Mira ist 27 Jahre alt und stammt aus Indien. Sie hat an der ETH Zürich Informatik studiert und mit dem Master abgeschlossen. Sie fühlt sich in der Schweiz integriert und möchte nach dem Abschluss hier arbeiten. Weil IT-Spezialisten gefragt sind, hat sie keine Mühe, eine passende Stelle zu finden. Doch weil der potenzielle Arbeitgeber nicht sachlich einwandfrei begründen kann, warum Miras Erwerbstätigkeit von hohem wirtschaftlichem Interesse ist, erhält sie keine Aufenthaltsbewilligung. Sie muss die Schweiz deshalb verlassen – und das betroffene Unternehmen wartet weiter darauf, offene IT-Stellen besetzen zu können.

5 Jahre später reist Mira erneut in die Schweiz, um an einem Startup-Förderprogramm teilzunehmen. Sie hat in der Zwischenzeit ein Fintech-Unternehmen gegründet, das sie in der Schweiz weiterentwickeln möchte. Nach der Einreichung unzähliger Dokumente weist die zuständige Behörde das Gesuch für eine selbständige Erwerbstätigkeit ab. Der Grund: Die Jungunternehmerin könne zu wenig glaubhaft nachweisen, dass ihr Startup langfristig signifikant positive volkswirtschaftliche Auswirkungen haben und Arbeitsplätze für Einheimische schaffen wird.  

Dieser Fall mag erfunden sein, er entspricht jedoch den Erfahrungen hiesiger Firmen und ausländischer Talente. Sie zeigen, woran die restriktive Drittstaaten-Zuwanderungspolitik krankt. So wird der Zugang zum Arbeitsmarkt für Staatsangehörige aus Drittstaaten durch jährliche Höchstzahlen begrenzt und ist an diverse Voraussetzungen gebunden. Selbst für mit Schweizer Steuergeld ausgebildete, gut integrierte und von der Wirtschaft dringend gesuchte Fachkräfte werden hohe Arbeitsmarkthürden errichtet. Auch wer hier als innovativer Jungunternehmer an der ökonomischen Zukunftsfähigkeit der Schweiz arbeiten will, muss einen bürokratischen Spiessrutenlauf absolvieren – ohne Garantie auf Erfolg.

Zuwanderungssystem punktuell optimieren

Das restriktive Drittstaaten-Regime ist mitunter der «Preis» für die offenen Grenzen im Rahmen der Personenfreizügigkeit mit der EU. Seit dem Abschluss der Bilateralen wird die Zuwanderung aus den EU/Efta-Staaten nicht mehr politisch gesteuert. Die Bundesverfassung verlangt seit dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative 2014 aber eine Begrenzung der Zuwanderung. Die Folge: Die Politik (über-) steuert da, wo sie noch Spielraum hat.

Wissenschafter im Labor.

Selbst für mit Schweizer Steuergeld ausgebildete, gut integrierte und von der Wirtschaft dringend gesuchte Fachkräfte werden hohe Arbeitsmarkthürden errichtet. (Adobe Stock)

Dieses Vorgehen ist so verständlich wie gefährlich. Die Wirtschaft ist auf die besten Talente angewiesen. Gerade angesichts der fortschreitenden Alterung der Bevölkerung in Europa tun wir gut daran, die besten Köpfe von ausserhalb des «alten Kontinents» in die Schweiz zu locken, bzw. hier zu halten. Gegenwärtig sind die Zuwanderungszahlen allerdings (noch) hoch. Prioritär sollte daher das Zuwanderungsregime punktuell optimiert werden. Folgende Massnahmen bieten sich an:

