu tun. Im Idealfall sollte eine Behörde erst in dem Moment eingreifen, wenn der Wettbewerb infolge einer Fusion Schaden zu nehmen droht. Dies kann dann der Fall sein, wenn in stark konzentrierten, oligopolistischen Märkten fusioniert wird. Typische unerwünschte Wirkungen von schädlichen Fusionen sind Preiserhöhungen und Qualitätssenkungen für die Nachfrager, verringerte Anreize für Innovationen und Investitionen, die Verdrängung von Wettbewerbern oder Marktabschottungsstrategien.
In der Schweiz ist es unter Wettbewerbsexperten ein offenes Geheimnis, dass die hiesige Fusionskontrolle im Vergleich mit dem Ausland sehr permissiv ist. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass in der Schweiz in den letzten rund 20 Jahren nur eine einzige Fusion rechtskräftig untersagt wurde. Zu diesem Schluss kam schon ein Expertenbericht aus dem Jahr 2008 und auch die im Oktober 2017 publizierte Studie zur Modernisierung des Fusionskontrollregimes, die von Swiss Economics im Auftrag des Seco erstellt wurde. Gewünscht werden: Griffigere Verfahren und konsistentere, besser nachvollziehbare Entscheide, also mehr Effizienz und zumindest ein wenig mehr Biss.
Ein Rezept aus dem Ausland
2014 lag eigentlich schon eine Lösung auf dem Tisch. Im Rahmen der damals geplanten Kartellrechtsrevision wollte man den in der EU etablierten SIEC-Test einführen. SIEC steht für «Significant Impediment to Effective Competition». Der Test stellt weniger auf die reinen Marktstrukturen ab, sondern fokussiert datengestützt auf die konkrete Wirkung für die Verbraucher. Mit dem SIEC-Test würde der Werkzeugkasten der Fusionskontrolle «ökonomisiert» – das heisst wirkungsbasiert – und erweitert. Es könnten neu vor allem auch «unilaterale Effekte» unterhalb der Marktbeherrschungsschwelle, z.B. Preiserhöhungen als Folge einer Fusion, besser in die Untersuchung miteinbezogen werden. Der SIEC-Test war ein relativ unbestrittenes Element der gescheiterten Kartellrechtsrevision 2014, weshalb der Bundesrat derzeit auch plant, eine Vernehmlassungsvorlage zu seiner Einführung auszuarbeiten.
Der diesjährige wettbewerbspolitische Workshop von Avenir Suisse war der Frage gewidmet, ob die Einführung des SIEC-Tests in der Schweiz effektiv wünschbar sei. Denn, auch wenn weitgehend unumstritten ist, dass unter einem SIEC-Test sachgerechtere Entscheide in der Fusionskontrolle getroffen werden können, gibt es auch Befürchtungen, dass der Mehraufwand für Behörden und Unternehmen beträchtlich ausfallen und möglicherweise die Rechtssicherheit leiden könnte. Die bis anhin in Deutschland gesammelten Praxiserfahrungen, wo der SIEC-Test 2013 eingeführt wurde, bestätigen diese Befürchtungen jedoch nicht: Das neue Regime in der Fusionskontrolle habe keine Flut von zusätzlichen, langwierigen Untersuchungen ausgelöst. Aktuell werden rund 1000 Fälle pro Jahr mit dem SIEC-Test untersucht, die meisten von ihnen aber bereits in der ersten Phase wieder freigegeben. Die «Ökonomisierung» der Fusionskontrolle und die grössere Vergleichbarkeit zwischen den Fällen seien überdies positiv aufgenommen worden.
Frage nach der empirischen Evidenz
Trotz diesem positiven Befund gab es jedoch auch kritische Stimmen. Insbesondere wurde angeführt, dass bisher der empirische Nachweis fehle, dass in der Schweiz in der Vergangenheit wegen einer zu hohen Eingriffsschwelle volkswirtschaftlich schädliche Zusammenschlüsse erlaubt wurden. Auch wurde die geringe Grösse der Schweiz ins Spiel gebracht. Müsste nicht in einer kleinen, derart offenen Volkswirtschaft eine höhere Messlatte bei den Grössenvorteilen angelegt werden, um die Unternehmen auf dem internationalen Markt nicht über Gebühr zurückzubinden? Auch wenn diese Voten sich nicht grundsätzlich gegen den SIEC-Test stellten, wurde der Wunsch geäussert, das «Versagen» des heute geltenden Fusionskontrollregimes besser aufzuzeigen.
Vielleicht könnte man die Ergebnisse der Expertendiskussion folgendermassen zusammenfassen: Fundamentale Opposition erwuchs dem SIEC-Test keine, und seine konzeptionellen Vorteile gegenüber dem heute angewandten Test in der Schweizer Fusionskontrolle wurde grossmehrheitlich anerkannt. Nuancierte Meinungen bestanden hingegen bezüglich der Frage, ob tatsächlich ein unmittelbarer und dringlicher Handlungsbedarf besteht.