«Himalaja von Indien aus erkennbar!» – So in etwa lautete die Schlagzeile, die im April 2020 in den europäischen Medien die Runde machte. Die Nachricht hatte ihren Ursprung in Jalandhar, einer mittelgrossen Stadt keine 200 km vom Himalaja-Südfuss gelegen, von wo aus das höchste Gebirge der Welt offenbar seit 30 Jahren nicht mehr sichtbar war.

Das «Phänomen» war natürlich auf den damals auch in Indien angeordneten Shutdown zurückzuführen. Und es provozierte die Frage: Wenn wegen der Corona-Massnahmen so schnell so grosse Fortschritte erkennbar sind, müsste dann die Menschheit nicht auch im Kampf gegen den Klimawandel – der wenige Monate zuvor noch die Schlagzeilen dominiert hatte – ähnlich rigorose Massnahmen ergreifen? Also auf Konsum verzichten, statt ständig von Innovation zu reden und von ewigem Wachstum zu träumen?

Die kurze Antwort lautete «Nein». Die lange Antwort lautet «Nein, wenn die Corona-Massnahmen etwas gezeigt haben, dann wie man den Klimawandel lieber nicht bekämpft». Dieser Blog erläutert sie. 

Langfristige Auswirkungen der Corona-Krise auf CO2-Austoss nicht eindeutig

Im Corona-Jahr 2020 wurde weltweit signifikant weniger CO2 emittiert (vgl. Abbildung). Die grössten Einsparungen erfolgten wenig überraschend beim Verkehr. Die Internationale Energieagentur (IEA) rechnet gegenüber dem Vorjahr mit einer Abnahme der globalen CO2-Emissionen um 7%. Da die Schätzung im Herbst gemacht wurde, als man noch nicht mit einer derart grossen zweiten Infektionswelle rechnete, könnten es auch 1 bis 2 Prozentpunkte mehr sein. Eine Reduktion um über 10% ist dagegen unwahrscheinlich.

Reduktion der CO2-Emissionen im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr

Die grössten Einsparungen resultierten aus den harten, vielerorts undifferenzierten Lockdowns im Frühling 2020. Für die Monate November und Dezember liegen noch keine Daten vor. Der Rückgang dürfte gut sichtbar sein, aber weniger gross als im Frühling ausfallen. (Quelle: UNEP Emissions Gap Report 2020, S. 9)

Eine solche einmalige, nicht permanente Reduktion um knapp 10% wird im Kampf gegen den Klimawandel keine spürbare Wirkung haben. Entscheidend sind daher vielmehr die dynamischen, langfristigen Effekte, die der Corona-Schock auf die CO2-Intensität von Wirtschaft und die Gesellschaft haben wird. 

Mögliche positive Entwicklungen sind:

  • Der drastische Rückgang des Flugverkehrs könnte zu gewissen Teilen mehr als nur temporärer Natur sein. Gerade Geschäftsreisen dürften nicht mehr so schnell das Vor-Corona-Niveau erreichen. Im Zuge der Krise hat die Akzeptanz dafür deutlich zugenommen, dass man Business auch mal per Videokonferenz oder Webcall macht, statt sich persönlich die Hand zu drücken. Kostenbewusste Institutionen werden zunehmend davon absehen, ihre Mitarbeiter in der Welt herumzuschicken, wenn sich die Aufgabe im Zweifel auch mit einer Online-Konferenz lösen lässt.
  • Auch die Homeoffice-Häufigkeit dürfte nach Corona nicht einfach auf das Vorkrisenniveau zurückfallen. Der Berufspendelverkehr dürfte dadurch – gegenüber einer Alternativwelt ohne Covid-19 – dauerhaft etwas geringer ausfallen.
  • Der Preissturz bei den fossilen Brennstoffen könnte dazu führen, das gewisse teurere Fördermethoden aufgegeben werden und somit das Angebot sinkt.
  • Ebenso würden es die niedrigen Erdölpreise Staaten, die fossile Brennstoffe immer noch subventionieren, erleichtern, diese Subventionen abzuschaffen. Es ist allerdings sehr unwahrscheinlich, dass sich dies eine Regierung mitten in einer Rezession erlauben würde.

