Der russische Aggressionskrieg gegen die Ukraine hat die seit mehreren Monaten volatilen Strompreise weiter durcheinandergewirbelt. Innert eines Jahres sind die europäischen Handelspreise um rund das Zehnfache gestiegen.
Finanzielle Unterstützung für Haushalte, Rettungsschirme für klamme Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) und eine Wasserkraftreserve zur Überbrückung ausserordentlicher Versorgungsengpässe sind nur drei der aktuell diskutierten Massnahmen, die man vor einigen Jahren noch für unmöglich gehalten hätte.
Nicht Millionen, sondern Milliarden sollen es richten. Die finanzielle Hemmschwelle der Bundespolitik für Rettungsaktionen ist seit der Pandemie drastisch gesunken. Die Strombranche ist dafür besonders empfänglich, denn seit Jahrzehnten hat man sich daran gewöhnt, dass die Politik nicht nur die Rahmenbedingungen regelt, sondern subventioniert, finanziert und ihre gestalterische Kreativität auslebt. Zuschläge auf dem Energiepreis für den Ausbau der erneuerbaren Energien, für die Energieberatung, für den Bau von Fischtreppen, Vorschriften zu Restwassermengen und zum Landschaftsschutz – um nur einige zu nennen – die politisch induzierten Kosten und rechtlichen Anforderungen sind hoch und steigen aufgrund neuer Begehrlichkeiten weiter.
Weshalb lässt sich die Branche dies gefallen? Die Akteure im Schweizer Strommarkt sind aus historischen Gründen überwiegend Staatsunternehmen, im Besitz von Kantonen und Gemeinden. Sie bestimmen als Eigentümer – über den oft nach politischen Gesichtspunkten zusammengestellten Verwaltungsrat – die strategische Ausrichtung der EVU. Wie wichtig dabei finanzielle Interessen sind, zeigt sich exemplarisch an den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich (EKZ). Gemäss EKZ-Gesetz hat das Staatsunternehmen die Pflicht, dem Kanton einen «angemessenen Anteil des Bilanzgewinns» auszuschütten. Zuletzt mussten jährlich mindestens 30 Millionen Franken abgeliefert werden – vom Kantonsparlament gesetzlich so festgelegt. Würde es einmal nicht reichen, Gewinne aus dem operativen Geschäft in die Staatskasse abzuführen, darf (gemäss EKZ-Gesetz) auch auf die Reserven zurückgegriffen werden. Für die Festsetzung der Strompreise sollen die Bedürfnisse der Kunden «nach Möglichkeit» berücksichtigt werden, d.h. eine Pflicht hierzu gibt es nicht.
Man reibt sich die Augen: Kostentreibende Zuschläge und Regularien, staatliche Unternehmen mit Gewinnpflicht und die explizite Erwähnung, dass die Kundenbedürfnisse zweitrangig sind. Das EKZ-Gesetz ist exemplarisch für den Umgang von Politik und Staatsunternehmen mit den Stromkonsumenten. Einige Beispiele:
- Die Marktprämie für die Grosswasserkraft sollte den Produzenten einen Anreiz bieten, bei sinkenden Strompreisen in den Erhalt und Zubau von Kapazitäten zu investieren. Letzteres geschah, trotz geflossener Gelder der Stromkonsumenten, nur ungenügend. Statt den Zuschlag auslaufen zu lassen, verlängerte ihn das nationale Parlament kürzlich. Zusätzlich stossend ist, dass die Massnahme asymmetrisch wirkt, d.h. in der jetzigen Situation hoher Strompreise (und Gewinne) die begünstigten Unternehmen nichts zurückzahlen müssen.
- Den EVU gelang es vor mehreren Jahren, die Berechnungsgrundlagen für die Netzkosten politisch so zu definieren, dass ihre Netze inzwischen eigentlich mit Gold ummantelt sein müssten. Denn Stromkonsumenten bezahlen nicht nur die Kosten für die Energie, sondern auch Zuschläge für die Nutzung der Netze. Die Entgelte sind hoch, der für die Berechnung verwendete Zinssatz der Netzkosten lag in den letzten Jahren mehrere Prozentpunkte über dem Marktzins. Dies spült zusätzliches Geld in die Kassen.
- EVU erzielen wohl mindestens einen Teil ihres Gewinnes aus dem Monopolgeschäft. KMU und private Haushalte, immerhin 99% der Anschlüsse in der Schweiz, haben keine Möglichkeit, ihren Stromlieferanten frei zu wählen, sie sind an ihr lokales EVU gebunden. Die vollständige Marktöffnung steckt seit 13 Jahren politisch fest – und es sieht nicht danach aus, als würde der nötige Liberalisierungsschub bald erfolgen. Zu gross sind die Interessen, die lokalen Monopole weiterbestehen zu lassen.
- Auch die «Alpen-OPEC» mischt munter mit. Über das Instrument der Wasserzinsen wird die Energiepolitik zur Gehilfin der Regionalpolitik: Strombezüger bezahlen via EVU eine Abgabe zugunsten der Standortkantone und -gemeinden der Wasserkraftwerke. In manchem Bergtal machen die Wasserzinsen den Grossteil der öffentlichen Einnahmen aus. Moderne Gemeindesäle, grosszügig angelegte Sportinfrastrukturen, sogar eine finanzierte Ankunft der Tour de France zeugen vom alpinen Geldsegen. Selbstredend werden die so eingenommenen Summen bei Berechnung des nationalen Finanzausgleichs nicht berücksichtigt, getreu dem Motto: Lasst das Wasser von den Bergen und das Geld aus dem Unterland fliessen!
Bis jetzt sind die höheren Strompreise für die meisten Konsumenten in der Schweiz noch nicht direkt spürbar. Ein Loblied auf den regulierten Markt also? Nein. Die Preise für die im Monopol belieferten Anschlüsse wurden bereits letztes Jahr festgelegt, der Preisschock dürfte also erst 2023 folgen. Gegeben die Historie ist nicht zu erwarten, dass die politischen Entscheidungsträger in den Kantonen, aber auch beim Bund, mutige Schritte unternehmen, um den Kostenanstieg zu begrenzen. Ein Preisdeckel oder die Subventionierung notleidender Haushalte bekämpft nur die Symptome und geht nicht die – zumindest von der Schweiz beeinflussbaren – Ursachen an.
Es gibt genügend Variablen, die in der Summe den Strompreis definieren. Doch statt zu deregulieren und Kosten zu reduzieren, werden munter weitere Zuschläge ersonnen, bzw. befristete Abgaben verlängert. Dies konnte bis vor einigen Jahren gut kaschiert werden, als die Strompreise im Keller waren. Nun hat der Wind gedreht, die Belastung der Stromkonsumenten wird spürbar steigen – höchste Zeit, die Segel politisch neu zu setzen.