Die Empfehlungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stossen hierzulande nicht immer auf Gegenliebe. Trotzdem hat die Institution einen entscheidenden Vorteil: Sie analysiert die Schweiz und ihre Wirtschaftspolitik als aussenstehende Beobachterin. Man sollte ihre Analysen und Empfehlungen deshalb sehr ernst nehmen und nicht vorschnell in den Wind schlagen. Es gilt, ihre konsequente Aussensicht konstruktiv zu nutzen, denn wie ein Unternehmen können auch Staaten an einer Art Betriebsblindheit leiden.

Identische Hauptdiagnose

Im am Dienstag veröffentlichten Länderbericht zur Schweiz (OECD Economic Surveys: Switzerland November 2017) tauchen denn auch viele Empfehlungen auf, die zum Forderungskatalog von Avenir Suisse gehören. Die Übereinstimmung beginnt bei der Hauptdiagnose: Die OECD attestiert der Schweiz ein ausserordentlich hohes Wohlstandsniveau, gemessen am kaufkraftbereinigten Pro-Kopf-Einkommen, sieht diese Position aber gleichzeitig in Gefahr. Grund dafür ist das zu schwache Produktivitätswachstum – eines der tiefsten aller OECD-Länder. Weiter fällt auch der OECD der hohe Teilzeitanteil der Frauen und die Stagnation des einheimischen Arbeitsvolumens auf dem Arbeitsmarkt auf. Wie Avenir Suisse vertritt sie die Ansicht, dass es unklug wäre, sich allein auf die Zuwanderung zu verlassen.

Wege zu höherer Produktivität

Bemerkenswert ist der hohe Grad an Übereinstimmung zwischen der OECD und Avenir Suisse bei den Empfehlungen für mehr Produktivitätswachstum:

  • Senkung der Markteintrittsbarrieren, Liberalisierung und Privatisierung in den Bereichen Energie, Telekommunikation und Verkehr
  • Privatisierung der Swisscom als Priorität
  • Abschaffung der Staatsgarantien bei den Kantonalbanken zur Reduktion staatlicher Risiken
  • Senkung der Markthürden im grenzüberschreitenden Handel von Gütern und Dienstleistungen, namentlich im Agrarbereich
  • Reduktion der Agrarsubventionen (Direktzahlungen)
  • Abschluss der in Verhandlung befindlichen Freihandelsabkommen mit den asiatischen und den Mercosur-Staaten
  • Abbau bürokratischer Hürden für Start-ups

Wie der Arbeitskräfteknappheit zu begegnen wäre

Weiter diagnostiziert die OECD eine anhaltende Knappheit bei gut und hoch qualifizierten Erwerbstätigen, unter anderem auch, weil das Erwerbspotenzial der Frauen zu wenig genutzt wird. Wie Avenir Suisse schlägt die OECD vor:

  • Einführung der Individualbesteuerung, um negative Arbeitsanreize verheirateter Frauen zu eliminieren
  • Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wo die Schweiz im Hintertreffen ist
  • Senkung der Kosten für externe Kinderbetreuung
  • Vereinfachung des Zuzugs von Arbeitskräften aus Drittstatten (ausserhalb des EU/EFTA-Raums) durch Erweiterung der Kontingente und Senkung der Hürden (Inländervorrang).

Bildungspolitisch empfiehlt die OECD, sowohl den schulischen Teil (Allgemeinwissen) in den Berufslehren als auch den Praxisbezug der Hochschulen zu stärken. Die Durchlässigkeit zwischen der Berufsbildung und den akademischen Programm ist noch weiter zu verbessern. Damit mehr innovative KMU Lehrlinge ausbilden, müssen mehr Berufslernverbunde geschaffen werden.

Zur finanziellen Sicherung der Altersvorsorge schlägt die OECD wie Avenir Suisse vor, das Renteneintrittsalter an die Entwicklung der Lebenserwartung zu koppeln und damit zu entpolitisieren. Weiter seien die Erwerbsanreize am Ende der Karriere zu verbessern und die Gesundheitsförderung der Unternehmen zu stärken, um die Erwerbsfähigkeit älterer Arbeitnehmer zu erhalten.

Übers Ganze gesehen liest sich der OECD-Bericht zu weiten Teilen wie das Programm von Avenir Suisse. Das ist bemerkenswert, steht die OECD doch nicht im Ruf einer liberalen Organisation wie Avenir Suisse. Doch gerade von aussen gesehen und jenseits weltanschaulicher Unterschiede erscheint vieles offensichtlich und dringlich, was in der reformmüden Schweiz heftig umstritten ist.