In 330 Tagen ist Brexit-Tag. Am 29. März 2019 jährt sich zum zweiten Mal der Tag, an dem die britische Premierministerin Theresa May Artikel 50 des EU-Vertrags angerufen hat, der den Austritt aus der Europäischen Union innert zwei Jahren vorsieht.
Der Knacknüsse bis dahin sind noch viele. Gerade bei der inneririschen Grenze wird fieberhaft nach dem Ei des Kolumbus gesucht. Die Grenze zwischen Nordirland (Teil des UK) und dem EU-Mitglied Irland könnte zur neuen EU-Aussengrenze werden. London will zwar die Zollunion verlassen, dennoch soll es keine Kontrollen an der inneririschen Grenze geben. Die territoriale Einheit des Vereinigten Königreichs soll erhalten bleiben, was wiederum keine Kontrollen zwischen der irischen Insel und UK zulassen würde. Wie dieses Trilemma gelöst werden soll, steht in den Sternen über dem Big Ben.
Standortmarketing statt Planungssicherheit
Angesichts dessen ist es bezeichnend, dass die britische Premierministerin an ihrem Auftritt am WEF in Davos eine Rede hielt, die in bester Standortmarketing-Manier die Wirtschaftselite zu Investitionen auf der Insel ermunterte. Der Brexit hingegen war ihr kaum eine Erwähnung wert. Investitions- und Planungssicherheit sieht anders aus.
Nicht verwunderlich, hat die britische Wirtschaftsentwicklung Dämpfer erlitten. Zwar konnte infolge der Abwertung des Pfunds durch die britische Zentralbank eine Rezession verhindert werden. Doch gegenüber früheren Jahren zeigt sich eine Abschwächung der Wirtschaftsentwicklung, während global der Trend nach oben geht. Die Wachstumsaussichten in den verbleibenden EU-27 wie auch in der Schweiz sind deutlich positiver. Für beinahe alle Branchen im UK werden sich durch den EU-Austritt Nachteile ergeben. Zu diesem Schluss kommt nicht das Lager der «Remainers», sondern eine Analyse der britischen Regierung.
Auf der Lösungssuche zum Post-Brexit-Verhältnis mit der EU wird mittlerweile in London das «Swiss Model» verstärkt thematisiert. Dies, obwohl die Ausgangslagen vollkommen unterschiedlich sind. Unser Land strebt ein konvergentes Verhältnis zur EU an, während das Königreich den Weg der Divergenz geht. Mit einem Marktzugangsabkommen soll das «Konkubinat CH-EU» auf eine stabile und zugleich dynamisch-tragfähige Basis gestellt werden, während London die Scheidung eingereicht hat.
Warten auf die Krone?
Auch eine Tangente zwischen London und Bern, um Interessen gegenüber Brüssel zu vertreten, ist kritisch zu beurteilen. Zwar ist die Schweiz einer der wichtigsten Handelspartner des UK ausserhalb der EU. Das ist aber disproportional in Bezug zu der EU-27, mit der unser Land fast 60% des Gesamthandelsvolumens abwickelt. Die Schweiz ist also gut beraten, ihr zukünftiges Verhältnis zur EU unabhängig auszuhandeln und nicht erst auf das Handeln der britischen Krone zu warten. Dafür spricht auch, dass wir Direktdemokraten und keine Monarchisten sind.
Dieser Beitrag ist in der «Handelszeitung» vom 3. Mai 2018 unter dem Titel «Lieber ein Konkubinat» erschienen.