Als der Klimaforscher Reto Knutti auf dem Podium unserer diesjährigen Fördererveranstaltung gefragt wurde, welche Massnahmen zur Erreichung des Ziels «netto null bis 2050» er für sinnvoll halte, entgegnete er nach kurzem Zögern, er sehe sich nicht in der Rolle, diese Frage zu beantworten: Er sei als Klimatologe dafür zuständig, die Gesetzmässigkeiten und Folgen des Klimawandels aufzuzeigen. Die Reduktion unserer Treibhausgasemissionen tangiere dagegen technologische, wirtschaftliche und politische Aspekte und falle deshalb nicht in seine Expertise.

Sehr wohl mit dieser Frage hat sich das OcCC, das «beratende Organ für Fragen der Klimaänderung» in seiner «Abschlussarbeit» beschäftigt – das Gremium, das bisher das Uvek in Klimafragen beriet, wird Ende 2021 nach 25 Jahren Existenz aufgelöst. Es ist fachgebietsübergreifend aufgestellt: Neben Naturwissenschaftern (Geografie, Systemökologie, Klimatologie, Hydrologie, Physik) sind auch Professoren aus den Bereichen Public Policy, Nationalökonomie und Umweltökonomie dabei. Man könnte sich besagte Expertise hier also durchaus erhoffen. Und doch denkt man sich nach der Lektüre des Berichts: Hätte das Gremium doch lieber dieselbe Zurückhaltung wie Knutti geübt.

Als erste und prominenteste Massnahme wird die Einführung von «CO2-Budgets für alle» vorgeschlagen. Wörtlich: «Geeignete Rahmenbedingungen für die Umsetzung von personalisierten CO2-Budgets sind im Rahmen von Pilotprojekten zu evaluieren. (…) Die Entwicklung von Technologien, die Informationen zu CO2-Emissionen von Produkten und Dienstleistungen rasch und einfach zugänglich machen, ist zu fördern

Wow. Man würde ja denken, um «netto null bis 2050» zu erreichen, sei es notwendig, Nägel mit Köpfen zu machen. Stattdessen sollen «geeignete Rahmenbedingungen» «im Rahmen von Pilotprojekten» «evaluiert» werden. Zudem soll nicht etwa die Entwicklung von Technologien, die die CO2-Emissionen reduzieren, gefördert werden, sondern bloss die Entwicklung von Technologien, die diese Emissionen messen. Mehr Meta geht fast nicht mehr.

Ein CO2-Budget für jede und jeden?

Genau wie der Abstraktionsgrad des Vorschlags ist dessen eigentlicher Inhalt zu kritisieren: Geht es nach dem OcCC, so soll jede Einwohnerin, jeder Einwohner vom Bund ein jährliches CO2-Budget zugeteilt erhalten – von Jahr zu Jahr sinkend gemäss dem festgelegten Absenkpfad. Das Ziel sei ein «Zwei-Portemonnaie-Ansatz»: Jedes Gut soll neu nicht nur einen Preis in Franken kosten, sondern – in Abhängigkeit seines Herstellungs- bzw. Konsumprozesses – einen «Preis» in kg CO2. Die monetären Einkommen der schweizerischen Wohnbevölkerung unterscheiden sich natürlich deutlich, das CO2-Budget wäre dagegen für jeden und jede gleich. Wer es überschreitet, müsste sich CO2-Zertifikate dazukaufen – von einer «CO2-Zentralbank» oder von Personen, die es nicht ausschöpfen. Das Unsinnige an diesem Vorschlag ist, dass er unterm Strich auf genau das Gleiche hinausläuft wie eine CO2-Lenkungsabgabe – nur mit immens viel höherem Aufwand:

  • «Das Gleiche», weil: Obwohl das CO2-Budget gratis verteilt wird, hätte der CO2-Ausstoss auch in diesem Szenario einen Preis: Wer sein Budget nicht ausnutzt, kann es an Personen verkaufen, denen es zu gering ist. Jedes eingesparte Kilogramm CO2 kann also monetarisiert werden. Genau wie bei einer Lenkungsabgabe, deren Einnahmen vollständig an die Bevölkerung zurückverteilt würden, gälte: Personen mit überdurchschnittlichem CO2-Fussabdruck zahlen drauf, solche mit unterdurchschnittlichem profitieren finanziell vom Instrument.
  • «Viel höherer Aufwand», weil: Um die CO2-Bilanz jedes unserer Konsumgüter zu messen, müsste ein ganzer Staatsapparat aufgebaut werden, der nichts anderes tut, als sämtliche Wertschöpfungsketten auf ihre Treibhausgasemissionen hin zu analysieren. Und zwar auch und gerade jene der importierten Produkte (ohne deren Berücksichtigung der Budget-Ansatz ohnehin keinerlei Vorteile gegenüber dem Lenkungssteuer-Ansatz hat, der ohne internationale Abkommen naturgemäss auf die Jurisdiktion auf Schweizer Boden beschränkt ist). Heerscharen von Beamten würden sich Tag und Nacht (ok nein, von 8–12 und 13–17 Uhr) den Kopf darüber zerbrechen, wie viel Treibhausgase die Fairtrade-Banane vom Feld in Costa Rica bis zum Detailhändler in Niederbipp oder das iPhone von den Köpfen einiger Apple-Designer bis zum Store am Rennweg Zürich ausgestossen hat.

Gegenüber der «NZZ am Sonntag» bestreitet die dem Gremium angehörende Professorin Renate Schubert nicht, dass die Herausforderungen zur Umsetzung dieses Instruments gross sind: «Wir sind längst nicht so weit, dass wir jedem Produkt die verursachte Menge CO2-Emissionen zuteilen können.» Im Bericht steht denn auch wortwörtlich: «Eine flächendeckende und vollständige Einführung ist in kurzer Frist wenig realistisch». Ein langer und steiniger Weg, bloss um etwas zu messen, das aber eigentlich rasch reduziert werden sollte: Eine wirkungsvolle Klimapolitik sieht anders aus.

Viel Aufwand für null Ertrag, ausser der Erbauung des Gemüts: Abschlussarbeit des beratenden Organs für Fragen der Klimaänderung und – im Bild – die Skulptur «Heureka» von Jean Tinguely am Zürichsee. (Wikimedia Commons)

Und obendrauf die Lenkungssteuer

Umso erstaunlicher wirkt der Vorschlag «Klimabudget», als das OcCC als zweite Massnahme – unter dem Titel «Klimadividende für alle» – tatsächlich besagte Lenkungssteuer mit vollständiger Rückverteilung der Einnahmen an die Bevölkerung nennt. Das erweckt Zweifel, ob das Gremium die Implikationen des CO2-Budgets überhaupt verstanden hat: Wenn man schon – korrekterweise – eine umfassende Bepreisung der Treibhausgase vorschlägt, die also Klimakostenwahrheit für Konsumentscheidungen schafft, wozu soll dann noch ein ganzer Beamtenapparat höchst aufwendige Erbsenzählerei betreiben, um parallel dazu eine Budgetlösung zu implementieren?

  • Falls die Antwort lautet, dass der Budgetansatz (im Gegensatz zur Lenkungssteuer) auch die Importe umfassen soll, so ist darauf zu verweisen, dass viel eher auf internationale – möglichst globale – Kooperation gesetzt werden sollte, um die Treibhausgasemissionen auch im Ausland zu bepreisen. Das wäre beispielsweise über die Gründung eines Klimaclubs möglich, der Länder umfasst, die sich verbindlich auf eine Mindestbepreisung der Treibhausgase festlegen. Eine solche Massnahme hätte eine viel umfassendere Wirkung auf die weltweiten Produktionsprozesse ausserhalb der Schweiz als der sehr binnenkonsumorientierte Budgetansatz.
  • Falls die Antwort lautet, dass der Budgetansatz das Bewusstsein für den eigenen CO2-Fussabdruck steigern soll (wogegen den Konsumenten bei der Lenkungssteuer ja tatsächlich nicht bekannt ist, welcher Anteil des Produktpreises auf den CO2-Ausstoss zurückzuführen ist), dann könnte man stattdessen auch eine Label-Lösung (rot, gelb, grün) anstreben. Auch sie ist ein bürokratischer Tiger, aber da das Labeling von Produkten rein beratenden Charakter und keinerlei eigene finanzielle Konsequenzen hat, könnte es mit massiv geringerem Aufwand nach einem «Handgelenk mal π»-Ansatz umgesetzt werden.

