Nach wie vor gehört die Schweiz zu den innovativsten Ländern der Welt. Die gute Ausgangslage beruht weitestgehend auf den qualifizierten Fachkräften, die das Bildungssystem hervorbringt. Diese Qualifikation steht zurzeit auf dem Spiel, da digitale Bildung sehr unterschiedlich interpretiert wird. Eine wissensbasierte Gesellschaft ist aber dringend auf vertiefte Kenntnisse in der Verarbeitung von Informationen angewiesen. Gerade deshalb gilt die Informatik als eine der Leitwissenschaften des 21. Jahrhunderts.

In Anbetracht der seit einigen Jahren rückläufigen Zahl von Firmenniederlassungen ist Googles Eröffnung eines weiteren Büros in Zürich eine positive Nachricht. In der Limmatstadt befindet sich heute der grösste Google-Standort ausserhalb der USA. Ausschlaggebend für die Standortattraktivität ist mitunter der Zugang zu qualifizierten Fachkräften. Gerne werden hierbei das Bildungssystem der Schweiz sowie die beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen mit ihrer herausragenden Forschung als Garant für gut ausgebildete Arbeitskräfte genannt. Es erstaunt somit nicht, dass insbesondere dank Urs Hölzle, Senior Vice President für die technische Infrastruktur bei Google und ETH-Absolvent, die Standortwahl auf Zürich fiel.

Standortwettbewerb

Der positive Entscheid soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Zürich in hartem Wettbewerb mit Dublin, London oder Berlin steht. Zwar lobte Eric Schmidt, Verwaltungsrat von Alphabet Inc., der Dachholding von Google, in einem «Blick»-Interview das Schweizer Bildungssystem und die direkte Demokratie. Dieses Lob macht stolz, entbindet uns jedoch nicht von der Pflicht, weiteren Reformbedarf anzumelden, denn sowohl auf der Primar- als auch auf der Sekundarstufe wurde Informatik als Schulfach erst kürzlich in den Lehrplan aufgenommen. Während in vielen Kantonen über die Stundentafel und die Umsetzung ausführlich debattiert wird, sind die baltischen Staaten in Sachen Informatik-Bildung der Schweiz um Längen voraus.

Obschon die Generation der «Digital Natives» mit Internet und iPhone aufwuchs, ist sie nicht automatisch in der Lage, deren Funktionsweise zu erklären. (Igor Starkov, unsplash)

Fundierte Informatikkenntnisse sind essenziell, damit wir die digitale Welt verstehen. Täglich sind wir mit technisierten Anwendungen unterschiedlichster Art konfrontiert, die unser Leben bestimmen. Wir tun gut daran, die fundamentalen Zusammenhänge zu kennen, um deren Entwicklung zumindest verfolgen und idealerweise gestalten zu können. In Anbetracht des aktuellen Lehrprogrammes läuft die künftige Generation jedoch Gefahr, lückenhaft auf die kommenden Umwälzungen vorbereitet zu werden.

Anwenderkompetenz genügt nicht

Es ist ein Irrglaube, dass Kinder Computer oder Programme verstehen, weil sie diese bedienen können. Obschon die Generation der «Digital Natives» mit Internet und iPhone aufwuchs, ist sie nicht automatisch in der Lage, deren Funktionsweise zu erklären. Selbst bei der Anwendung bestehen grosse Unterschiede: Eine Studie der britischen Medienaufsichtsbehörde Ofcom hat ergeben, dass zwei Drittel der 12- bis 15-jährigen Kinder und Jugendlichen bei einer Suchanfrage nicht zwischen Einträgen und Werbung differenzieren können. Daher dürfen Informatikwissen und Medienbildung nicht von Anwenderkompetenz abgeleitet werden. Aufgrund natürlicher Sprachsteuerung in Verbindung mit digitalen Assistenten werden die Bedienungsanforderungen an die Nutzer sogar sinken und somit die Diskrepanz zwischen Informatikwissen und Anwendungskompetenz zunehmen. Schon heute vermögen diese digitalen Helfer auf diverse Fragen Antworten zu liefern. Konsequenterweise bedeutet dann Anwenderkompetenz einzig, sprechen zu können – dies nicht einmal grammatikalisch korrekt.

Gewiss werden im Lehrplan 21 mit dem Modul «Medien und Informatik» auf Grundstufe digitale Kompetenzen in der Schulausbildung verankert. In der Ausgestaltung darf dem Bereich Medien jedoch nicht der Vorzug gegeben werden. Das Modul stellt kein eigenständiges Fach dar, in dem Grundkonzepte der Informatik vermittelt werden. Das ist nicht gleichzusetzen mit der Informatikanwendung (Digital Literacy), die das Nutzen von Programmen zur Textproduktion oder Kommunikation zum Gegenstand hat. Informatik als Wissenschaft (Computer Science) beschäftigt sich mit der systematischen Verarbeitung von Informationen mithilfe von Computern.

Auch im Rahmenlehrplan für die Maturitätsschulen spielt Informatik als «obligatorisches» Fach eine untergeordnete Rolle, da es kein Grundlagenfach ist und somit auch nicht zum Kern der Maturität zählt. Denkbar knapp fiel der Entscheid der EDK gegen Informatik als Grundlagenfach aus. Ausschlaggebend waren die damit einhergehenden höheren Kosten. Es entbehrt nicht gewisser Ironie, dass Informatik bereits einmal Bestandteil des gymnasialen Fächerkanons war. 1995 wurde sie dann in Zürich herausgekippt.

Grundlage für selbstbestimmte Bürger

Das Fehlen von qualifiziertem Informatiklehrpersonal stellt die Schulen vor erhebliche Probleme. Die Einführung des Informatikunterrichts darf aber nicht auf der Entschlossenheit weniger Schulen beruhen, da diese Beliebigkeit die Idee der gleichen Bildungschancen untergräbt. Das Schulfach Informatik soll nicht in erster Linie den Fachkräftemangel in Informatik bekämpfen, sondern die Grundlage für selbstbestimmte Bürger in der vorherrschenden Informationsgesellschaft schaffen. Darin ist Informatik Voraussetzung für das mit der Bildung angestrebte eigenständige und aufgeklärte Handeln und gehört somit zur Allgemeinbildung. Darüber hinaus stellen Informatikkenntnisse ein Erfordernis für das zeitgemässe Studium vieler Forschungsrichtungen dar.

Bisher war das schweizerische Bildungssystem in der Lage, sowohl qualifizierte als auch innovative Fachkräfte hervorzubringen. Diese Fähigkeiten sind vital für die Prosperität der Schweiz als ressourcenarmes Land. Die Zeit drängt, die kommenden Schülerinnen und Schüler auf das digitale Zeitalter vorzubereiten. Und das nicht bloss, um den Werkplatz Schweiz zu stärken, sondern auch um dafür zu sorgen, dass die Bürger ihre Verantwortung wahrnehmen können.