Nein, die Bauernfamilien sind nicht Opfer einer verfehlten Finanzpolitik, wie es Martin Rufer, Direktor des Schweizer Bauernverbandes (SBV), in seinem Gastkommentar für die NZZ vom 04.09.23 schreibt. Sie sind vielmehr Opfer einer verfehlten Schweizer Agrarpolitik, die in den letzten Jahrzehnten massgeblich durch den SBV mitgeprägt wurde.

Instrumentalisierte Bauernfamilien

Aber wovon ist überhaupt die Rede? Rufer kritisiert, der Bund spare am falschen Ort, nämlich bei den Bauernfamilien. Aber sie stehen weder im Zentrum der bundesrätlichen Sparmassnahmen, noch entspricht das Bild eines Bauernhofs nach dem Muster Gotthelfs der Realität. Es wird vielmehr durch die Landwirtschaftslobby instrumentalisiert, um im politischen Prozess letztlich mehr Subventionen für die gesamte Branche herauszuholen. Eine Branche, die keineswegs so kleinbäuerlich strukturiert ist, wie die Werbung der Grossverteiler suggeriert.

Denn ein hoher Anteil des landwirtschaftlichen Outputs stammt aus hochindustrialisierten Betrieben im Mittelland. Sie sind in ein eingespieltes System von Zulieferern, verarbeitenden Betrieben, dem Detailhandel sowie verschiedenen landwirtschaftlichen Verbänden eingebettet. Jährlich fliessen 3,7 Mrd. Franken an Subventionen des Bundes in diesen Agrarkomplex – zusammen mit den Kantonen sind es über 4,2 Mrd. Franken. Ein Teil davon wandert über die vom SBV bemühten klassischen Bauernfamilien als Durchlauferhitzer, manches auch direkt in die Taschen der Unternehmen und landwirtschaftlichen Organisationen. Dabei werden vor allem Strukturen erhalten und innovative Bäuerinnen und Bauern zurückgebunden. Es wird heute grossmehrheitlich angesät und produziert, was Subventionen abwirft, und nicht, was der Markt morgen verlangt.

Das Idyll der kleinbäuerlich strukturierten Landwirtschaft ist Vergangenheit: Kühe beim Melken. (Adobe Stock)

Die Fixierung des SBV auf Bauernfamilien lenkt ausserdem davon ab, dass es auch Konsumentenfamilien gibt, die seit Jahrzehnten unter den bereits hohen und derzeit weiter steigenden Lebensmittelkosten leiden. Gerade hier liesse sich rasch und einfach Abhilfe schaffen: mit der Aufhebung der prohibitiv hohen Zölle auf Lebensmittelimporten. Sie verhindern weitgehend, dass die im Inland produzierten Landwirtschaftsprodukte durch preisgünstigere Einfuhren konkurrenziert werden. In der Folge bleibt das inländische Preisniveau für Lebensmittel hoch, wovon der gesamte Agrarkomplex auf Kosten der Konsumentenfamilien profitiert. Sie weichen in Grenznähe aufs Ausland aus, man zähle nur die Schweizer Autokennzeichen am Wochenende in Konstanz.

Zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft

Was der SBV verschweigt – bei anderer Gelegenheit aber als «Bauernsterben» gerne in den Fokus rückt – ist der Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe seit 2010 um 18% auf noch gut 48’000. Die Industrialisierung der Landwirtschaft hat damit weiter zugenommen. In der Folge ist auch die Zahl der Beschäftigten um 11% gefallen, inzwischen arbeiten noch 150’000 Personen in diesem Sektor. Rechnerisch erhält heute jeder Beschäftigte in der Landwirtschaft jährlich 28’205 Franken an Subventionen, das entspricht seit 2010 einer Erhöhung um 15% – pro Betrieb sind es gar 87’267 Franken, ein Plus von satten 25%. Die Schweiz gehört damit seit Jahren zu jenen Top-drei-Ländern, die ihren Agrarsektor am stärksten unterstützen.

Inzwischen stammen knapp 50% des Einkommens in der Landwirtschaftsindustrie aus Subventionen. Dabei greift die Politik sowohl in die linke wie auch die rechte Tasche der Bevölkerung: Die Steuerzahlenden alimentieren den Subventionstopf, die Konsumenten tragen über höhere Preise für Lebensmittel zu den Erträgen des Agrarkomplexes bei. Die gleiche Kuh wird zweimal gemolken, dies kann auf die Dauer nicht gutgehen.

Dieser Beitrag ist eine in der NZZ erschienene Replik zu einem NZZ-Gastkommentar von Martin Rufer, Direktor des Schweizer Bauernverbandes (SBV).