Vor zweieinhalb Wochen sagte der Souverän deutlich Ja zur Personenfreizügigkeit. Während die vom Arbeitsmarkt gesteuerte Bewegungsfreiheit weiterhin möglich ist, wird die individuelle immer mehr eingeschränkt. Im Wochenrhythmus veröffentlicht das BAG eine neue Quarantäneliste, die alle Rückkehrer aus «Risikogebieten» zehn Tage in Quarantäne schickt. Was aus gesundheitspolitischen Gründen auf den ersten Blick Sinn ergibt, erweist sich auf den zweiten als ein Bündel widersprüchlicher Massnahmen.

Länder mit geringerer Falldichte als viele Kantone werden als «Risikogebiete» eingestuft. Wer von dort in einen Schweizer Ort mit höherer Falldichte kommt, muss trotzdem in Quarantäne. Gleichzeitig sind Personengruppen wie Kulturschaffende nach einem Anlass im Ausland von den Regelungen pauschal ausgenommen. Das Verhältnismässigkeitsprinzip wird so noch stärker verletzt, willkürliche Regelungen in ihrer bürokratischen Absurdität entlarvt.

Ein Lockdown sollte sich nicht wiederholen. (Pascal Meier, Unsplash)

Auch im Landesinnern nimmt die Einengung der Bewegungsfreiheit fragwürdige Ausmasse an. Die durch die Pandemiekrise schlingernden Zürcher Gesundheitsbehörden erlassen ein Salsa-Tanzverbot bis zum 18. Oktober. Aufatmen können dafür die Anhänger von Rock ‘n’ Roll und Walzer: Ihr Tanzstil bleibt vorerst erlaubt. Als besonders einschränkend erweist sich neuerdings der Kanton Bern: Aufgrund eines positiv getesteten Gasts in drei Tanzclubs setzte man gleich 635 Personen auf die Quarantäneliste. Erstaunlich gering die Beisshemmung der Medienschaffenden, die sich sonst gerne als «vierte Gewalt» definieren und daraus ihre kritische Haltung gegenüber allerart von staatlichen Anordnungen legitimieren: Ihr Hinterfragen der Eingriffe der Gesundheitsämter in die Grundrechte der Bürger bleibt weitgehend aus.

Über hunderttausend Einwohner mussten bislang die Quarantänefrist in den eigenen vier Wänden absitzen, nur ein Bruchteil davon war tatsächlich mit dem Virus infiziert. Der Haushalt darf nicht verlassen werden, sonst drohen saftige Bussen. Die Folgen bei den Jugendlichen sind offenkundig: Ihre Angst vor einer amtlich verfügten Quarantäne nach dem Ausgang am Freitagabend ist mittlerweile wohl grösser als diejenige vor dem Virus.

Das Behördenversagen ist augenscheinlich und das Optimierungspotenzial des weltweit zweitteuersten Gesundheitssystems gross: Testkapazitäten sind auszubauen, die Kriterien für Risikogebiete sowie die Quarantänebedingungen anzupassen, und negativ getestete Personen sind wieder in die Freiheit zu entlassen. Die gravierenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen von Covid-19 sollten durch das Pandemiemanagement der Behörden nicht noch verschlimmert werden.

Dieser Artikel erschien in der Handelszeitung vom 15. Oktober 2020.