Der finanzpolitische Fingerzeig auf das etatistische Frankreich und den Beamtenstaat Deutschland funktioniert nicht mehr. Die Eidgenossenschaft, Hort des Föderalismus und jahrzehntelang Verfechterin eines schlanken Staates, wo finanzielles Masshalten eine systemimmanente Tugend war, wandelt immer mehr in den Spuren seiner westlichen und nördlichen Nachbarn. Die Fiskalquote beträgt unter Einbezug der obligatorischen Beiträge an Kranken- und Pensionskassen mittlerweile satte 40%. Das ist ein ähnlich hohes Niveau, wie es auch Deutschland und Österreich kennen. Das bleibt auf der anderen Budgetseite nicht ohne Wirkung: Seit 1990 haben sich die staatlichen Ausgaben für Gesundheit und für soziale Sicherheit hierzulande real – also unter Berücksichtigung der Teuerung – verdoppelt. 

Ein eigentlicher Dammbruch zeigt sich auf dem Arbeitsmarkt – zulasten des Privatsektors. Die öffentliche Hand nährt heute fast ein Viertel der Beschäftigten, faktisch gegen eine Million Arbeitnehmende. In den wenig produktiven Branchen von Verwaltung, Bildung, Gesundheit und Soziales betrug der Beschäftigungsanstieg in den letzten 20 Jahren 60%. Der öffentliche Stellenbestand ist damit deutlich stärker gestiegen als die Beschäftigung in der Privatwirtschaft. Das Nachsehen haben die privaten Unternehmen, die zunehmend mit Fachkräftemangel zu kämpfen haben. Von der Allgemeinheit finanziert, bieten Städte, Kantone und der Bund mit regelmässigen Stufenanstiegen, höheren Löhnen oder auch einem früheren Renteneintrittsalter (Stadt Bern: 63 Jahre) Anstellungsbedingungen, die ausserhalb jeder finanziellen Möglichkeit eines KMU liegen. 

Der staatliche Regulierungsdschungel verdichtet sich stark. (Wesley Tingley, Unsplash)

Einem ökonomischen Naturgesetz gleich, geht mit diesem rasanten Wachstum des öffentlichen Sektors eine Zunahme der Regulierungsdichte einher. Das zeigt sich exemplarisch bei der Preisbildung. Über die Hälfte der Preise sind hierzulande nicht mehr das Resultat von Angebot und Nachfrage, sondern massgeblich vom Staat mitgestaltet oder sogar direkt kontrolliert. Mit dem über die Jahrzehnte vorangeschrittenen Wachstum des Staates hat sich seine Einflusssphäre sukzessive ausgedehnt. Bei der Einkommensverteilung ist die Rolle der öffentlichen Hand deutlich spürbarer als noch vor 20 Jahren. Auch originär privatwirtschaftlich organisierte Branchen werden immer mehr staatlich alimentiert. Beim Tourismus haben sich seit 1990 die staatlichen Ausgaben mehr als verdreifacht. Die Schweizer Medienbranche erhält mittlerweile über 1,4 Mrd. Fr. pro Jahr an öffentlichen Geldern. Inflationsbereinigt sind in dieser Branche die laufenden Ausgaben zwischen 1990 und 2020 um über 50 % gestiegen. Die «Vierte Gewalt», die im eigenen Systemverständnis eine kritische Rolle gegenüber den staatlichen Verantwortungsträgern einnehmen sollte, wird immer mehr von staatlichen Transferzahlungen abhängig.

Der sich ausbreitende Staatseinfluss findet Widerhall in einem neuen Staatsglauben. Das zeigt sich besonders deutlich bei der Altersvorsorge, eine Dauerbaustelle der Eidgenössischen Politik. Die Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente erhält bis ins bürgerliche Lager hinein breiten Zuspruch, ein höheres Rentenalter ist dagegen höchst unbeliebt.

Solange die Allgemeinheit es finanziert, am besten erst die nächste Generation, scheint die Wunschliste endlos zu sein. In den Städten finden Initiativen zu Mindestlöhnen satte Mehrheiten beim Souverän, der mit Steuergeldern finanzierte genossenschaftliche Wohnungsbau schreitet rasch voran, die unternehmerischen Initiativen privater Bauherren dagegen werden nach Kräften behindert.

Der seit längerem zu beobachtende Neo-Etatismus (der im Zuge der Bewältigung der Covid-Pandemie noch breiteren Sukkurs fand) resultiert in einer Erosion der privaten Verantwortung – und einer deutlich abnehmenden Ambition der «classe politique», sich aktiv für eine Optimierung der Standortbedingungen einzusetzen. Exemplarisch hierfür steht der grösste Kanton der Schweiz: Wenn die neueste kantonale Unternehmenssteuer-«Reform» im bürgerlichen Zürich neben einer kosmetischen Reduktion der Gewinnbesteuerung eine Erhöhung der Dividendenbesteuerung (notabene eine steuerpolitische Forderung der linken Alternativen Liste AL) vorsieht, bedeutet dies eine Zäsur für die in der (noch führenden) Schweizer Wirtschaftsmetropole ansässigen Unternehmen.

Besser zu werden, ist heute immer weniger politisches Programm, die politische Maxime heisst Umverteilung und Alimentierung von möglichst vielen Bezugsgruppen. Das ist deutlich weniger anstrengend. Damit wird aber nicht nur der Erosion der privaten Verantwortung Vorschub geleistet, sondern auch der sukzessiven Unterminierung der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Angesichts dieser Entwicklungen ist das wirtschaftsliberale Lager gefordert, Remedur zu schaffen. Wohlstand und Wertschöpfung werden nicht durch den immer grösser werdenden öffentlichen Sektor geschaffen, sondern durch das private Unternehmertum. Es ist die demokratiepolitische Auseinandersetzung in Politik und Medien zu führen, wie viel Staatswachstum nötig ist und welche Staatsaktivitäten noch zeitgemäss sind – und auf welche zukünftig auch wieder verzichtet werden kann.