Spürbar breitet sich hierzulande die «Lockdown-Müdigkeit» aus, was keineswegs nur dem garstigen Februarwetter geschuldet ist. Nach fast einem Jahr Pandemiebekämpfung zeichnet sich unser Land punkto Datenlage und daraus resultierender Behördenerlasse keineswegs als Musterschülerin kohärenter Politik aus.
Seit Ausbruch der Pandemie greifen Bund und Kantone in rascher Abfolge zu Massnahmen, die stark auf epidemiologischen Annahmen und Szenarien gründen. Diese stellen sich im Nachhinein oft als wenig stichhaltig heraus. Das «Vorbild» der chinesischen Art der Pandemiebekämpfung – rigide staatliche Eingriffe, Abriegelung und Lockdowns – machte weltweit Schule und in der Logik eines «politischen Herdentriebs» auch vor den westlichen Demokratien nicht Halt.
Das Resultat ist eine empfindliche Einschränkung individueller und wirtschaftlicher Freiheiten. Die Kosten dieser Politik erreichen astronomische Höhen. Allein der aktuelle Lockdown mit den Zwangsschliessungen der Geschäfte reduziert die Wirtschaftsleistung in der Schweiz um 1000 Millionen Franken – wöchentlich! Dazu nehmen gesundheitliche und soziale Sekundäreffekte wie psychische Erkrankungen in der Bevölkerung deutlich zu. Das derzeitige Covid-Krisenmanagement vernachlässigt die zahlreichen Facetten des Gesundheitsempfindens der Bevölkerung.
Je länger die Ausnahmesituation andauert, desto mehr geraten die Behörden in Kritik. Es wird immer offensichtlicher: Die virulenten Zielkonflikte bei der Pandemiebekämpfung akzentuieren sich. Sind die gegenwärtigen Massnahmen des Bundes noch aktuell, angesichts der Tatsache, dass diese Viruskrankheit uns noch länger begleiten könnte? Fast einem bundesrätlichen Tabu gleichkommend lässt «Bundesbern» bis heute offen, inwiefern die weitgehenden Freiheitsbeschränkungen noch gerechtfertigt sind, obwohl die Risikogruppen bald durchgeimpft sind und die Letalität für Nicht-Risikogruppen äusserst minim ist.
Vor diesem Hintergrund lassen sich die Aufrechterhaltung von Grundrechtsbeschränkungen mit dem verfassungsmässigen Prinzip der Verhältnismässigkeit nicht mehr rechtfertigen. Auch wirtschaftspolitische Trade-offs bleiben unbeantwortet wie jener zwischen den ausgebauten «Kurz»-Arbeitsentschädigungen und dem erschwerten Arbeitsmarktzugang für Jugendliche. Für zahlreiche Unternehmen, die Kurzarbeitsentschädigungen beziehen, besteht grundsätzlich ein Einstellungsverbot. Für Jugendliche mindert dies die Beschäftigungschancen deutlich.
In der Pandemiebekämpfung sollte also verstärkt die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt in den Vordergrund gerückt werden, was Gesundheit, Gesellschaft und Wirtschaft miteinschliesst. Das bedingt aber, dass die Politik die bestehenden Zielkonflikte, die Trade-offs zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Bedürfnissen explizit anspricht und die relevanten Fragen beantwortet.
Ein erster Schritt dazu wäre mehr Klarheit darüber, welche hauptsächlichen Ziele der Bund bei der Pandemiebekämpfung verfolgt: Ist es die Verhinderung von Spitalüberlastungen oder die Minimierung von Covid-Todesfällen oder die Reduktion der Anzahl Infektionen? Antworten auf all diese bis heute offenen Fragen würden helfen, eine Perspektive zu schaffen.
Dieser Beitrag ist am 18. Februar 2021 in der «Handelszeitung» erschienen.