So wie die Abstimmung über die neue Bildungsverfassung vom 21. Mai 2006 keine hohen Wellen warf  (Stimmbeteiligung 27,3%), so stösst  auch die laufende Vernehmlassung zum Lehrplan 21 auf eher mässiges Interesse. Zwar finden sich immer wieder Zeitungsartikel und Leserbriefe zu diesem Thema, doch eine breite Diskussion ist bisher nicht in Gang gekommen. Dies ist einigermassen erstaunlich. Zum einen wird Bildung von allen Kreisen immer  gern als unser einziger Rohstoff bezeichnet. Zum andern geniesst Bildung bei allen ausgabenfreudigen Politikern höchste Priorität.

Der Lehrplan 21 wirft noch viele offene Fragen auf | Avenir Suisse

Der Lehrplan 21 wirft noch viele offene Fragen auf (Bild: Fotolia)

Qualität, Durchlässigkeit und erleichterte Mobilität

Angesichts der Bedeutung des Themas  soll deshalb der Lehrplan 21 in einen grösseren Zusammenhang gestellt werden. Wie ist  er in der Bildungsverfassung von 2006 reflektiert? Wie kam diese überhaupt zustande? Was wurde damals den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern in Aussicht gestellt?

Zunächst ist daran zu erinnern, dass es Bildungsvorlagen bis zur Abstimmung von 2006 nie leicht hatten, weil es sich dabei kulturell und sprachlich um einen sehr sensiblen Bereich im Verhältnis zwischen Bund und Kantonen handelt.  Letztere beanspruchen seit 1848 die Schulhoheit. So scheiterten denn auch alle früheren Versuche, dem Bund bildungspolitisch mehr Kompetenzen zu verleihen – etwa der 1973 in der Volksabstimmung abgelehnte Bildungsartikel und 1993 die parlamentarische Initiative «Bildungsrahmenartikel in der Bundesverfassung».  Gegen Ende des letzten Jahrhunderts kam dann mit einer neuen parlamentarischen Initiative («Bildungsrahmenartikel», 1997) und einer Motion («Hochschulartikel», 1999) wieder Bewegung in die Sache. Da ein isolierter Bildungsrahmenartikel allein kaum Realisierungschancen gehabt hätte,  wurde dieser Vorstoss mit den parallel laufenden Reformbestrebungen im Hochschulbereich zur «neuen Bildungsverfassung» zusammengefasst. Diese hat einerseits die Steuerung des Volks- und des Hochschulbereichs zum Ziel und soll anderseits Berufsbildung und Weiterbildung stärken. Die neue Verfassungsbestimmung fand 2006 sowohl das Plazet der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger als auch der Kantone. Im Folgenden interessiert hier nur noch der Volksschulbereich.

Die Abstimmungsunterlagen von 2006 sprachen von der Schaffung des «Bildungsraums Schweiz», in dem aus dem «historisch gewachsenen Nebeneinander von kantonalen Bildungssystemen und vom Bund geregelten Teilbereichen ein überblickbares Gesamtsystem» entstehen soll.  Deshalb sollen Schuleintrittsalter, Schulpflicht, Dauer und Ziele der Bildungsstufen, Übergänge im System und Anerkennung von Abschlüssen harmonisiert werden. Sollten die Kantone bei  den genannten Eckwerten  keine einvernehmlichen Lösungen finden, kann der Bund die einheitliche Lösungen vorgeben. Als Ziele gelten: eine hohe Qualität und Durchlässigkeit sowie eine erleichterte Mobilität.

Grosser Interpretationsspielraum

Würdigt man die Abstimmungsvorlage von 2006 aus heutiger Sicht,  so fällt auf, dass von einem einheitlichen Lehrplan weder in den Abstimmungsunterlagen noch in den  parlamentarischen Beratungen die Rede war. Man stellte die kantonale Schulhoheit in den Vordergrund  und sprach lediglich von einheitlichen Eckwerten.  Dies liess kaum auf eine Zentralisierung im obligatorischen Schulbereich schliessen , sondern vielmehr auf eine Fortsetzung des föderalistischen Entdeckungsprozesses. Für die auch heute stark umstrittene  Ausrichtung des Lehrplans 21 auf personale, soziale und methodische Kompetenzen statt auf Bildungsziele im Sinne von Wissen und Können finden sich keine Anhaltspunkte. Was Qualität und Durchlässigkeit genau bedeuten sollen, wurde in den Abstimmungsunterlagen offen gelassen. Ebenso wie diese Ziele gemessen oder beurteilt werden sollen.

Der Auftrag , den die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mit der Annahme der Verfassungsbestimmungen dem Gesetzgeber übertragen haben, ist alles in allem recht offen formuliert. Es ist dies Ausdruck einer Rechtspolitik, bei der auf Verfassungsstufe mit vielen unbestimmten, unterschiedlich interpretierbaren Begriffen hantiert wird,  die sowohl  dem Gesetzgeber als auch der zuständigen Verwaltungsbürokratie grossen Spielraum geben.

Die Volksschule ist die Grundlage für die Qualität unseres Bildungssystems.  Wenn im Lehrplan 21 der bildungspolitische legitimierte Auftrag der Gesellschaft an die Volksschule erteilt wird, so liegt es angesichts der Bedeutung der Volksschule auf der Hand, diesen Auftrag etwas genauer anzuschauen. In den kommenden Wochen wird Avenir Suisse deshalb  in einer Blogreihe den Lehrplan 21 aus Sicht eines liberalen Gesellschafts- und Wirtschaftsverständnis kritisch ausleuchten.