Vom Konsum- zum Innovationsfokus

Generell zeugt der Begriff «CO2-Budget» von einem buchhalterischen Denken, das einer wirkungsvollen Klimapolitik nicht zuträglich ist. Um das Pariser Klimaziel zu erreichen, ist es nötig, aus unser aller Effort das Maximum herauszuholen. Dass bedeutet, dass die Treibhausgasemissionen weltweit dort reduziert werden müssen, wo dies am einfachsten möglich ist. Es ist daher eigentlich nur schon unsinnig, von «Budgets» für einzelne Länder zu sprechen. Noch viel unsinniger ist es aber, diese Budgets weiter auf Regionen, Firmen, administrative Einheiten und Individuen herunterzubrechen.

Zweitens, und wichtiger, krankt der CO2-Budget-Vorschlag genau wie das Gros oft gehörter und gutgemeinter Vorschläge zu klimafreundlichem individuellem Verhalten am folgenden Problem: Er fokussiert stark auf den Konsum bzw. auf den Verbrauch. Diese decken aber nur die Nachfrageseite des Marktes für fossile Energieträger ab.

Die Angebotsseite wird ignoriert: Länder mit Erdölvorkommen werde diese fördern, solange der Marktpreis die Förderkosten übersteigt. Das Angebot an fossilen Energieträgern ist also unabhängig von unseren Konsummustern vorhanden. Sinkt die Nachfrage nach Erdöl/Ergas und Co. als Folge von Konsum- und Verhaltensanpassungen in «grünen» Ländern, wird der Marktpreis so fallen, dass die geförderte Menge einfach von anderen «nichtgrünen» Ländern nachgefragt wird. Die Einwohner von «grünen» Ländern können also noch so klimabewusst leben: Am weltweiten CO2-Ausstoss wird das per se nichts ändern. Erst wenn ein Marktumfeld erreicht ist, in dem Länder mit Erdölvorkommen realisieren, dass sie auf absehbare Zeit auch jene fossilen Rohstoffe mit geringen Förderkosten nicht mehr gewinnbringend an den Markt bringen können, werden sie diese dauerhaft im Boden lassen. Das wiederum wird erst der Fall sein, wenn alternative Energieträger so weit entwickelt wurden, dass sie den Fossilen nicht nur im Preis, sondern auch in der Handhabung schlicht überlegen sind. Fossile Energieträger würde damit obsolet – und entsprechend ungenutzt bleiben. Erst damit wird eine drastische Senkung der globalen CO2-Emissionen erreicht.

Dass dies nicht schnell genug geschehen wird, um das Pariser Klimaziel zu erreichen, ist schon heute klar. Noch vor der Marktreife stehende Technologien zur Rückholung von CO2 aus der Atmosphäre (sog. CDR-Technologien, CDR=carbon dioxide removal) werden deshalb eine unverzichtbare Rolle bei der Eindämmung des Klimawandels spielen – umso mehr als auch bei optimistischen Reduktionspfaden in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts negative Emissionen nötig sein werden, die logischerweise ohnehin über keine Form der Konsumanpassung erreichbar sind. Beides – die komplette Ablösung von fossilen durch alternative Energieträger und die Entwicklung marktfähiger CDR-Methoden – hängt entscheidend von der Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft ab.

Der sechste und letzte Vorschlag des OcCC lautet «Ausbau von Kommunikation und Ausbildung sowie Wissenstransfer im Dialog mit Gesellschaft und Politik». Wünschenswert hierbei wäre, dass sich ein solcher Wissenstransfer dann nicht auf das Klein-Klein von Konsumfragen beschränkt, sondern dass er – auch wenn ihm damit die «Jeder-trägt-etwas-zum-Klimaschutz-bei»-Romantik abgeht – auch bei der Vermittlung ökonomischer Grundprinzipien wie Angebot und Nachfrage ansetzt und den Wert des technologischen Fortschritts bei der Lösung der Herausforderung «Klimawandel» betont.

Den liberalen Weg zu einer zu einer CO2-neutralen Zukunft hat Avenir Suisse in der Studie «Wirkungsvolle Klimapolitik» aufgezeigt.