Am 24 September 2017 verlor die Linke die Abstimmung über die Altersvorsorgereform 2020 deutlich. Unbeirrt davon stellt sie Forderungen für die nächste Reform auf und verlangt substanzielle Kompensationsmassnahmen für die Frauen. Seither stehen die Parteien Gewehr bei Fuss und entwickeln viele Ideen, wie man(n) die Erhöhung des Frauenrentenalters in der AHV kompensieren soll.
Doch eine Grundsatzdebatte, ob Kompensationen in der ersten Säule überhaupt nötig sind und ob sie den Interessen der Frauen dienen, findet nicht statt. Im heutigen Umfeld verletzen schon diese Fragen für einige die Grenzen politischer Korrektheit. Doch in einer funktionierenden Demokratie sollte es möglich sein, solche Einwände vorzubringen.
Bei der Einführung der AHV 1948 galt das Rentenalter von 65 Jahren für Männer wie für Frauen. 1957 und 1964 wurde das Frauenrentenalter gesenkt, schliesslich auf 62 Jahre. Es waren damals reine Männerentscheide, weil den Frauen das Stimmrecht noch verweigert wurde. Später, mit der 10. Revision, wurde das Frauenrentenalter wieder auf 64 Jahre erhöht. Die Angleichung auf 65 würde den Zustand von 1948 wiederherstellen.
Die damalige Begründung für die Senkung des Frauenrentenalters war von einem Frauenbild geprägt, das unseren heutigen fortschrittlichen Überzeugungen diametral entgegensteht: «Physiologisch betrachtet ist die Frau vielfach trotz ihrer höheren Lebenserwartung dem Mann gegenüber im Nachteil», hiess es in der Botschaft des Bundesrates. Böse Zungen behaupteten, dass Ehemänner – in der Regel älter als ihre Frau – nicht allein pensioniert sein wollten. Beide Begründungen spiegeln ein Bild der Frauen, die schwächer, schutzbedürftig und für den Haushalt zuständig waren. Nicht ein Muster emanzipierter Weltanschauung.
Die heutige Forderung nach Kompensationsmassnahmen für die Erhöhung des Frauenrentenalters beharrt in diesem paternalistischen Denken. Die Angleichung des Rentenalters ist für die Frauen nicht zumutbar, weil sie nach wie vor schutzbedürftig sind, so die implizite Botschaft. Ein tieferes Rentenalter dient damit nicht der Stellung der Frauen. Es wird immer Männer geben, die (un)bewusst sozialpolitische Unterschiede – im beruflichen wie privaten Umfeld – mit diesem Jahr Frührente rechtfertigen.
Oft werden Lohnunterschiede, die aus der Rollenteilung zwischen den Partnern resultieren, als Legitimation für verschiedene Rentenalter vorgebracht. Doch dank Betreuungsgutschriften und erheblichen Umverteilungen zu Gunsten der Frauen (letztere zahlten 2016 33% der Lohnbeiträge und erhielten 56% der Leistungen) sind die effektiven monatlichen AHV-Renten beider Geschlechter beinahe identisch. Frauen erhalten im Durchschnitt sogar 30 Fr. mehr im Monat als Männer. Eine zusätzliche Kompensation in der AHV aufgrund unterschiedlicher Erwerbsbiografien ist sachlich nicht begründbar.
Auch würde in einem Land mit gleichem Rentenalter für Mann und Frau niemand auf die Idee kommen, unterschiedliche Rollen in der Erziehungsarbeit erst beim Erreichen des Pensionierungsalters kompensieren zu wollen. Es zeigt ja, dass dafür andere Massnahmen nötig sind.
Es ist zwar in der Politik üblich, bei Verhandlungen sachfremde Geschäfte zu verknüpfen. So wird bei der neusten Steuervorlage 17 über Familienzulagen debattiert. Nun will die Linke also auch bei der Vorsorgereform ihre Anliegen in der Lohnfrage einbringen. Dass sie dafür im Namen der Gleichstellung Vorstellungen aus patriarchalen Zeiten verteidigt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe vom 1. Mai 2018 in der Zeitschrift «Schweizer Versicherung» erschienen.