Trotz finanzieller Förderung und Bevorteilung des Schienengüterverkehrs wächst der Transport auf den Schweizer Strassen dynamischer. Das hängt vor allem mit der gestiegenen Produktivität der LKW sowie veränderten logistischen Bedürfnissen der Industrie zusammen.
Die Bevorzugung des Transports auf der Schiene wird in der Politik vor allem mit den hohen externen Kosten des Strassenverkehrs begründet. Dazu gehören Kosten im Zusammenhang mit Unfällen, Lärm und Luftverschmutzung. Schätzungen des Bundes gehen davon aus, dass die externen Kosten pro transportierte Tonne auf der Strasse etwa 7-mal höher sind als auf der Schiene. Es mag daher gute Gründe geben, die Schiene gegenüber der Strasse zu begünstigen. Ökonomisch sinnvoll wäre eine Lenkungsabgabe, die den Transport auf der Strasse stärker belastet als jenen auf der Schiene. In der Politik aber setzt man auf vielfältigere und dadurch weniger transparente Lösungen, um die im Alpenschutzartikel der Bundesverfassung festgeschriebene Verlagerung des alpenquerenden Gütertransports auf die Schiene zu erreichen.
Bisher wenig erfolgreiche Eingriffe
Im Zentrum steht die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA), die in erster Linie ein Instrument zur Anrechnung der externen Verkehrskosten auf der Strasse darstellt. Darüber hinaus wird der Schienenverkehr mit Subventionen für die Modernisierung der Schieneninfrastruktur gefördert, und zusätzlich wird der kombinierte Verkehr mit über 200 Mio. Fr. jährlich unterstützt. Die Bevorteilung der Schiene gegenüber der Strasse erfolgt zudem über nicht-finanzielle Instrumente. Während in vielen Ländern Europas keine oder nur auf Sonn- und Feiertage beschränkte Fahrverbote für LKW gelten, besteht in der Schweiz zusätzlich ein Nachtfahrverbot für LKW über 3,5 Tonnen. Bereits in den 1990er Jahren galt ein generelles Fahrverbot für schwere Lastwagen über 28 Tonnen. Diese Gewichtslimite musste im Zuge der bilateralen Verhandlungen mit der EU auf 40 Tonnen angehoben werden.
Die Begünstigung der Schiene scheint allerdings wenig «genützt» zu haben. Seit den 1980er Jahren wächst in erster Linie die Transportleistung auf der Strasse, so dass die Schiene an Marktanteil verloren hat. Heute liegt der Anteil des Schienengüterverkehrs unter 40%. Besonders ausgeprägt ist der Bedeutungsverlust im Binnenverkehr – obschon auch hier die Schiene vom Nacht- und Sonntagsfahrverbot für LKW profitiert. Besser behaupten kann sich die Schiene im Nord-Süd-Transitverkehr, wo neben der Verlagerungspolitik die wirtschaftlichen Vorteile der Bahn im Zusammenhang mit dem Langstreckenverkehr positiv wirken. Dass die Bahn kontinuierlich an Konkurrenzfähigkeit verliert, hängt vor allem mit den massiven Produktivitätsfortschritten beim Transport auf der Strasse zusammen. Dazu trug in erster Linie die höhere LKW-Gewichtslimite bei. Daneben profitierte der Strassentransport von den veränderten Geschäftsmodellen in der Industrie. Der Wandel von rohstoffintensiven und schweren Produkten zu hochwertigen Fertigwaren und kleineren Losgrössen sowie verbreitete Just-in-Time-Prozesse verlangen nach höherer Flexibilität und grösserer zeitlicher Zuverlässigkeit. Das kann der Transport auf der Strasse eher bieten.
Güterverkehr ist kein Service public
Ob die Vielfalt der Bevorteilungen des Schienenverkehrs gegenüber der Strasse lediglich zu einer Korrektur der externen Kosten führt, ist a priori nicht klar. Denkbar ist auch, dass die Schiene zu stark profitiert, so dass eine wettbewerbliche Verzerrung resultiert. Als Folge davon wäre der Marktanteilsgewinn der Strasse sogar noch zu gering ausgefallen. Diese These ist nicht abwegig, schliesslich wurde der Strassentransport in den vergangenen Jahren nicht nur deutlich produktiver, sondern er kann auch die veränderten spezifischen Bedürfnisse der Kunden tendenziell besser abdecken. Die politisch gewollte Verkehrsverlagerung führte unter diesen Voraussetzungen sogar zu volkswirtschaftlich negativen Effekten: Strukturwandel und Effizienzsteigerungen würden künstlich unterdrückt.
Der Gütertransport auf der Schiene stellt jedoch weder einen Selbstzweck dar, noch handelt es sich bei ihm um einen Service public. Schliesslich ist der Gütertransport kein öffentliches Gut, das in der ökonomischen Theorie durch Nicht-Ausschliessbarkeit und Nicht-Rivalität beim Konsum charakterisiert ist. Ob und in welchem Ausmass der Gütertransport auf der Schiene oder der Strasse erfolgt, sollte in erster Linie durch einen funktionierenden Wettbewerb entschieden werden (bei dem externe Effekte in den Preisen adäquat berücksichtigt werden, z.B. durch entsprechende Lenkungsabgaben). Zusätzliche Subventionen für die Schiene oder die Strasse wirken dagegen verzerrend und sie schwächen das Verursacherprinzip. Letztlich gibt es keinen ersichtlichen Grund, weshalb die Steuerzahler die Bedürfnisse der Transportkunden mitfinanzieren sollten.
Deshalb rechtfertigen auch die anhaltenden Verluste von SBB Cargo in keiner Weise eine zusätzliche Subventionierung durch den Bund – etwa im Rahmen einer expliziten Bestellung und finanziellen Abgeltung durch Steuergelder. Umgekehrt darf das Güterverkehrsgeschäft auch nicht längerfristig durch Erträge aus dem (wenig wettbewerblichen) Personenverkehr gedeckt werden. Diese Quersubventionierung schafft ihrerseits Wettbewerbsverzerrungen innerhalb des für den Markt geöffneten Schienengüterverkehrs. Die politischen Ansprüche an den Schienengüterverkehr, aber auch das Cargo-Geschäftsmodell der SBB sollten sich daher möglichst rasch und konsequent an den Bedürfnissen des Marktes ausrichten.
Dieser Artikel erschien in der «Zürcher Wirtschaft» vom November 2011.