Dieser Tage ging die Jugend wieder für schärfere Klimaschutzmassnahmen auf die Strasse – bei anhaltendem Regen und 9 Grad, was in Verbindung damit, dass wir uns schon in der zweiten Hälfte des angeblichen Wonnemonats Mai befanden, nicht einer gewissen Ironie entbehrte. Trotzdem waren zahlreiche Plakate mit Forderungen nach einem «System Change» auszumachen. Selbstredend war mit diesem System, das so dringend geändert werden müsse, nicht so sehr spezifisch die Energieinfrastruktur gemeint, sondern vielmehr: der Kapitalismus per se.

Warum geht der Kampf gegen den Klimawandel so oft Hand in Hand mit solchen antikapitalistischen Ressentiments? Ist es einfach Zufall, dass sowohl der Klimaschutz als auch die Überwindung des Kapitalismus linke Anliegen sind – ohne eigentliche Kausalität? Eher unwahrscheinlich. Oder glauben linke Aktivisten wirklich, dass der Kapitalismus schuld am Klimawandel ist?

Sozialismus vs. Marktwirtschaft

Ein Blick zurück in die Geschichte widerlegt diese Annahme eigentlich sofort und in aller Deutlichkeit (vgl. Abbildung): Die zwölf europäischen Staaten, die vor der Wende dem Ostblock oder der UdSSR angehörten, hatten in den 1980er Jahren, also nach einigen Jahrzehnten des Kommunismus, eine enorm kohlenstoffintensive Wirtschaft. 1989 lag ihr CO2-Ausstoss pro Wertschöpfungseinheit mit 1077 Gramm pro USD 183% über dem Durchschnittswert der westeuropäischen Länder (381 Gramm pro USD). Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Einzug der frei(er)en Marktwirtschaft beschleunigte sich der Rückgang dieser Werte, und sie näherten sich zunehmend den westeuropäischen an.

Absolut gerechnet sank der Überschuss zwischen 1989 und 2018 drastisch von 696 auf 143 Gramm pro USD, relativ gesehen sank er auf 84%. Gerade die DDR (aus Gründen der Datenverfügbarkeit nicht in der Grafik zu finden) lieferte ein drastisches Anschauungsbeispiel, wie sozialistische Umweltpolitik versagen kann: Trotz geringem Wohlstand gehörte der ostdeutsche CO2-Ausstoss pro Kopf während den 1970er und 1980er Jahren zu den höchsten weltweit. Es sind also ganz im Gegenteil liberale Marktwirtschaften, die es bisher geschafft haben, mit immer weniger Ressourcen immer mehr Güter herzustellen.

Die Nullsummenspiel-Logik der Kapitalismuskritiker

Eine weitere Erklärung für die Verbrüderung von Klimaaktivismus und Kapitalismuskritik: Die Gegner des Kapitalismus betrachten diesen als Wirtschaftssystem, das auf Ausbeutung fusst. Überhaupt sehen sie überall Nullsummenspiele: Wo jemand profitiert, muss jemand anderes leiden (oder zumindest verzichten), wo jemand viel hat, muss jemand anderes wenig haben. Üblicherweise lautet das Narrativ, dass die einen Menschen (Reiche) die anderen Menschen (Arme) ausbeuten und so die Einkommensverhältnisse und die soziale Schichtung zementieren. Sobald man sich vom Klassenkampf entfernt und die Menschheit als Ganzes sieht, drängt sich nach der gleichen Logik unweigerlich die Frage auf, wen denn bitte die Menschheit ausbeutet, dass sich ihr seit Jahrzehnten steigender Wohlstand erklären lässt. Und die Antwort liegt auf der Hand: Die Umwelt. Wenn die Menschen gewinnen, dann muss die Natur verlieren. Damit erklärt sich auch, warum Klimaaktivisten so oft den Verzicht, die Entbehrung als einzig wirksame Lösung gegen die Klimaerwärmung sehen. 

Liberalismus und Klimaschutz

Während den Kapitalismuskritikern der Klimawandel ein beliebtes Thema ist, haben einige Liberale so ihre Berührungsängste mit dem «Klimaschutz». Das hat vermutlich vor allem einen Grund: Das höchste Ideal von Liberalen ist die individuelle Freiheit, gepaart mit Eigenverantwortung. Gegen jegliche Art von Kollektivismus haben sie dagegen instinktive Abwehrreflexe. Der Klimawandel ist aber genau der Inbegriff dessen, was kollektive Lösungen erfordert. Nicht nur auf der Ebene der Dialektik «Individuum vs. Staat», sondern ebenso «souveräner Staat vs. Weltgemeinschaft». Was Treibhausgase (THG) betrifft, so ist die Welt eine globale Allmende. Von individuellen Anstrengungen profitiert nicht das ausführende Individuum und von nationalen Alleingängen profitiert nicht die jeweilige Nation. Der Ruf nach Eigenverantwortung ist daher (vermeintlich) zwecklos. Es liegt beim Problem des Klimawandels ein klassischer Fall von Marktversagen vor. Kollektive Lösungen müssen her, und diesen begegnen Liberale traditionell skeptisch.

