Die Frage, die sich jeder politisch interessierte Zeitgenosse vor dem Kauf eines Zeitungsabos stellt, nämlich ob das Blatt seinen Preis wert ist, diese Frage nach dem Preis stellt sich «Bundesbern» bis heute nicht in seiner Pandemiepolitik.

Der Schweizer Souverän entscheidet zwar an der Urne über die Finanzierung von neuen Kampfjets bis zur Verbreiterung von Fusswegen. Diese direkt-demokratische Mitsprache trägt zu ausgeglichenen öffentlichen Finanzhaushalten und einer im Vergleich zu unseren Nachbarländern tieferen Staatsquote bei. Frau und Herr Schweizer sind – kulturell bedingt – in Finanzbelangen grossmehrheitlich konservativ. Was sie persönlich im Familienhaushalt vorleben, hat auch für den Staat zu gelten. Es soll nicht mehr als notwendig ausgegeben werden, Einnahmen und Ausgaben sollen sich die Waage halten.

Manna auf Dauer

Die Pandemie stellt diese bewährten Grundprinzipien helvetischer Finanzpolitik auf den Kopf. Im Alleingang hat der Bund innert 11 Monaten über 52 Mrd. Fr. an Ausgaben bewilligt, dazu kommen Bürgschaften im Umfang von fast 43 Mrd. Fr. Die milliardenschweren Härtefallhilfen verdoppeln sich mittlerweile fast im 2-Wochen-Rhythmus.

Doch den vereinigten Linken unter der Bundeshauskuppel gehen die geschnürten Hilfspakete zu wenig weit. Zu «knausrig» seien diese, moniert die SP, gewohnt darin, das Steuergeld anderer grosszügig auszugeben. Derweil die Grünen die Pandemie zum Anlass nehmen, mit einem «Green New Deal» milliardenschwere Konjunkturprogramme zu fordern, der den Umbau unserer heutigen marktwirtschaftlichen Ordnung hin zu einer ökologisch-dirigistischen Staatswirtschaft zum Ziel hat.

Im Zuge der Corona-Pandemie erlebt die Staatswirtschaft neue Blüten. War es bis zum März 2020 vorab der Bauerstand, der vom staatlichen Manna lebt(e), begehren neu Tourismuswirtschaft und Kulturschaffende, aber auch Medienhäuser Finanzhilfen des Staates; nicht nur in Krisenzeiten, sondern wohl von Dauer. Letzte Woche sprach sich die zuständige Parlamentskommission für die Schaffung eines neuen Gesetzes zur Förderung von Online-Medien aus. Es ist kaum zu erwarten, dass Medienschaffende unter grösserem staatlichen Finanzeinfluss eine staatskritischere Haltung einnehmen werden.

Angesichts dieser fiskalpolitisch beunruhigenden Entwicklungen ist zu fragen, ob die finanzpolitischen Disziplinierungsinstrumente nicht auszuweiten sind – etwa durch Einführung des Finanzreferendums auf Bundesstufe.

Wieviel individuelle und wirtschaftliche Freiheitseinschränkungen sind wir bereit zu bezahlen, um die Zahl der Infektionen zu minimieren? (Jon Tyson, Unsplash)

Doch die Frage des Preises zur Bekämpfung der Folgen von Covid-19 stellt sich nicht nur finanziell, sondern auch inhaltlich. Wie viele individuelle und wirtschaftliche Freiheitseinschränkungen sind wir bereit zu bezahlen, um die Zahl der Infektionen zu minimieren? Wie viele andere Krankheiten sind in Kauf zu nehmen, um die Virusausbreitung unter Kontrolle zu bringen?

Die Bundesberner «Kapitäne» des Krisenmanagements haben diese Fragen bislang umschifft. Aber Antworten darauf tun Not, denn die Pandemiebekämpfung beinhaltet systemimmanent Zielkonflikte, die gegenüber der Bevölkerung transparent aufzuzeigen sind. Während man offensichtlich das ethische Dilemma scheut, wächst gleichzeitig die Kritik in der Bevölkerung. Denn ist es gerechtfertigt, dass fünf Personen ein Jahr lang unter Teil-Lockdown-Bedingungen leben müssen, um das Leben eines Menschen ein Jahr zu verlängern? Falls nein, wo liegt die Grenze? Und ist es überhaupt mit unserer demokratischen Ordnung zu verantworten, die Freiheitsrechte der Bevölkerung und Millionen von Werktätigen derart zu beschneiden, wenn die Letalität des Virus für Nichtrisikogruppen sehr gering ist?

Drohender Vertrauensverlust

Anstatt diese Fragen zu beantworten, übt man sich in einem Ad-hoc-Krisenmanagement. Zu stark hat man sich in den letzten Monaten auf epidemiologische Annahmen abgestützt, die sich im Nachhinein oft als wenig stichhaltig erwiesen. Prinzipienbasierte Politik sieht anders aus. Der Preis dafür ist hoch. Seit Ausbruch der Pandemie ist der Anteil von Personen mit Symptomen schwerwiegender Depressionen um den Faktor 6 gestiegen, gegen 1000 Millionen Franken an Wirtschaftsleistung kostet der aktuelle Lockdown wöchentlich.

Die Konsequenz liegt eigentlich auf der Hand: Statt sich um jeden Preis auf die tägliche Zahl der Covid-Infektionen zu fokussieren, sollte das staatliche Krisenmanagement seinen Blick ausweiten auf die ganzheitlichen und langfristigen Folgen für Gesundheit (physisch und psychisch), Gesellschaft und Wirtschaft. Die Zielkonflikte der unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedürfnisse sind anzusprechen und die offenen Fragen, die an jedem (virtuellen) Stammtisch diskutiert werden, zu beantworten. Ansonsten droht ein schwerwiegender Vertrauensverlust seitens des Souveräns. Denn die anhaltenden Grundrechtsbeschränkungen lassen sich mit dem verfassungsmässigen Prinzip der Verhältnismässigkeit nicht mehr rechtfertigen. Der Preis, den die Gesellschaft und die öffentlichen Haushalte bislang bezahlen mussten, ist definitiv zu hoch.

Dieser Text ist am 25. Februar 2021 als Gastbeitrag in der «Weltwoche» erschienen.