Freiheit ist ein zentraler Begriff unserer Gesellschaft, so auch am Arc lémanique. Der Kanton Waadt schreibt sich die Freiheit gar wortwörtlich auf die Fahne: «Liberté et Patrie» ist darauf zu lesen. Ein eigentlicher «Röstigraben» ist denn im Avenir-Suisse-Freiheitsindex auch nicht festzustellen. Das Verständnis von Freiheit und das Bestreben, diese hochzuhalten, scheint über die Sprachgrenzen hinaus gut verankert zu sein. So ist beispielsweise der Kanton Jura bei den zivilen Freiheiten schon seit langem der Spitzenreiter. Trotzdem kommen gerade die Kantone Genf und Waadt im jährlich veröffentlichten Freiheitsindex regelmässig auf die hintersten Plätzen.

Ökonomische Freiheiten auf schwachen Beinen

Diese tiefen Platzierungen erklären sich insbesondere mit der schwachen Performance im ökonomischen Teil des Avenir-Suisse-Freiheitsindexes, der insgesamt 17 Indikatoren umfasst. Von der Steuerbelastung zur Steuerausschöpfung über den Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Sektor: Die beiden Kantone schneiden im interkantonalen Vergleich weit unterdurchschnittlich ab.

Dieses Resultat mag eine gewisse kulturelle Komponente beinhalten. So lassen die hohen kantonalen Staatsquoten von rund 19% in den Kantonen Genf und Waadt auf ein grundsätzlich anderes Staatsverständnis als etwa in der Deutschschweiz schliessen, wo die Spitzenreiter – Zug und Zürich – Staatsquoten von unter 10% aufweisen.

Rangierung der Kantone Waadt und Genf im Avenir-Suisse-Freiheitsindex: Seit 2007 auf den hinteren Rängen. (Avenir-Suisse-Freiheitsindex)

Im Schweizer Vergleich scheint am Genfersee eine grössere Menge an Aufgaben dem Staat übertragen zu werden, und zwar in einem Ausmass, wie es in anderen Kantonen politisch kaum möglich bzw. denkbar wäre. Der Arc lémanique ist in diesem Sinne klar etatistischer ausgerichtet als die meisten anderen  Schweizer Kantone  –  und im Abwägen zwischen «liberté» und «patrie» scheint «Vater Staat» oftmals das grössere Gewicht zu erhalten. Ein anderes Bild ergeben die zwölf zivilen Indikatoren. In diesem Bereich lässt man sich in Genf und der Waadt offensichtlich nicht gerne beschränken. Im Gegenteil, man lässt Freiheiten zu, die in der Deutschschweiz weitgehend unbekannt oder unpopulär sind.

Beispielsweise kennen die beiden Genfersee-Kantone bei der demokratischen Mitwirkung von Ausländern vergleichsweise liberale Regeln. In beiden Kantonen hat die ausländische Bevölkerung das aktive Wahl- und Stimmrecht auf Gemeindeebene. Und in der Waadt sind Ausländer auf kommunaler Ebene sogar selbst wählbar. Dem überdurchschnittlich hohen Ausländeranteil (GE 40%, VD 34%) wird so vorbildlich Rechnung getragen. Ganz im Gegensatz zu vielen anderen Kantonen, wo die berühmte Parole des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges «no taxation without representation» nicht zur Geltung kommt.

Erfolgreiche Trennung von Staat und Kirche

Die Lehren der Aufklärung haben Verfassung und Gesetze am Arc lémanique stark beeinflusst. Dies zeigt sich exemplarisch im Bereich des Laizismus, wo insbesondere der Kanton Genf eine Musterrolle einnimmt und dieses Prinzip konsequent umsetzt. Das Gros der Deutschschweizer Kantone, die bis heute relativ stark mit den Kirchen verbandelt sind, könnte von den beiden Kantonen am Genfersee in dieser Hinsicht etwas lernen. So etwa bezüglich des noch immer in der Deutschschweiz weitverbreiteten Obligatoriums einer Kirchensteuer für (offensichtlich konfessionslose) juristische Personen, das einen erheblichen Einschnitt in die Wirtschaftsfreiheit der Unternehmen darstellt.

Der Avenir-Suisse-Freiheitsindex zeigt auf, dass die Kantone Waadt und Genf im zivilen Bereich durchaus liberale Ansätze aufweisen. Um die Funktion des Arc lémanique als regionaler Wirtschaftsmotor zu erhalten und weiter zu stärken, wäre es allerdings wünschenswert, dass die beiden Kantone ein Mehr an Freiheit im ökonomischen Bereich zuliessen. So käme der erste Teil der Parole «liberté et patrie» stärker zur Geltung.

Dieser Beitrag wurde erstmals in der Publikation «Einzigartige Dynamik des Arc lémanique» publiziert. Den Avenir-Suisse-Freiheitsindex finden Sie hier