Unterschwellig war in letzter Zeit wiederholt Kritik an der schweizerischen Wechselkurspolitik zu hören, vor allem als die SNB zwischen März 2009 und Mai 2010 am Devisenmarkt intervenierte. Diese Bedenken verhallten jedoch jeweils schnell, wenn der IWF in den regelmässigen Artikel-IV-Konsultationen viel Verständnis für die schweizerische Lage zeigte und die Geldpolitik unter den gegebenen Verhältnissen als angemessen bezeichnete. Auch bei der letzten Länderprüfung vom 2. Mai 2012 ermunterte der IWF die Nationalbank lediglich, wieder zu flexiblen Wechselkursen überzugehen, sobald sich die Verhältnisse normalisieren würden.

Mit der jüngsten Kritik der Ratingagentur Standard & Poor’s, in die sogleich auch Brüsseler Think-Tanks einstimmten, erhalten die Vorwürfe an die SNB zwar nicht eine neue Qualität, aber vielleicht eine neue politische Dimension. Zu Recht hat die SNB die Behauptungen von Standard & Poor’s als unzutreffend zurückgewiesen, da sie auch in einem grösseren makroökonomischen Zusammenhang unfundiert, unsachlich und tendenziös sind:

1. Die SNB operiert nicht im luftleeren Raum, sondern in einem internationalen Kontext und unter einem Verfassungs- und Gesetzesauftrag. Sie muss eine Geld- und Währungspolitik im Gesamtinteresse des Landes betreiben. Dieses Gesamtinteresse muss unter Einhaltung von Spielregeln verfolgt werden. Ein Verstoss gegen diese Spielregeln wäre beispielsweise die Verfälschung des Wettbewerbs durch die systematische Unterbewertung der eigenen Währung im Interesse der Exportförderung. Das setzt aber voraus, dass alle beteiligten Länder eine Politik betreiben, die schädliche Auswirkungen auf die Partner vermeidet. Wenn dies nicht der Fall ist, gebietet das Landesinteresse, die schädlichen Auswirkungen mit wirksamen Mitteln zu bekämpfen

2. In den vergangenen Jahren haben wichtige Länder Massnahmen getroffen, die in ihrer Summe die Perspektiven des Wirtschaftsstandorts Schweiz und damit die Wohlfahrt des Landes bedrohten, indem sie zu einer markanten Überbewertung des Frankens führten. Dazu zählen etwa:

      •  eine ultraexpansive Geldpolitik, die auf dem Höhepunkt der Finanzkrise nötig war, um Illiquidität zu vermeiden, später aber in den Dienst der Lösung struktureller Probleme gestellt wurde und für die mittlere Frist Inflationsängste auslöste;
      • die Manipulation der Zinsertragskurve, um die langfristigen Zinsen tief zu halten und den Schuldendienst zu erleichtern;
      • der «benign neglect» der Stabilitätserfordernisse in der EWU;
      • das Umschwenken der EZB auf eine mit ihrem Mandat kaum mehr vereinbare «unkonventionelle» Geldpolitik

3. Die Schweiz akzeptiert seit dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen im Jahre 1973 eine reale Aufwertung von durchschnittlich rund 2% pro Jahr. Sie nimmt in diesem Ausmass eine Verschlechterung ihrer preislichen Wettbewerbsfähigkeit in Kauf, welche die Unternehmen zu ständigen Innovationen anhält. In Phasen, in denen sich der Wechselkurs des Frankens deutlich vom Niveau entfernt hat, das von der Entwicklung der wirtschaftlichen Grunddaten (Preise, Geldmengen, Zinsen, Einkommen) gerechtfertigt war, hat die SNB am Devisenmarkt interveniert, so z.B. 1978 und jetzt wieder.

4. Die jüngsten Zahlen der KOF ETH zeigen, dass der Franken nach verschiedenen Berechnungsmodellen (Kaufkraftparitäten, Zinsparität, Handelsbilanz, Wachstumsdifferenziale) auch auf der Basis der von der SNB am 6. September 2011 festgesetzten Untergrenze immer noch deutlich überbewertet ist. Die Spuren dieser Überwertung sind auch in der nominalen Entwicklung der schweizerischen Exporte klar sichtbar: deren Wachstumsraten gaben deutlich stärker nach (2010: +7,2%, 2011: + 2,3%) als z.B. jene der deutschen Exporte (2010: +16,5%, 2011: +11,5%), die eine ähnliche Sortimentsstruktur aufweisen. Der Eingriff der SNB war somit aus realwirtschaftlicher Sicht gerechtfertigt. Es ist abwegig, ihr zum Vorwurf zu machen, dass sie sich unter diesen Bedingungen gegen Deflationsdruck und eine Verschlechterung des Wirtschaftsstandortes wehrt.

5. Dass der Überschuss der schweizerischen Leistungsbilanz in der aktuellen internationalen Wirtschaftslage Argwohn und Missgunst erweckt, ist politisch wohl unvermeidlich. Das ändert aber nichts daran, dass der Leistungsbilanzsaldo und die Auslandsposition eines Landes keine eigenständige wirtschaftspolitische Zielgrösse darstellen. Denn der Leistungsbilanzsaldo ist letztlich das Ergebnis von unzähligen individuellen Entscheidungen einzelner Wirtschaftsakteure. Deren Dispositionsfreiheit und damit der freie Handel würden in Frage gestellt, wenn Länder mit einem bestimmten Leistungsbilanz-Überschuss zu wirtschaftspolitischen Reformen gezwungen würden.

6. Bevor Standard & Poor’s und Brüsseler Kreise der SNB vorwerfen, sie würde durch ihre Staatsanleihenkäufe die Renditeunterschiede in Kerneuropa zu Lasten der peripheren Länder verzerren, müsste die Euro-Zone wohl zuerst selbst über die Bücher gehen. Während die Schweiz gegenüber der Euro-Zone ein erhebliches Handelsbilanzdefizit ausweist, verzeichnen Deutschland und einige andere nördliche Mitgliedländer gegenüber der Euro-Peripherie einen massiven Überschuss. Zum Abbau der Leistungsbilanzungleichgewichte in der Euro-Zone müsste deshalb vor allem Deutschland eine interne reale Aufwertung über höhere Löhne, Preise und Binneninvestitionen in Gang setzen. Weil dies aber unbequem ist, wird die EZB zur Finanzierung der hohen Leistungsbilanzdefizite der Südländer eingesetzt, wofür u.a. der hohe Target-Saldo der Deutschen Bundesbank steht.

Der temperamtvolle brasilianische Finanzminister Guido Mantega bezichtigte schon vor zwei Jahren die USA – in deren Schlepptau geldpolitisch auch die Englische Notenbank und die EZB segeln -, mit den Anleihenkäufen einen Währungskrieg angezettelt zu haben. Denn mit der lockeren Geldpolitik würden sie als willkommenen Nebeneffekt die eigene Währung schwächen. Würden die USA und die Eurozone ihr eigenes Haus in Ordnung halten, müsste die SNB nicht intervenieren. Vielleicht sollte die Schweiz bei der Verteidigung ihrer Interessen – wie Guido Mantega – etwas mutiger sein?