Am 26. Februar hat an der Universität Bern die Aula-Veranstaltung der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik mit Avenir Suisse zum Thema Rüstungskontrolle stattgefunden. Nationalrätin Christa Markwalder wies in ihren Eröffnungsworten auf den weltweit erodierenden Multilateralismus hin. Aufrüstung – auch atomare – sei in Zeiten neuartiger Konflikte wieder an der Tagesordnung. Anschliessend referierte Oliver Thränert zum Thema «Die nukleare Welt ist ausser (Rüstungs-) Kontrolle».

Der Leiter des Think-Tank am Center for Security Studies der ETH Zürich machte gleich zu Beginn klar, dass der Mensch drei Jahrzehnte nach dem kalten Krieg noch immer über das Potenzial verfügt, sich als Gattung selber auszulöschen: Zurzeit gäbe es weltweit 14’000 einsatzbereite Atomwaffen.

Brandaktuell seien nukleare Konflikte nicht trotz, sondern gerade wegen neuen Bedrohungsarten wie Cyberangriffen. Moderne, konventionellere Waffensysteme würden komplementär zu den Atomwaffen eingesetzt und erhöhten so das Bedrohungspotenzial grundsätzlich. Nur mit weiteren Rüstungskontrollen sei Nuklearkonflikten deeskalierend vorzubeugen. Das Instrument dürfe dabei nicht zwingend als Abrüstung verstanden werden, sondern diene dazu, Rüstungsbemühungen zu steuern.

Oliver Thränert im Gespräch mit Patrick Dümmler (l.) und Markus Mugglin (r.). (Leonie Mugglin)

Ausser Kontrolle seien die weltweiten Rüstungsaktivitäten, weil wichtige Mechanismen wie der ABM- und der INF-Vertrag aufgelöst wurden. Ausserdem erschwerten neue atomare Mächte wie China, Pakistan, Indien und Nordkorea die Etablierung neuer Abkommen. Sowohl für die USA als auch für Russland ergebe es wenig Sinn, neue Kontrollverträge ohne China abzuschliessen, das Frankreich in spätestens zehn Jahren als drittgrösste Atommacht abgelöst haben wird.

Das Reich der Mitte wiederum habe wenig Anreiz, seine atomare Aufrüstung zu stoppen, solange sein Atomarsenal noch nicht mit dem amerikanischen oder russischen mithalten kann. Ausserdem liege es im strategischen Interesse Chinas, dass sich auch Indien an neuen Rüstungsabkommen beteiligt. Weil China jedoch aus innenpolitischen Gründen Indien nicht als ebenbürtige Atommacht anerkennen will, seien Rüstungsabkommen auf unbestimmte Zeit unwahrscheinlich.

Aus amerikanischer Sicht wiederum sei ein neues «Gleichgewicht des Schreckens» unerwünscht, da neue Player wie Nordkorea von den USA als irrational eingestuft werden. Entsprechend steige die amerikanische Proliferation im Bereich der Raketenabwehr an, um einen Zweitschlag aus Asien zu verhindern. Dies wiederum hat Rückwirkung auf die Beziehung zwischen Washington und Moskau, da Russland sich an der amerikanischen Raketenabwehr stört.

Für Oliver Thränert ist es deshalb wichtig, Rüstungskontrolle neu zu denken. Konkrete Vorschläge machte er noch nicht, plädierte jedoch dafür, sich auf den eigentlichen Kern des Rüstungskontrollkonzepts zurückzubesinnen. Die Sicherheit des Gegners müsse im eigenen Interesse immer mitgedacht werden.

Im anschliessenden Gespräch mit Patrick Dümmler (Avenir Suisse), Markus Mugglin (SGA-ASPE) und dem Publikum erklärte Thränert, neue Impulse der Rüstungskontrolle müssten aus Europa kommen, was Frankreich bereits signalisiere. Die Schweiz könne als Brückenbauerin fungieren und ihre guten Dienste für die atomare Rüstungskontrolle einsetzen.

Insgesamt hinterliessen die Überlegungen Oliver Thränerts ein zwiespältiges Gefühl: Mit der gegenwärtig zu beobachtenden Proliferation auf allen Seiten scheint die nukleare Gefahr wieder zu steigen, weil sie von verschachtelten geopolitischen Interessen geleitet wird. Optimistisch stimmt, dass die europäischen Länder und insbesondere die Schweiz Impulsgeber und Brückenbauer für neue Rüstungskontrollen sein können. Für die Zukunft der Sicherheit auf dem europäischen Kontinent und weltweit ist also eine transnationale Kooperation entscheidend.

Weiterführende Informationen finden Sie in unserem Think-Tank-Report «Die Zukunft der Sicherheitspolitik in Europa».