Dass der Finanzsektor für die schweizerische Volkswirtschaft von zentraler Bedeutung ist, ist bekannt. Die interessantere Frage lautet vielmehr, ob er diese Leistungen auch in Zukunft erbringen kann, zeichnen sich doch national wie international erhebliche Veränderungen ab. Im Sog der internationalen Staatsschuldenkrise, zu der wohlgemerkt auch einige Banken massgeblich beigetragen haben, entsteht ein neues Regulierungsumfeld. Noch wird heftig über den automatischen Informationsaustausch von Steuerdaten, Steuerflucht und aggressive Steueroptimierung von Holdinggesellschaften gestritten. Die Konturen der neuen Rahmenbedingungen sind noch unscharf. Absehbar sind höhere Eigenkapitalanforderungen und eine intensivere Bankenaufsicht. In jedem Fall müssen die Reformen an verschiedenen Stellen ansetzen:
Kulturwandel nötig
Zuallererst müssen die Banken mit den Veränderungen bei sich selbst beginnen. Dass es im Bankensektor einen Kulturwandel braucht, betonen mittlerweile auch immer mehr Brancheninsider. Gefragt sind die Neudefinition von Geschäftsmodellen und eine strengere Kosten- und Risikokontrolle. Für ihre Wettbewerbsfähigkeit sind die Geldinstitute aber in erster Linie eigenverantwortlich. Sie bestimmen die Angebotspalette und die Servicequalität. Wie andere Unternehmen sollten sie selbständig über ihre Produktionsprozesse («in house» oder «outsourcing») entscheiden können. Politische Vorstösse, die grundsätzlich eine Aufspaltung der Universalbanken anstreben, sind vor diesem Hintergrund wenig zielführend.
Stabilität als wichtigste staatliche Rahmenbedingung
Generell stellt sich der Erfolg von Unternehmen – ob im Finanzbereich oder in anderen Wirtschaftssektoren – niemals völlig losgelöst vom Zustand einer Volkswirtschaft, eines Standortes und letztlich einer Gesellschaft ein.
Bei den Rahmenbedingungen ist der Staat in dreierlei Hinsicht in der Pflicht:
- Eine verlässliche Rechtsetzungs- und Wirtschaftspolitik erhöht die Planungssicherheit für Unternehmen. Auch wenn die Schweiz in internationalen Standortrankings oft weit vorne liegt – hier hat das System Risse bekommen: Es fängt an bei einer Regierung, die keine genauen Vorstellungen über die Zukunft der Schweiz in der Welt hat, bis zur Frage, welche Werte es zu bewahren gilt und wo die rote Linie liegt. Das Parlament ist in grundlegenden Fragen zwischen zwei Polen paralysiert. Ausdruck dafür sind die zahlreichen wirtschaftsfeindlichen Vorhaben auf der politischen Agenda und die ungelösten Fragen in der Steuerpolitik und bei der Sanierung der sozialen Sicherungssysteme. Es macht den Anschein, als ob die Schweiz die strategische Weitsicht und die politische Führung für wichtige Probleme, die heute real existieren und gelöst werden müssen, verloren hätte.
- Voraussetzung für eine liberale Wirtschaftsgesetzgebung ist ferner ein auf Vertrauen basierendes Staatsverständnis, in dem der Bürger dem Staat nicht untergeordnet, sondern gleichberechtigt gegenüber steht. Der Schutz der finanziellen Privatsphäre ist eine zentrale Institution einer freiheitlichen Gesellschaft. Dies war und ist das eigentliche Ziel des Bankkundengeheimnisses – und nicht die Förderung des Finanzplatzes, auch wenn dieser davon leider häufig auch auf widerrechtliche Weise profitiert hat. Bei all diesen Fragen geht es um elementare staats- und rechtspolitische Grundsätze. Deshalb muss die Schweiz auch den Mut haben, ausländischen Staaten, Gruppierungen und Organisationen die Stirn zu bieten. Der liberale Staat brauch weder staatliche Steuerfahnder noch eine «Guardia di Finanza».
- Wirtschaftliche Stabilität bedeutet in erster Linie Preisstabilität und gesunde Staatsfinanzen. Preisstabilität ist – neben dem Wettbewerb – die zentrale Voraussetzung für ein funktionierendes Preissystem und damit für die Marktwirtschaft. Preisstabilität steht nicht im Widerspruch zu Wachstum, sondern sie fördert die wirtschaftliche Prosperität, weil sie Preisverzerrungen und willkürlichen Umverteilungen einen Riegel schiebt und so den effizienten Einsatz volkswirtschaftlicher Ressourcen fördert. Bei der Transformation von Ersparnissen in Investitionen leistet der Bankensektor eine wichtige volkswirtschaftliche Funktion. Gesunde Staatsfinanzen sorgen dafür, dass es zwischen Banken und dem Staat zu keinen wechselseitigen Abhängigkeiten kommt, welche die Finanzstabilität gefährden. Die aktuelle Staatsschuldenkrise in der Euro-Zone illustriert, wie fatal die negativen Rückkoppelungen zwischen staatlicher Solvenz und Solvenz des Bankensystems sein können. Wenn Staaten Banken retten und Banken Staatsanleihen kaufen, weil sie dafür – da angeblich risikolos – kein Eigenkapital unterlegen müssen, wird eine negative Spirale in Gang gesetzt.
Den Pfeiler nicht leichtfertig schwächen
Ohne Zweifel steht der Finanzsektor zurzeit nicht hoch in der Gunst der Öffentlichkeit, und zahlreiche Politiker reden unreflektiert einer Verkleinerung der Grossbanken das Wort. Dabei wird leichtfertig übersehen, dass kurz- bis mittelfristig keine neuen Branchen und Unternehmen bereit stehen, die den Platz des Finanzsektors in der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung der Schweiz einfach übernehmen könnten, wie sich das machbarkeits- und planungsgläubige Bürokraten und Politiker so schön ausmalen. Eine staatliche Industriepolitik, die zukunftsfähige Unternehmen und Sektoren auf dem Reissbrett präsentiert, war in der rauen wirtschaftlichen Wirklichkeit noch nie erfolgreich. Wer einen Pfeiler verkleinert, macht ihn nicht automatisch stabiler.
Die Schweiz wäre gut beraten, ihrem Finanzsektor Sorge zu tragen, denn von profitablen und wettbewerbsfähigen Banken, Versicherungen und anderen Finanzintermediären profitiert das ganze Land. Aus unserer Sicht genügen höhere Eigenkapitalanforderungen, eine gescheite, transparente und effiziente Regulierung, welche die richtigen Anreize setzt und auch leicht kontrollierbar ist, sowie die Durchsetzung des elementaren marktwirtschaftlichen Haftungsprinzips – mit andern Worten: auch Banken müssen untergehen können. Die Schweiz hat es selbst in der Hand, die richtigen Rahmenbedingungen für einen auch in der Zukunft erfolgreichen Finanzsektor zu gestalten.