Ein guter Service public wird heute von vielen als typisches Merkmal der Schweiz gesehen. Dabei wird der Begriff allzu oft als plumpes Schlagwort verwendet: Da keine einheitliche Definition besteht, was der Service public genau umfasst, eignet er sich bestens, um auf der politischen Ebene die staatliche Erbringung von Gütern und Dienstleistungen zu fordern. Umgekehrt wird medienwirksam der Abbau und Niedergang des Service public beklagt, sobald der Staat sein Leistungsangebot überdenken und allenfalls anpassen will.

Welche Güter und Dienstleistungen letztlich zum Service public gehören sollen, ist eine politische Frage. Gemäss dem Bundesrat umfasst der Service public jedoch in erster Linie die Grundversorgung mit Infrastrukturgütern und -dienstleistungen, die für alle Bevölkerungsschichten und Regionen des Landes zu gleichen Bedingungen in guter Qualität und zu angemessenen Preisen zur Verfügung stehen sollen. Auf Bundesebene betrifft dies die Grundversorgung in den Sektoren Post, Telekommunikation, elektronische Medien (Radio und Fernsehen) sowie im öffentlichen Verkehr.

Die Digitalisierung fordert auch die Staatsbetriebe

Mit Ausnahme der elektronischen Medien – die SRG ist als Verein konstituiert –, werden die Service-public-Dienstleistungen auf Bundesebene heute von staatseigenen bzw. staatlich beherrschten Unternehmen wie der Post, der Swisscom oder der SBB erbracht. Genauso wie in der Privatwirtschaft zwingt das sich wandelnde technologische, soziokulturelle, ökonomische und politische Umfeld die Service-public-Anbieter dazu, ihre Strategien laufend zu überdenken und anzupassen. Die Herausforderungen für die Staatsbetriebe sind vielfältig (vgl. Abbildung): Wie auch die meisten privaten Unternehmen bewegen sie sich heute in einem globalisierten Umfeld und sind mit sich laufend ändernden gesetzlichen Vorgaben auf der nationalen und internationalen Ebene konfrontiert.

Die konjunkturelle Entwicklung sowie neue Gewohnheiten im den Bereichen Konsum und Mobilität wirken sich auf die Nachfrage nach ihren Produkten und Dienstleistungen aus. Wohl mehr noch als im privatwirtschaftlichen Sektor wird von Staatbetrieben erwartet, dass sie Sozialverantwortung übernehmen sowie ökonomische und ökologische Ziele unter einen Hut bringen. Zudem fordert die fortschreitende Digitalisierung die Staatsunternehmen heraus: Sie lässt die angestammten Tätigkeitsbereiche vieler Service-public-Anbieter kontinuierlich schrumpfen.

Ein illustratives Beispiel für die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Service public liefert der Postsektor, wo sich die Schweiz eine Grundversorgung leistet, die jährlich 350-400 Mio. Fr. kostet. Dies, obwohl immer weniger Briefe versandt werden. Seit Beginn der 2000er Jahre ist das Briefvolumen in der Schweiz um rund einen Drittel eingebrochen, in anderen europäischen Ländern sogar um mehr als 50%. Jährlich werden bis zu 5% weniger Briefe versandt, während die elektronische Kommunikation (Email, SMS, Messenger Services etc.) ihren Siegeszug unaufhaltsam fortsetzt. Der Trend zur E-Substitution bewirkt, dass die digitalen Riesen (Google, Facebook etc.) zunehmend zu Konkurrenten der Post werden, die jedoch im Bereich der Grundversorgung nach wie vor in einem starren Regulierungskorsett verhaftet ist.

Diese Entwicklungen haben unter anderem auch dazu geführt, dass das Schaltergeschäft der Post bei den Briefen in den letzten zwei Dekaden um 70% zurückgegangen ist. Nicht viel besser sieht es bei den Paketen aus, wo das Schaltergeschäft – trotz des boomenden Online-Handels – um beinahe 50% eingebrochen ist. Gleichzeitig werden auch immer mehr Zahlungen bargeldlos abgewickelt und die Rechnungen per E-Banking bezahlt. Entsprechend haben sich die Einzahlungen am Schalter um mehr als 40% verringert.

Obwohl praktisch alle Bürger Zeugen dieser Entwicklungen sind, haben sie in der Schweiz bis anhin keine ernsthafte Debatte über Sinn und Zweck der postalischen Grundversorgung in einer digitalisierten Welt ausgelöst. Im Gegenteil, auf der politischen Ebene ist es en vogue, Vorstösse für den Erhalt oder gar für den Ausbau der Grundversorgung zu lancieren.

Herausforderungen für staatseigene und staatsnahe Betriebe

Überfällige Service-public-Debatte

Die durch Digitalisierung und Globalisierung neu geschaffenen Realitäten würden mehr als genügend Anlass geben, um über den Service public der Zukunft nachzudenken. Die Digitalisierung könnte von der Politik als «Window of opportunity» für Reformen im Service public verstanden werden. Davon scheint die politische Diskussion in der Schweiz jedoch weit entfernt: Obwohl sich die Nachfrage nach vielen herkömmlichen Service-public-Angeboten rückläufig entwickelt, ist kein echter Reformwille spürbar. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass es im Service-public-Bereich längst nicht mehr einfach um eine «angemessene» Grundversorgung mit Infrastrukturgütern und -dienstleistungen für die Schweizer Bevölkerung geht.

Der hauptsächlich gebühren- und steuerfinanzierte Service public ist zusehends zum Spielball von Partikularinteressen geworden. Er steht unter dem Einfluss von Interessengruppen wie den Randregionen, der Verwaltung, den Gewerkschaften, den öffentlichen Unternehmen etc., die damit mehr oder minder unverhüllt regional-, struktur- und verteilungspolitische Ziele verfolgen oder schlicht Gewinnerwirtschaftung betreiben. Nicht verwunderlich, wird jede Reform des Service public als Bedrohung der bestehenden Einkommensquellen (die aufgrund der heutigen Service-public-Regulierung oft auch Monopolrenten sind) empfunden und – oft gleichzeitig von den unterschiedlichsten Seiten – aufs Heftigste bekämpft.

Dabei wären die Prinzipien zur Bestimmung, welche Leistungen zur Grundversorgung gehören sollten und welche nicht, weitgehend klar und könnten als «Leitplanken» für die längst überfällige Debatte über die Zukunft des Service public dienen. Diese sollte sich an Fragen der folgenden Art orientieren:

  • Entspricht das staatliche Leistungsangebot im heutigen Umfeld überhaupt noch einem breiten gesellschaftlichen Bedürfnis?
  • Besteht in einer digitalisierten Welt noch die Notwendigkeit – etwa aufgrund eines Marktversagens – der staatlichen Bereitstellung eines bestimmten Leistungsangebots?
  • Schafft es der Staat mit seinem aktuellen Leistungsangebot effektiv ein bestehendes Marktversagen zu beseitigen?
  • Ist der Staat aufgrund der fortschreitenden Technologie noch in der Lage ein bestimmtes Leistungsangebot zu einem besserer Kosten-Nutzen-Verhältnis als Private zu erbringen?
  • Gäbe es im digitalen Zeitalter grundsätzlich effizientere Wege, um ein bestimmtes Leistungsangebot bereitzustellen?

Weiterführende Informationen finden Sie in der Studie «Postalische Grundversorgung im digitalen Zeitalter».