Mögliche negative Entwicklungen sind:

  • Es ist wahrscheinlich, dass viele Regierungen angesichts drängender ökonomischer Probleme ihre Ausgaben und regulatorischen Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel vorerst zurückfahren. Die Staatskassen sind vielerorts leer.
  • Die Krise könnte auch bei Unternehmen und Haushalten zu einer Aufschiebung von Investitionen in Treibhausgas-arme Technologien führen, da sie vorerst mit anderen Sorgen zu kämpfen haben. Die IEA rechnet mit einem Rückgang der Investitionen (privat wie staatlich) in energieeffiziente Sektoren von über 10%.
  • Der Preissturz bei den fossilen Brennstoffen kann den Umstieg auf erneuerbare Energien verzögern, weil deren relativer Preis gestiegen ist.
  • Die Corona-Erfahrungen könnten die Beliebtheit des öffentlichen Verkehrs nachhaltig beeinträchtigen.
  • In Subsahara-Afrika nimmt die Zahl der Menschen ohne Zugang zu Elektrizität wieder zu, weil viele Regierungen ihre Anstrengungen zur Verbesserung dieser Situation reduziert haben. Die IEA schätzt zudem, dass sich wegen der Krise 100 Mio. Menschen, die bereits über einen Stromanschluss verfügen, eine Basisversorgung mit Strom nicht mehr leisten können und somit auf CO2-intensivere Energieträger ausweichen.

Angesichts dieser in Summe nicht gerade ermutigenden Liste mag es fast erstaunen, dass die Unep für das Jahr 2030 im aus heutiger Sicht wahrscheinlichsten Szenario gegenüber der Prognose für dasselbe Jahr, wie sie vor Covid-19 stand, immerhin einen Rückgang der Treibhausgas-Emissionen um 1,5 Mrd. Tonnen oder knapp 3% vorhersagt. Das ist nicht viel, aber doch immerhin ein positiver Beitrag.

Hohe Kosten

Ein Rückgang der CO2-Emissionen um höchstens 10% im vergangenen Jahr, knapp 3% Abnahme des Treibhausgas-Ausstosses im Jahr 2030 (gegenüber einer Nicht-Corona-Welt): Das ist vor allem insofern extrem wenig, wenn man bedenkt, welchen Preis die Weltgemeinschaft dafür zu zahlen hat. Stellt man die Wirtschaftsprognosen, die der Internationalen Währungsfonds (IWF) im Oktober 2020 für die Jahre 2020 bis 2024 publiziert hat, jenen des Vorjahres gegenüber, erhält man Wertschöpfungsverluste, die sich global über die fünf Jahre auf die astronomische Summe von 24,4 Billionen Franken kumulieren.

Da die Schätzungen der IWF-Experten vor Oktober erfolgten, also nach eher «ruhigen» Sommermonaten und deutlich vor Einsetzen der grossen zweiten (oder dritten) Infektionswellen und abermaligen Lockdowns, ist davon auszugehen, dass diese Zahl – auch wenn im Winter 2020/2021 differenzierter auf Covid-19 reagiert wurde – noch deutlich steigen wird. Mittelfristige globale Einbussen von 40 Billionen Franken scheinen nicht unwahrscheinlich.

Die grössten Spätfolgen haben all die Lock- und Shutdowns tendenziell in Entwicklungs- und Schwellenländern mit schlechteren Institutionen und/oder hohen Staatsschulden. So kann gemäss besagter IWF-Prognose für die Regionen «Subsahara-Afrika», «Nordafrika, Naher Osten, Zentralasien» und «Lateinamerika und Karibik» in den Folgejahren nicht mit einem signifikanten Aufholprozess gegenüber dem «No-Corona-Szenario» gerechnet werden.

Zusätzlich zu den rein finanziellen Auswirkungen verursachte die Krise auch erhebliches Leid von Milliarden von Menschen, denen aufgrund der Corona-Massnahmen ihre gewohnte Lebensführung verunmöglicht wurde. Während diese in der Schweiz noch mehrheitlich «bloss» die Erfüllung von Komfortbedürfnissen erschwerten oder verhinderten, haben die Massnahmen in deutlich ärmeren Ländern teilweise zu einem (erneuten) Kampf um die nackte physische Existenz geführt. Damit rücken in diesen Ländern vorerst Themen noch stärker in den Vordergrund, die für die Lebensrealität von deren Einwohnern schon bisher wichtiger waren als die Folgen des Klimawandels.

In keiner Weise zeigt also der Umgang mit der Coronakrise, wie man auf die Herausforderung Klimawandel antworten sollte. Corona hat nicht zuletzt bewiesen: Konsumverzicht schmerzt und wird von weiten Teilen der Bevölkerung nicht längerfristig einfach hingenommen. Der Fokus sollte daher auf Innovationen liegen, nicht auf Konsumverzicht. Und zwar nur schon darum, weil negative Emissionen, wie sie für das 1,5-Grad-Ziel in einigen Jahrzehnten nötig sein werden, nicht durch Verzicht, sondern bloss mittels Innovationen erreicht werden können. Für diese Innovationen steht mehr Geld zur Verfügung, wenn die Wirtschaft nicht am Boden liegt. Die Konsumverzichtlösung ist daher nicht zu Ende gedacht.

Dieser Blog ist ein Vorab-Auszug aus unserer neuen Publikation zu einer liberalen Klimapolitik, die am 20. Mai 2021 erscheint.