Liberalismus und Klimaschutz stehen bei genauerer Betrachtung jedoch in keinerlei Widerspruch zueinander, sondern ganz im Gegenteil: Richtig verstandener Liberalismus erfordert Massnahmen gegen den Klimawandel. Denn wie schon Immanuel Kant (1724–1804) sagte: Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Oder in den Worten des deutschen Lyrikers Matthias Claudius (1740–1815): Die Freiheit besteht darin, dass man alles das tun kann, was einem anderen nicht schadet. Die «anderen» sind im Falle des Klimawandels weniger unsere Mitmenschen als unsere Nachkommen. Wenn wir heute unseren Energiebedarf derart decken, dass die Menschheit morgen (und noch stärker übermorgen) mit drastischen Folgen der Klimaerwärmung konfrontiert ist, dann schränkt das deren Möglichkeit zum Streben nach Glück ein, bzw. es schadet ihr schlicht und einfach – ergo kommt hier unsere Freiheit an Grenzen.

Auch der Begriff «Eigenverantwortung» lässt sich besser mit dem Konzept «Klimaschutz» vereinen, als es auf den ersten Blick den Anschein macht. Die Eigenverantwortung fordert (im weiteren Sinne), dass ein Individuum die Folgen seines Handelns (oder Nicht-Handelns) selbst trägt und nicht die Gesellschaft dafür aufkommen muss. Ökonomisch bedeutet das auch, dass es für die Kosten seines Handelns aufkommt. Denn nur unter dieser Bedingung wird eine Handlung, die einem mündigen, selbstbestimmten Individuum für sich selbst vorteilhaft erscheint, auch gesamtgesellschaftlich optimal sein. Kann das Individuum Kosten einer Handlung – z.B. des Konsums eines Gutes – hingegen auf andere abschieben, so bezahlen diese mit, obwohl sie an der Entscheidung nicht beteiligt waren. Die Folge ist ein suboptimal hoher Konsum. Die Herstellung von Kostenwahrheit kann dies verhindern.

Genau das gleiche Prinzip gilt für den Klimawandel. THG-Ausstoss heute führt zu Kosten morgen (Anpassungskosten, Schäden, BIP-Verluste). Das wird als «negativer externer Effekt» bezeichnet. Es ist daher eine durch und durch liberale Forderung, dem Individuum einen Gegenwert der künftigen Klimawandelkosten seines heutigen THG-lastigen Konsums aufzuerlegen. Mit einer solchen Internalisierung von externen Kosten könnte erreicht werden, dass das Individuum, selbst ohne jegliche altruistischen Präferenzen, gesamtgesellschaftlich optimale Konsumentscheidungen trifft.

Wirksame Bekämpfung des Klimawandels statt Symbolpolitik

Liberale täten sich und der Welt einen Gefallen, den Klimawandel mit der gleichen Ernsthaftigkeit zu behandeln, wie dies Linke tun. Unter dem Deckmantel des Klimaschutzes kämpfen Letztere nämlich für viele ihrer traditionellen Anliegen – starker Staat, mehr Umverteilung, Begrenzung der Macht des Kapitals, Eingriffe in individuelle Freiheiten zwecks «Verbesserung» menschlichen Verhaltens – und sie haben grosse Chancen, sich durchzusetzen, wenn nicht Liberale ihnen in Sachen Klimawandel ein Narrativ entgegensetzen, das über die pauschale Aussage «es ist gar nicht so schlimm» und «Klimaschutzmassnahmen schaden der Wirtschaft» hinausreicht. Klimaschutz sollte genauso ein Anliegen von Liberalen sein, denn die Forderung nach Kostenwahrheit – auch intergenerationeller – ist urliberal. Und: Klimaschutz ist mit etatistischen Rezepten teurer und weniger wirkungsvoll als mit einem Instrument, das sich bisher schon tausendfach als hochfunktional zum Ankurbeln von Innovationsgeschehen und zur Beeinflussung des Konsumverhaltens erwiesen hat: dem Preis.

Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie in unserer Studie «Wirkungsvolle Klimapolitik».