In den eigenen vier Wänden alt zu werden, das wünschen sich viele Senioren in unserem Land. Gemäss den Zahlen des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan) scheinen viele dieses Ziel auch wirklich zu erreichen. So leben 95 % der über 65-Jährigen in der Schweiz zuhause.

Aktive Spitex-Strategie

Die Kantone Waadt und Genf verfolgen seit geraumer Zeit eine aktive Strategie bei der Spitex und der Unterstützung von pflegenden Angehörigen, was die Pflegeheimeintritte tendenziell nach hinten verlegt. In den Heimen selbst liegt die Bettenquote pro 1000 Einwohner über 80 Jahre deutlich unter dem nationalen Durchschnitt (VD: 186, GE: 165, CH: 224). Angesichts der eingesetzten Mittel erstaunt es nicht, dass viele Personen im ambulanten Pflege- und Betreuungssektor tätig sind. So verfügen die Spitex Waadt (SASD) über 3,5 und die Spitex Genf über 3,7 Vollzeitstellen pro 1000 Einwohner. Das ist im nationalen Vergleich hoch, denn der schweizerische Durchschnitt liegt nur bei 2,3 Vollzeitstellen pro 1000 Einwohner (vgl. Abbildung).

Wir wollen den interkantonalen Vergleich erweitern: Zwar verfügen die Kantone Genf und Waadt wie die Deutschschweizer Kantone Solothurn und Basel-Landschaft über wenige Pflegeheimbetten, allerdings beschäftigen die letzteren nur halb so viel Spitex-Personal. Es stellt sich deshalb die Frage nach dem optimalen Verhältnis zwischen Pflegeheimbetten und Spitex-Personalbestand. Ein Blick auf die Gesamtkosten pro Einwohner (Spitex und Pflegeheime) zeigt, dass der Kanton Waadt im landesweiten Durchschnitt liegt, während Genf ihn, hauptsächlich wegen der Personalkosten (38% über dem Schweizer Durchschnitt), deutlich übertrifft.

Hinsichtlich der Kosten ist es nicht immer sachgerecht, den Mitteleinsatz auf ambulante Spitex-Angebote zu konzentrieren. So zeigen zum Beispiel mehrere Studien, dass Pflegeheime ab einem Betreuungsbedarf von über 120 Minuten pro Tag aus systematischer Sicht kosteneffizienter funktionieren als die Spitex (dies gilt teilweise bereits ab einem Pflegebedarf von 60 Minuten pro Tag).

Häufig weisen die kantonalen Spitex-Organisationen im Arc lémanique grosse, zentralisierte Strukturen auf (z.B. VD: Avasad und GE: Imad). Diesen Strukturen fehlt es unter Umständen an der nötigen Flexibilität, um künftige Entwicklungen nachzuvollziehen. Wie sich die Bedürfnisse von Senioren künftig entwickeln, ist ungewiss, denn sie bilden keine homogene Gruppe. Sehr viele Deutschschweizer Kantone weisen demgegenüber bei der Spitex schlankere Strukturen auf und lassen privaten Anbietern mehr Raum, die einfacher und schneller auf sich verändernde Bedürfnisse reagieren können.

Gut ausgebaute intermediäre Strukturen

Die Dimension der sogenannten intermediären Strukturen, die in der Planung des Arc lémanique immer wichtiger werden, fehlt in der Abbildung. Die Schaffung von solchen Strukturen – als Mittelweg zwischen ambulanter Pflege und Pflegeheim – ist für die Verzögerung von Pflegeheimeintritten besonders wichtig. Dazu gehören: geschütztes Wohnen, Tages- und Nachtstrukturen sowie unterschiedliche Formen gemeinschaftlichen Lebens wie etwa die «Quartiers solidaires».

Derartige Einrichtungen bzw. Quartiere befinden sich vor allem entlang des Lémans und des Neuenburgersees. Die Idee dahinter ist einfach: Es geht einerseits darum, altersgerechte Wohnungen anzubieten, anderseits um die Förderung der sozialen Vernetzung und Integration von älteren Menschen in die Gemeinschaft. Im Vergleich zur Deutschschweiz, wo Pflegeheimeintritte noch eher als normale Etappe im Leben aufgefasst werden, scheint dieses Angebot im Arc lémanique grösser und interessanter zu sein.

Viele sterben im Spital

Zuhause alt werden, ist eine Sache; dort zu sterben eine andere. Auch diesbezüglich gilt, dass sich viele Menschen wünschen, in den eigenen vier Wänden anstatt in Spitälern oder Alters- und Pflegeheimen zu sterben. Auch wenn es die Pflegestrukturen ermöglichen, zuhause alt zu werden, gibt es gemäss einer Studie des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern hinsichtlich der letzten Lebensstation grosse regionale und kulturelle Unterschiede.

In der Romandie und im Tessin sterben die Menschen häufiger in Spitälern und verbringen dort im Durchschnitt mehr Zeit vor dem Lebensende (gemeint sind die letzten sechs Lebensmonate) als in der Deutschschweiz – mit Ausnahme von Basel-Stadt.

Das hat einen grossen Einfluss auf die Kosten, weil die medizinischen Ausgaben während der letzten Lebensjahre durchschnittlich fünfmal so hoch sind wie die der vorherigen. Daher betragen die Kosten des letzten Lebensjahres gemäss der genannten Studie im Arc lémanique zwischen 36’000 Fr. und 57’000 Fr., während sie in gewissen anderen Regionen zwischen 8000 Fr. und 27 000 Fr. liegen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dies einen Einfluss auf die Krankenkassenprämien im Arc lémanique hat. Es ist allgemein bekannt, dass die Krankenkassenprämien in den Kantonen Waadt und Genf mit 419 Fr. und 480 Fr. bei einem schweizerischen Durchschnitt von 372 Fr. zu den höchsten im Land gehören.

Grosszügige Spitalsubventionen

Die KVG-Revision 2012 hätte dank intensiverem Wettbewerb einen Strukturwandel in der Spitalplanung auslösen und eine effizientere Organisation von Spitalleistungen ermöglichen sollen. Diese Ziele scheinen in beiden Kantonen durch eine protektionistische Spitalpolitik gebremst zu werden. Eine Studie von Professor Felder der Universität Basel zeigt beispielsweise, dass 96 % der gemeinwirtschaftlichen Leistungen (GWL) in der Schweiz öffentlichen Spitälern vergütet werden. Waadt und Genf sind in dieser Hinsicht besonders grosszügig, denn sie bewilligen ihren Spitälern Ausgaben im Umfang von 49 % der in der Schweiz gesamthaft für GWL getätigten Ausgaben, obwohl ihre Bevölkerung nur 15 % der schweizerischen Gesamt-bevölkerung ausmacht. Der Kanton Waadt gibt nicht weniger als 680 Fr. pro Einwohner für GWL aus, Genf 513 Fr., Zürich und Bern, die beide auch über ein Universitätsspital verfügen, zahlen ihrerseits 121 Fr. und 129 Fr. pro Einwohner.

Damit zeichnet sich auch im letzten Lebensabschnitt zwischen Romands und Deutschschweizern ein kultureller Unterschied im Staatsverständnis ab. So sterben die Einwohner des Arc lémanique nicht nur am häufigsten in Spitälern, sondern auch in den am höchsten subventionierten.

Dieser Beitrag wurde erstmals in der Publikation «Einzigartige Dynamik des Arc lémanique» publiziert.