  1. Vereinfachungen für Hochschulabsolventen
    Wer an einer Schweizer Hochschule mit öffentlichem Geld studiert hat, sollte ohne stark einschränkende Bedingungen auch hier angestellt bzw. selbständig werden können. Insbesondere im Mint-Bereich gilt es, das Potenzial von Master-Absolventen und Doktoranden verstärkt zu nutzen. Im Parlament steht eine entsprechende Vorlage aktuell auf der Kippe. Sollte die Arbeitsmarktintegration nicht beabsichtigt sein, müsste man konsequenterweise über höhere Studiengebühren für Ausländer nachdenken. Ansonsten fallen in der Schweiz nur die gesellschaftlichen Kosten einer guten Ausbildung an, der spätere gesellschaftliche Nutzen wird hingegen anderswo realisiert.
  1. «Startup-Visa»
    Wer in der Schweiz eine erfolgsversprechende Geschäftsidee verwirklichen möchte, sollte daran nicht gehindert werden. Wie in vielen Ländern bereits üblich, sind für Gründer aus Drittstaaten sogenannte «Startup-Visa» einzuführen. Die Erteilung eines Startup-Visums wäre an wenige, dafür stringente Kriterien zu binden. Eine mögliche Voraussetzung könnte die Zusage von Risikokapital sein – so würde primär eine marktbasierte Grösse und nicht die Bürokratie über Startup-Erfolgsaussichten urteilen.

    Grosse Hürden bestehen indes nicht nur für Gründer, sondern auch für die Talent-Rekrutierung bestehender Startups. Hier wäre eine weitere Optimierung des Kontingentsystems für Jungunternehmen zu prüfen. So haben etwa die Niederlande ein interessantes
    Pilotprojekt aufgegleist, das Startups in einer frühen Phase ermöglichen will, die fürs Wachstum benötigten Talente aus dem Ausland einstellen zu können. Bei Massnahmen im Bereich der Startups geht es auch um die Signalwirkung: Die Schweiz als Hort von Ideen, Innovation und Unternehmertum.
  1. Kontingente an demografische Entwicklung koppeln
    In Bezug auf die Kontingente hat der Bundesrat diese Woche entschieden, die Höchstzahlen für 2024 unverändert zu lassen. Im Vorfeld des Entscheids wurde in den Medien noch eine Reduktion kolportiert, was zu Unmut unter Wirtschaftsvertretern führte. Um dieses wiederkehrende Hickhack zu entschärfen, sollte die jährliche Festlegung der Kontingentshöhe künftig nach transparenteren Kriterien folgen. 

    Konkret: Die Höhe sollte sich stärker nach dem wirtschaftlichen Bedarf richten – dabei aber auch das Bevölkerungswachstum nicht ausser Acht lassen. Zusätzlich zu einem festen «Sockelkontingent» könnten «variable Kontingente» geschaffen werden, deren Höhe sowohl das Ausmass der europäischen Erwerbsmigration wie auch die Alterung der (Erwerbs-) Bevölkerung hierzulande berücksichtigt.

In der Diskussion wird schliesslich oft darauf hingewiesen, dass die Kontingente nicht in jedem Jahr ausgeschöpft werden. Diese Tatsache sollte indes nicht überinterpretiert werden. Sie bedeutet mitnichten, dass der Bedarf geringer ist als erwartet. Vielmehr führt die aufwändige und von Unsicherheit geprägte Zulassungspraxis dazu, dass gerade Startups und KMU trotz Fachkräftemangel gar nicht erst versuchen, aus Drittstaaten zu rekrutieren. Zudem gehen die Kantone oft sehr haushälterisch mit ihren Kontingentsanteilen um. Man möchte allfälligen Bedürfnissen wichtiger Unternehmen auch Ende Jahr noch gerecht werden können. Unter dem Strich führt die Praxis dazu, dass die eigentliche Nachfrage viel höher liegen dürfte als die Zahlen zur Ausschöpfung suggerieren.

Die Schweizer Migrationspolitik hat sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert und an neue Entwicklungen angepasst. Solche Anpassungen sind auch heute wieder notwendig. Denn es ist gut möglich, dass es Menschen aus Drittstaaten wie Mira sind, welche die Schweizer Wirtschaftsgeschichte des 21. Jahrhunderts entscheidend prägen werden – wie schon Generationen von Migrantinnen und Migranten vor ihnen.

Weiterführende Informationen zu diesem Thema finden Sie in unserer Publikation «Grenzenlos innovativ».