Der Bundesrat erwägt eine Stärkung der Bundeskompetenzen für die drei «Landesflughäfen» Basel, Genf und Zürich. Anlass dafür sind Sorgen um die künftige Entwicklung des Flughafens Zürich, die durch einen schier unlösbaren Dauerkonflikt infrage gestellt wird. Avenir Suisse forderte bereits 2009 in einer Studie eine Kompetenzverschiebung. Ausgangspunkt der Überlegung ist die nationale Bedeutung des Flughafens Zürich: Etwa die Hälfte des Passagier- und drei Viertel des Frachtaufkommens im Schweizer Luftverkehr werden dort abgewickelt. Der Flughafen ist Interkontinentaldrehkreuz und Wirtschaftsmotor für das gesamte Land. Leider wird die Entwicklung dieser Infrastruktur durch einen vielschichtigen Konflikt gefährdet. Mit immer neuen Winkelzügen ringen die Exponenten unterschiedlicher Himmelsrichtungen im Kanton Zürich und in den Nachbarkantonen um die Verteilung von Fluglärm. Schauplätze der Auseinandersetzung sind Genehmigungsverfahren, Initiativen und Gerichtsprozesse. Unterdessen werden die Entwicklungsspielräume des Flughafens durch den Bauboom in den Umlandgemeinden «verbaut».
Die 2001 von Deutschland erlassenen Überflugbeschränkungen liessen den Konflikt eskalieren und offenbaren die Schwächen der föderalen Konfliktlösungsmechanismen. Sobald auf einem Konfliktfeld eine Entscheidung gefällt wird, wird diese von den unterlegenen Parteien infrage gestellt bzw. der Konflikt auf einen anderen Schauplatz verlagert. Die tiefer liegenden Ursachen hierfür sind die Verschachtelung zwischen den betroffenen Politikfeldern (Raumplanung, Umwelt-, Verkehrs- und Aussenpolitik) und die breite Streuung von Kompetenzen über die drei Staatsebenen.
Dieses «föderale Geflecht» von Zuständigkeiten eröffnet Sonderinteressen zahlreiche Möglichkeiten, Entscheidungen zu blockieren oder zu verzögern. Der Konflikt befindet sich in einer Endlosschleife. Es fehlt eine übergeordnete Instanz, die einen Interessenausgleich herbeiführen könnte. Die schwache Rolle des Bundes bei den Landesflughäfen steht im Gegensatz zu seinen umfassenden Kompetenzen in allen anderen Fragen der Aviatik: Der Bund hat gemäss BV Art. 87 die gesetzgeberischen Kompetenzen, er ist für die Regulierung der Branche zuständig, er vergibt die Betriebskonzessionen für Flughäfen, er kontrolliert als Eigentümer der Flugsicherung Skyguide die «luftseitige» Infrastruktur, und er handelt internationale Luftverkehrsabkommen aus. Angesichts dieser Kompetenzen stellen die teilweise weitreichenden Befugnisse der Standortkantone in Bezug auf die «landseitige» Infrastruktur, also die Flughäfen, eine historisch gewachsene Besonderheit dar.
Beim Flughafen Zürich sicherte sich der Kanton bei der Teilprivatisierung einen «quasiregulatorischen» Einfluss über Eigentumsrechte an der Flughafengesellschaft und Bestimmungen im kantonalen Flughafengesetz. So schreiben etwa die Statuten der Flughafen AG fest, dass kein anderer Eigentümer Stimmrechte von mehr als fünf Prozent ausüben kann. Vergleichbare Vetomechanismen der Standortkantone gibt es bei anderen nationalen Infrastrukturen nicht. Vielmehr kam es seit Gründung des Bundesstaates bei fast allen anderen nationalen Infrastrukturen zu Kompetenzverschiebungen auf die nationale Ebene. Das Postwesen wurde 1848 aus Effizienzgründen auf den Bund übertragen, und die Kompetenzverschiebung bei der Eisenbahn erfolgte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Reaktion auf eine sektorale Krise. Der technologische Wandel brachte dem Bund neue Kompetenzen bei der Telekommunikation (1878) und bei der Atomkraft (1957, 2005); der Investitionsbedarf und die nationale Bedeutung brachten dem Bund ferner neue Befugnisse beim Bau des Nationalstrassennetzes (1921 und 1960) und der Neat (1992).
Der Schweizer Föderalismus wurde in den letzten 160 Jahren immer wieder an neue Gegebenheiten angepasst, zuletzt im Rahmen des neuen Finanzausgleichs nach der Jahrtausendwende. Dabei gibt es eine simple Logik der föderalen Kompetenzverteilung: Nationale Infrastruktur sollte vom Bund, regionale von den Kantonen und lokale von den Gemeinden finanziert und reguliert werden. Im Falle des Flughafens Zürich wären verschiedene Alternativmöglichkeiten für eine Kompetenzverschiebung denkbar – etwa deren Festschreibung im eidgenössischen Luftfahrtgesetz, stärkere Befugnisse des Bundes bei der Festlegung des Betriebsreglements («SIL-Prozess») für Landesflughäfen, Verankerung von Leistungszielen in der Flughafenkonzession oder Verzicht des Kantons Zürich auf seine Vetorechte im kantonalen Flughafengesetz bzw. in den Statuten der Flughafen AG. Unabhängig von ihrer technischen Ausgestaltung scheint die Zeit reif für eine Stärkung der Bundeskompetenzen bei den Landesflughäfen und besonders beim Drehkreuz Zürich.
Dieser Artikel erschien in der «Neue Zürcher Zeitung» vom 17.11.2015.
Mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung.