Ultraexpansive Geldpolitik: Die Welt des billigen Geldes | Avenir Suisse

Wer wagt, gewinnt. Die Zentralbanken wagten mit ihrer ultraexpansiven Geldpolitik viel. Haben sie gewonnen? Sie waren angetreten, um während der Finanzkrise den Zusammenbruch des internationalen Kreditsystems und des Zahlungsverkehrs zu verhindern und eine weltweite Depression abzuwenden. Mit diesen Zielen vor Augen fluteten sie die Geldmärkte mit Liquidität, senkten ihre Leitzinsen und – über ihre äusserst umfangreichen Ankäufe längerfristiger Wertpapiere –  auch die Kapitalmarktrenditen massiv.

Mit dieser expansiven und unkonventionellen Politik wurden beide Ziele erreicht. Die Zentralbanken beruhigten die Geldmärkte und sie trugen dazu bei, dass die Weltwirtschaft nicht abstürzte. In den letzten Jahren traten aber neue Argumente zugunsten einer ultraexpansiven Geldpolitik in den Vordergrund. Heute werden nie Noteninstitute vermehrt für die Bewältigung der Staatsschuldenkrise und die Stimulierung des Wirtschaftswachstums eingespannt. Damit begeben sie sich auf einen risikoreichen Pfad:

Risiko Nr. 1: Geringere Glaubwürdigkeit

Sie lassen sich in den Dienst der Fiskalpolitik stellen, sind zunehmendem politischen Druck ausgesetzt und riskieren den Verlust der Glaubwürdigkeit und der Unabhängigkeit. Mit dem Kauf von langfristigen Anleihen auch zweitklassiger Schuldner nehmen sie Abstriche an der Qualität ihrer Bilanzen in Kauf.

Risiko Nr. 2: Falsche Signale für die Finanzmärkte

Aber auch für die Finanzmärkte und die Gesamtwirtschaft steigen die Risiken, wenn die Noteninstitute zu lange an einer zu expansiven Geldpolitik festhalten. Zinsen an der Nullgrenze und durch Interventionen verzerrte und eingeebnete Kapitalmarktrenditen verlieren ihre Signalfunktion. Sie vermitteln keine oder unzureichende Informationen über die unterschiedlichen Bonitäten der Schuldner. Das führt zur Fehleinschätzung der Anlage- und Kreditrisiken.

Gleichzeitig beurteilen die Marktteilnehmer die auf den Finanzmärkten erzielbaren Erträge als unzureichend, zumal die Gläubiger in vielen Ländern seit Jahren mit negativen Realzinsen vorlieb nehmen müssen. Das setzt eine Jagd nach attraktiveren Renditen und damit eine höhere Risikobereitschaft in Gang. Der grössere Risikoappetit kann in neue Preisblasen auf den Anlagemärkten münden. Weil die marktverzerrenden Eingriffe schon lange dauern, können solche Übertreibungen heftiger ausfallen als in früheren Boomphasen. Entsprechend schmerzvoll wird die Korrektur sein.

Risiko Nr.3: Überkapazitäten und Überschuldung

Ultratiefe Nominalzinsen und negative reale Renditen verlocken zu Investitionen, von denen Unternehmen und Haushalte bei marktgerechter Diskontierung absehen würden. Solche Fehlinvestitionen führen zu Überkapazitäten und verstärken später die Konjunkturschwankungen. Extrem tiefe Zinsen verschleiern auch den Mittelbedarf, den die Finanzminister künftig zur Bedienung der gestiegenen Staatsschulden aufwenden müssen. Es werden sogar Anreize für zusätzliche Schuldenaufnahmen geschaffen. Damit bürdet die Politik kommenden Generationen eine schwere Hypothek auf.

Risiko Nr. 4: Inflation

Schliesslich droht als Folge der ultraexpansiven Geldpolitik ein Teuerungsschub. Es trifft zu, dass die Inflationsraten zurzeit noch niedrig und die Inflationserwartungen auf tiefem Niveau gut verankert sind. Wenn aber stärkeres Wirtschaftswachstum erwartet wird und sich die Aussichten für Konsum und Investitionen aufhellen, fliesst die heute bei den Zentralbanken parkierte, überreichliche Liquidität der Geschäftsbanken in Form von Krediten zu den Privathaushalten und Unternehmen. Letztere gewinnen Spielräume für Preiserhöhungen, und die Verankerung der Inflationserwartungen kann rasch wegfallen. Ein Teuerungsschub bestraft Sparer und Rentner und führt zu Umverteilungen zwischen Gläubigern und Schuldnern, aber oft auch zu staatlichen Eingriffen in den Preismechanismus.

Angesichts dieser Risiken tun die Zentralbanken gut daran, in ihrem eigenen Interesse und im Interesse der Gesamtwirtschaft den Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik ernsthaft ins Auge zu fassen.

Mehr zu diesem Thema erfahren Sie aus dem Diskussionspapier «Zentralbanker als Zauberlehrlinge?»