Als 2012 die Reform der Finanzierung von Vorsorgeeinrichtungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften in Kraft trat, wurden quer durch die Schweiz riesige Unterschiede in Bezug auf Organisation und Philosophie offensichtlich. Fünf Jahre später haben sich die Pensionskassen der lateinischen Kantone den deutschschweizerischen Gepflogenheiten etwas angenähert. Zwischen ihnen klafft aber immer noch der Röstigraben – in mehrfacher Hinsicht.

Gefälle in den Deckungsgraden zwischen Romanshorn und Genf

Der erste Röstigraben betrifft den Deckungsgrad: Während die Pensionskassen der Ostschweizer Kantone 2011 vor der Reform Deckungsgrade von fast 100% aufwiesen (AI 107%, AR und OW 101%), befanden sich die Deckungsgrade im Sinkflug, je mehr man sich Richtung Westschweiz bewegte. Im Kanton Bern lag er bei 86%, im Kanton Waadt bei 62% und in Genf schliesslich bei 53%. Überdies befand sich nur ein Viertel des Gesamtguthabens der schweizerischen kantonalen Pensionskassen bei den Kassen der lateinischen Kantone, während ihre Unterdeckung insgesamt 60% der gesamten Unterdeckung ausmachte.

Blick vom Glockenturm der Kathedrale in Freiburg auf die Saane mit Zähringerbrücke oder, wenn man so will: den Röstigraben. (Wikimedia Commons)

 

Vor 2012 waren die Vorsorgeeinrichtungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften im Gegensatz zu den privaten Pensionskassen nicht verpflichtet, jederzeit einen Deckungsgrad von 100% aufzuweisen. Damals war man überzeugt, der Staat könne nicht Konkurs gehen und eine allfällige Sanierung der Pensionskasse durch den Arbeitgeber (das heisst den Staat) sei immer garantiert. Doch die Privatisierung von Bundesbetrieben sowie die Fusion von Gemeinden haben gezeigt, dass der Staat zwar Bestand hat, sein Zuständigkeitsbereich aber wandelbar ist. Infolge der Reform müssen die kantonalen Pensionskassen entweder bis ins Jahr 2022 einen Deckungsgrad von 100% (Vollkapitalisierung) oder – unter Vorbehalt einer expliziten Staatsgarantie – innerhalb von vierzig Jahren einen Deckungsgrad von 80% (Teilkapitalisierung) erreichen.

Vier Jahre nach dem Inkrafttreten der Reform hat sich die Lage in der gesamten Schweiz verbessert, wie in einigen Jahresberichten und in einem Artikel in der Aprilausgabe dieser Publikation nachzulesen ist. Infolge umfangreicher Sanierungsmassnahmen und dank einträglicher Kapitalmärkte stieg der durchschnittliche Deckungsgrad in der Deutschschweiz von 92% im Jahr 2011 auf 101% im Jahr 2016, in der lateinischen Schweiz wiederum von 63% auf 69%.

Voll- versus Teilkapitalisierung

Doch obwohl die Deckungsgrade überall angestiegen sind, bleibt in bestimmten Regionen die Unterdeckung signifikant. Mit Ausnahme der kantonalen Pensionskassen von Basel-Stadt, Zug und Bern haben sich alle Kassen der deutschen Schweiz die Vollkapitalisierung zum Ziel gesteckt, während die Kassen der lateinischen Schweiz sich für das Modell der Teilkapitalisierung entschieden haben. So entstand der zweite Röstigraben. Zudem nahm in Bezug auf den angestrebten Deckungsgrad von 100% die Unterdeckung der Pensionskassen der lateinischen Kantone von rund 24 Mrd. auf 27 Mrd. Fr. zu, während die Unterdeckung in der Deutschschweiz zwischen 2011 und 2016 von 15 Mrd. auf 10 Mrd. Fr. sank.

Zu hohe technische Zinssätze

Die genannten Unterdeckungen wurden anhand eines Diskontsatzes (technischer Zinssatz) ermittelt, der für alle Pensionskassen identisch (mit 3,5% für 2011 und mit 2,25% für 2016) angewendet wurde. Diese Harmonisierung ist notwendig, weil die Kassen ihre Passiven zu sehr unterschiedlichen Zinssätzen bewerten: Die Schwankungsbreite lag 2016 zwischen 1, 75% und 3,5%. Eine Differenz von 1 Prozentpunkt beim technischen Zinssatz führt zu einer Differenz von rund 10 Prozentpunkten beim Deckungsgrad.

Auch hier – da haben wir den dritten Röstigraben – treten grosse Unterschiede zwischen der lateinischen und der deutschen Schweiz auf. Die Differenz zwischen den durchschnittlichen technischen Zinssätzen in den beiden Regionen blieb in den vergangenen fünf Jahren etwa konstant bei 0,45 Prozentpunkten, selbst wenn in beiden Landesteilen die Zinssätze deutlich gesunken sind. Ausserdem fallen die Unterschiede zwischen Ost- und Westschweiz nicht mehr so hoch aus wie vor der Reform. Der Kanton Genf, 2011 das Schlusslicht mit 4,5%, senkte seinen Zinssatz bis 2016 um 2 Prozentpunkte und liegt nun unter dem schweizerischen Durchschnitt. Auch der Kanton Glarus verzeichnete im selben Zeitraum einen deutlichen Rückgang von 4% auf 2,25%.

Diese Analyse belegt auch, dass die Zinssätze weit über dem Maximalwert liegen, der in der Fachrichtlinie FRP 4 der Schweizerischen Kammer der Pensionskassen-Experten festgelegt wurde. 2016 lag der durchschnittliche technische Zinssatz der kantonalen Pensionskassen bei 2,65% und damit deutlich über dem Höchstzinssatz von 2,25% gemäss der FRP 4.

Nur sieben kantonale Pensionskassen, die alle in der deutschen Schweiz liegen, verwendeten einen tieferen oder identischen technischen Zinssatz. Im Vergleich dazu betrug der durchschnittliche Zinssatz der privatrechtlichen Pensionskassen laut Swisscanto 2,19%. Dadurch wird klar, dass der Röstigraben nicht die einzige Kluft darstellt, die sich durch die schweizerische Vorsorgelandschaft zieht.

Dieser Beitrag ist in der Zeitschrift «Schweizer Personalvorsorge» 7/17 erschienen.