«SonntagsZeitung»: Immer mehr Städte und Gemeinden klagen über leere Zentren und holen sich professionelle Hilfe. Wie stark ist die Verödung der Orte bereits fortgeschritten?
Daniel Müller-Jentsch: In der Schweiz sehen wir eine Entwicklung, die in Deutschland oder Frankreich bereits vor zehn bis 15 Jahren eingesetzt hat. Die Nachbarländer zeigen klar, wohin die Reise geht. Leer stehende Ladenlokale und verödende Ortszentren sieht man meist erst in der Peripherie, aber die Entwicklung erfasst nach und nach zentralere Lagen. Viele Ortskerne stehen vor einem tief greifenden Wandel.
Warum hat man nicht schneller gegengesteuert?
Der Strukturwandel hat sich infolge der Frankenstärke und des Onlinehandels beschleunigt. Auch sind die Ursachen vielschichtig und variieren je nach Region. Abgelegene Täler verlieren Gewerbe, weil die Bevölkerung schrumpft. In Tourismusgemeinden leidet der Einzelhandel unter den zurückgehenden Besucherzahlen. Entlang der Landesgrenzen ist der Einkaufstourismus ein wichtiger Treiber. In anderen Regionen ist eine verfehlte Raumplanung die Hauptursache. Vielfach wurden zu grosse Einzelhandelsflächen auf der grünen Wiese geschaffen. Problematisch ist auch die mangelnde Koordination zwischen den Gemeinden.
Lassen sich derartige Fehler noch korrigieren?
Nachträglich kaum. Wichtig ist, dass Gemeinden frühzeitig reagieren. Denn sind erst einmal 20 Prozent des Gewerbes verloren gegangen und stehen zahlreiche Ladengeschäfte leer, ist es zu spät, das Ruder herumzureissen. Dann droht eine Abwärtsspirale.
Wie lässt sich diese verhindern?
Es bedarf umfassender Strategien. Dazu zählen Massnahmen zur Verbesserung des Ortsbildes oder der Infrastruktur, zum Beispiel gute Parkmöglichkeiten für die Kunden. Auch Gewerbetreibende in den Zentren müssen in die Verbesserung ihres Angebotes investieren, etwa durch Öffnung der Geschäfte über Mittag. Die Immobilieneigentümer sollten sich ebenfalls engagieren, denn sie haben durch eine Verödung viel zu verlieren.
Was könnten sie tun?
In den USA gibt es Business Improvement Districts. Stimmt innerhalb eines städtischen Gebiets die Mehrheit der Gewerbetreibenden und Immobilienbesitzer Aufwertungsmassnahmen zu, müssen sich alle Betroffenen daran beteiligen – auch finanziell. Dieses Modell sollte man sich auch in der Schweiz anschauen.
Wie werden unsere Ortszentren in 20 Jahren aussehen?
Einigen Orten wird es gelingen, auch künftig ein abwechslungsreiches Einkaufserlebnis zu bieten. Die Bedeutung des innerörtlichen Detailhandels wird aber abnehmen. Viele Zentren müssen auf andere Funktionen setzen, wie Wohnen, Gastronomie oder Tourismus. Auf diesen Wandel müssen sich die Gemeinden vorbereiten. Je früher sie anfangen, desto besser.
Dieses Interview ist am 7. August 2016 in der SonntagsZeitung erschienen. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.