Der Gedanke von Freiheit und Liberalismus ist mit keiner anderen realexistierenden Staatsform so eng verbunden wie mit der Demokratie. Was läge näher, als Freiheit und Demokratie sozusagen als Schwestern im Geiste zu sehen, die in seltener Eintracht gleichberechtigt zusammenleben und nach den gleichen Werten trachten!

Ist die Demokratie also der Nährboden für die Freiheit schlechthin? Eine Garantin, ja eine Voraussetzung für ihr Gedeihen? Dieser Schein trügt. Wie es mitunter auch bei natürlichen Geschwistern vorkommt, stehen Freiheit und Demokratie in einem Spannungsverhältnis. Dem Liberalismus geht es um die Beschränkung des Staates, auch des demokratischen, damit er die Freiheit der Individuen nicht zu sehr bedränge und verdränge. Der demokratischen Bewegung geht es dagegen nicht um die Beschränkung des Staates, sondern einzig um die Frage, wer ihn lenken und damit über andere Macht ausüben soll. Und weil Macht süss ist, dürsten auch jene, die in der Demokratie an die Schalthebel der Macht gelangen, tendenziell nach immer noch mehr von diesem süssen Gift.

Die Demokratie allein führt deshalb noch lange nicht automatisch zu einem schlanken Staat, der seine Pflichten aufs Nötigste beschränkt und die Freiheit seiner Bewohner so unversehrt belässt wie möglich. Selbst die direkte Demokratie, wie sie die Schweiz kennt, ist nicht per se Garant für eine möglichst grosse Freiheit. Es liegt ja in der Natur des Systems, dass eine Mehrheit die Freiheit einer Minderheit praktisch ebenso massiv beschneiden kann wie eine Diktator. Und dazu kommt, dass solche Entscheide zulasten von Minderheiten – ob Minarett-Verbote, Zweitwohnungsbeschränkungen oder Reichensteuern – mit der Aura der demokratischen Legitimation umgeben sind. Das macht sie moralisch scheinbar weniger angreifbar – und zeigt, dass der Demokratie etwas von einem trojanischen Pferd innewohnt.

Demokratien können überdies leicht an einen Punkt geraten, ab dem die Gefahr besteht, dass besonders viel Mittel umverteilt werden. Dieser Punkt wird sicher dann erreicht, wenn eine Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mehr vom Staat erhält, als sie in Form von Steuern und Abgaben bezahlt. Dieser Punkt ist zwar alles andere als einfach zu bestimmen, unter anderem weil ein Mensch in seinem Leben verschiedene Einkommenssituationen durchläuft und je nachdem belastet oder subventioniert wird, aber es gehört jedenfalls zu den Fallstricken der Demokratie, dass politische Mehrheiten Minderheiten fast konfiskatorisch belasten können. Es passt insofern durchaus ins Bild, dass der überwiegende Teil der Steuern von einer Minderheit bezahlt wird. In der Schweiz zahlen die obersten 40% der Haushalte rund 70% der Steuern inklusive Sozialabgaben. Die untersten 40% bestreiten dagegen lediglich 17% der Steuereinnahmen.

Trotzdem besteht liberale Hoffnung. Die freiheitsfeindlichen Aspekte der Demokratie lassen sich sehr wohl etwas zügeln. Vor allem der Föderalismus wirkt  entschlackend. Der Wettbewerb der Standorte setzt Anreize, möglichst tiefe Steuern zu erheben und möglichst gute Leistungen zu erbringen. Wo dies nicht geschieht, wandern Unternehmen und Bürger ab. Dieser Druck zeigt Wirkung. Und auch das Milizsystem der Schweiz verhindert ein Ausufern des Staates. Es führt zwar zu einer grösseren Identifikation mit dem Staat, wirkt aber gleichzeitig insofern zügelnd, als Milizpolitiker aus Zeitgründen und wegen ihrer grösseren Nähe zur wirtschaftlichen Realität in der Gesetzgebung zurückhaltender und in der Finanzpolitik haushälterischer agieren dürften.

Die Zeiten für Freiheit und Liberalismus stehen nicht günstig. Der Wunsch nach mehr Umverteilung ist weit verbreitet, der Ruf nach mehr Regulierung nach der Finanzkrise in aller Munde. In diesem Umfeld sind radikalliberale Appelle zur Abschaffung oder massiven Einengung des Staates zwar aus liberaler Warte nachvollziehbar, aber ziemlich sicher höchst kontraproduktiv. Zielführender dürfte die Bejahung eines starken, aber schlanken Staates mit möglichst griffigen Institutionen der Selbstbeschränkung sein.