Freie Sitzplätze, soweit das Auge reicht, und das sogar zu Stosszeiten! Über «Dichtestress» in Bus, Tram oder Zug konnte während der Covid-19-Pandemie wahrlich niemand klagen. Hinter dem Phänomen steht der politische Wille, das Angebot auch bei reduzierter Nachfrage möglichst beizubehalten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Covid-19-Pandemie zu niedrigeren Erträgen im öffentlichen Verkehr (öV) führt – so auch im Ortsverkehr.

Der Ortsverkehr umfasst den meist städtischen Nahverkehr (etwa Tram- und Buslinien) und dient der Feinerschliessung von Ortschaften. Der öV in der Schweiz wird sogar in normalen Zeiten und selbst im dicht besiedelten städtischen Raum nicht kostendeckend betrieben. Im heutigen Finanzierungssystem trägt deshalb die Allgemeinheit, d.h. wir Steuerzahlenden die ungedeckten Kosten.

Schaffung eines Präzedenzfalls

Angebote des Ortsverkehrs und ihre Finanzierung liegen in der Hoheit der Kantone und Gemeinden und sind ausdrücklich keine Aufgabe des Bundes. Um den Grundsatz der fiskalischen Äquivalenz («wer zahlt, befiehlt») zu wahren, wollte sich der Bund auch nicht an den Covid-19-Verlusten im Ortsverkehr beteiligen. Es kam jedoch anders.

Im Ortsverkehr wie hier am Knotenpunkt Bucheggplatz in Zürich hat der Bund nichts verloren. (Patrick Federi, Unsplash)

Das Parlament hat in der letzten Herbstsession entschieden, dass der Bund einen Drittel dieser Kosten für das Jahr 2020 übernehmen soll. Von Seite des Bundes wurden deshalb 150 Mio. Fr. für den Ortsverkehr budgetiert. Damals ging man noch nicht von weiteren Ansteckungswellen und Lockdowns aus, weshalb die tatsächlichen Einbussen um einiges höher ausfallen dürften. Wenig überraschend fordert nun das Parlament bereits eine Verlängerung der Unterstützung des Ortsverkehrs durch den Bund für das Jahr 2021.

Gleichbleibende Spielregeln – in guten wie in schlechten Zeiten

Die Kantone und insbesondere die betroffenen Gemeinden haben ein ureigenes Interesse, den Ortsverkehr nach ihren Bedürfnissen zu gestalten. Wenn aber der Personenkreis von Nutzern, Zahlern und Entscheidungsträgern nicht übereinstimmt, erhöht das die Gefahr eines suboptimalen Angebots. Zudem zeigen Studien, dass «fremdes Geld» im Vergleich zu eigenen Steuereinnahmen eine Tendenz zu höheren Ausgaben und tieferer Effizienz mit sich bringt.

Bewährte Grundsätze wie Subsidiarität oder fiskalische Äquivalenz sollten nicht wegen der Covid-19-Pandemie über Bord geworfen werden. Die föderalistische Gleichung geht nicht auf, wenn die Kantone bei Sonnenschein auf Eigenverantwortung pochen und bei schlechtem Wetter nach dem eidgenössischen Regenschirm rufen. Die Unterstützung des Bundes für den Ortsverkehr trägt zu einer unkoordinierten Verflechtung von Kosten und Nutzen bei, die den Föderalismus aushöhlt. Weitere Beiträge des Bundes für den Ortsverkehr sind deshalb zukünftig zu vermeiden.

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