Der Schutz des Wettbewerbs ist eine wichtige ordnungspolitische Aufgabe in einer Marktwirtschaft. Sie wird in erster Linie über das Wettbewerbsrecht sichergestellt, dessen Anwendung in der Regel einer Wettbewerbsbehörde obliegt. An der herkömmlichen Aufgabenstellung der Wettbewerbsbehörden hat sich mit der Digitalisierung nichts Grundlegendes geändert: Sie sollen nach wie vor den Wettbewerb sichern und schützen, um die gesellschaftliche Wohlfahrt zu erhöhen.

Die Frage, ob diese Aufgabe mit dem aktuellen Wettbewerbsrecht noch erfüllt werden kann, stellt sich jedoch je länger desto mehr. Die Digitalisierung hat nämlich nicht nur zu einer spürbaren Intensivierung des Wettbewerbs geführt und viele neue Geschäftsmodelle ermöglicht, sondern gleichzeitig verschiedene Herausforderungen für die Wettbewerbsbehörden geschaffen. Diese bestehen unter anderem in der im Internet vorherrschenden «Kostenlos-Kultur» und den Konzentrationstendenzen von Märkten in der digitalen Ökonomie. Zudem ist eine zunehmende Verbreitung von internetbasierten Handelsplattformen zu beobachten, die oft mit vertraglichen Klauseln – wie Bestpreis- oder Meistbegünstigungsklauseln – arbeiten, deren ökonomische Effekte weitgehend unklar sind.

In der globalisierten Wirtschaft sind den nationalen Wettbewerbshütern vielfach die Hände gebunden. (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

In der globalisierten Wirtschaft sind den nationalen Wettbewerbshütern vielfach die Hände gebunden. (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

Wo hört der Markt auf? Und wo fängt er an?

Nur schon die Frage, auf welchen Märkten ein Unternehmen eigentlich tätig ist, kann sich in der digitalen Wirtschaft als komplex erweisen. In der analogen Welt mit direkten Nachfrager-Anbieter-Beziehungen waren die Beurteilung eines Marktes und die Bestimmung der Marktstellung eines Unternehmens relativ einfach. Die zentrale Frage lautete: Welche Produkte sind untereinander substituierbar – oder mit anderen Worten: Wie steht es um die Ausweich- und Wahlmöglichkeiten der Nachfrager und Anbieter?

Schwieriger gestaltet sich die Analyse in der digitalen Wirtschaft deshalb, weil es sich neu vielfach um mehrseitige Märkte handelt. So zählt der Android-Markt nicht weniger als fünf Parteien: Die Plattformbetreiber, die Smartphone-Produzenten, die App-Anbieter, die Telekomfirmen und die Kunden. Gerade elektronische Handelsplattformen agieren überdies oftmals nur als Vermittler auf Kommissionsbasis, die an der eigentlichen Transaktion gar nicht beteiligt sind. In einem solchen Umfeld kann es äusserst schwierig sein, die relevanten wettbewerblichen Beziehungen zwischen den Akteuren korrekt zu erfassen und die Marktstellung von Unternehmen abzuschätzen.

Es geht immer weniger um den Preis

Zusätzlich wird die Analyse in vielen Fällen dadurch erschwert, dass sich auf digitalen Märkten nicht immer pekuniäre Preise beobachten lassen. Während in «traditionellen» Märkten die Höhe der Preise zur Bestimmung der Marktstellung eines Unternehmens herangezogen werden kann (nicht zufällig spricht man von Konkurrenz- oder Monopolpreisen), bezahlen die Nutzer auf vielen Plattformen nicht mit Geld, sondern mit Aufmerksamkeit oder mit persönlichen Daten über ihr Such- und Einkaufsverhalten. Auch Marktanteile, die von Wettbewerbsbehörden regelmässig zur Beurteilung der Marktstellung herangezogen werden, haben in der digitalen Welt beschränkte Aussagekraft. Gerade in den dynamischen digitalen Märkten, in denen disruptive Innovationen verbreitet sind, können Marktstellung und -anteile sehr rasch erodieren.

Deregulierung ist vielfach das Beste

Alle diese Herausforderungen sollten aber nicht als Vorwand für eine wettbewerbliche Spezialregelung des digitalen Raums herangezogen werden. Auch in der digitalen Wirtschaft ist eine Intervention durch eine Wettbewerbsbehörde nur dann gerechtfertigt, wenn der Wettbewerb nachweislich in Gefahr ist. Oftmals geht die Gefahr einer Beschränkung des Wettbewerbs dann auch nicht von den neuen digitalen Geschäftsmodellen aus, sondern von überholter Regulierung. Gerade in diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass das Wettbewerbsrecht nicht «verpolitisiert» und für struktur- oder industriepolitische Ziele missbraucht wird.

Nicht selten wäre also Deregulierung die beste Antwort auf die fortschreitende Digitalisierung, denn in der globalisierten Wirtschaft sind den nationalen Wettbewerbshütern vielfach die Hände gebunden – sie haben höchst beschränkten Zugriff auf Unternehmen mit Sitz in anderen Ländern. Dies kann zu einer erheblichen Benachteiligung heimischer Anbieter führen, die nationaler Regulierung unterstellt sind: Warum z.B. wird der SMS-Markt reguliert, Whatsapp aber nicht? Und gilt die Telekom-Gesetzgebung auch für Netflix und Facebook? Indem alte Regulierungen abgebaut werden, können die angestammten Unternehmen im nationalen und internationalen Wettbewerb mit gleichlangen Spiessen ausgestattet werden.

Die anwesenden Experten waren sich einig, dass man das Kartellrecht auch in der digitalen Welt anwenden soll, jedoch nicht blindlings. Gerade hier gilt die Prämisse: Weniger ist oft mehr.

Der Wettbewerbspolitische Workshop fand am 30. September 2016 bei Avenir Suisse statt.