Die Schuldenbremse ist eine Erfolgsgeschichte. Seit ihrer Einführung haben die Bundesschulden abgenommen – von 124 Mrd. Fr. im Jahr 2003 auf 97 Mrd. Fr. im Jahr 2019. Dies entspricht einem Rückgang um etwa 10 Prozentpunkte auf 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Selbst unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie, die den Schuldenstand um über 20 Mrd. Fr. erhöhte, bleibt die Wirkung beachtlich. Doch die rosigen Zeiten sind vorbei. Höhere Ausgaben für das Militär, den Wiederaufbau der Ukraine und den Bundesbeitrag an die Sozialversicherungen werfen die Frage auf: Muss die Schuldenbremse gelockert werden, um wieder mehr Schulden aufnehmen zu können?

De facto wurde nicht gespart

Entgegen der Vermutung, welche die Schuldenentwicklung aufkommen lässt, wurde im Bundeshaushalt seit 2003 nicht gespart. Die Ausgabenquote blieb konstant – ein gleichbleibender Teil der Wirtschaftsleistung wurde für Bundesausgaben verwendet. Von einem harten Sparkurus kann also keine Rede sein. Die Schulden konnten nur abgebaut werden, weil die Steuereinnahmen stärker gewachsen sind als die Ausgaben. Das bedeutet, dass der Staat zwar von einem wirtschaftlichen Aufschwung profitiert hat, aber keine strukturellen Anpassungen vorgenommen hat, um die Ausgaben zu senken. (vgl. die Avenir-Suisse-Studie: «Vermessenes Staatswachstum»).

Gebremst wurde trotz Schuldenbremse bisher nur beim Militär. (Adobe Stock)

Gebremst wurde einzig beim Militär. Die Ausgaben sind heute nominal noch auf dem Niveau der 1990er Jahre. Die Zurückhaltung im Verteidigungsbereich steht im Gegensatz zu den deutlich gestiegenen Sozialausgaben. Die Sozialleistungen sind doppelt so hoch wie vor Einführung der Schuldenbremse und haben somit deutlich stärker als die Wirtschaftsleistung zugenommen – es hat damit zumindest ein nomineller Sozialausbau stattgefunden. Auch die Investitionen, beispielsweise in die Verkehrsinfrastruktur, die häufig als Opfer der Sparpolitik dargestellt werden, sind nicht zurückgegangen, sondern wurden vielmehr erhöht. Das gilt auch für die Bildungsausgaben, die kontinuierlich gewachsen sind.

Schulden haben Kosten

Ohne Schuldenbremse hätten all diese Ausgaben wohl noch stärker zugenommen – und damit auch die Schulden. Das zeigt eine aktuelle Analyse, welche die Schuldentwicklung mit einer Kontrollgruppe aus OECD-Ländern vergleicht: Seit 2003 wäre die Schuldenquote ohne Schuldenbremse jedes Jahr um 2 bis 3 Prozentpunkte angewachsen. Was nicht nach allzu viel tönt, rechnet sich über die Zeit. Der Schuldenstand der Schweiz würde heute über 400 Mrd. Fr. betragen. Das wären rund 275 Mrd. mehr als die tatsächliche heutige Verschuldung des Bundes.

Damit ginge auch eine erhebliche Mehrbelastung des Budgets einher, denn für seine Schulden zahlt der Bund Zinsen. Im Jahr 2023 belief sich der Schuldendienst auf insgesamt 1,25 Mrd. Fr. Lange Zeit waren die Zinsen sehr tief, teils sogar negativ. Über mehrere Jahre erhielt der Bund Geld für die Aufnahme von Schulden. Die Differenz zwischen (nominalem) Wachstum und Zinsen war ebenfalls negativ. In dieser Situation schmilzt die Schuldenquote auch bei ausgeglichenen oder leicht defizitären Haushalten von allein ab. Namhafte Ökonomen prophezeiten, dass dieser Zustand langfristig andauern würde. Doch die Zeiten mit Negativzinsen sind vorerst vorbei. Mittlerweile haben die Zinsen auch in der Schweiz angezogen.

Eine kurze Rechnung zeigt, was die gestiegenen Zinsen für den Staatshaushalt bedeuten. Bei einem Zinssatz von 1,5 Prozent würden die jährlichen Zinskosten der hypothetischen Zusatzschulden über 4 Mrd. Fr. betragen – genug, um die Ausgaben für die Landwirtschaft und die wirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit oder 1,5 Jahre lang den gesamten ETH-Bereich mit zwei Hochschulen sowie diversen Forschungsanstalten zu finanzieren. Selbst wenn sich der Bund aktuell zu 0,7 Prozent verschulden könnte, würden die zusätzlichen Zinsausgaben jährlich immer noch die gesamten ETH-Ausgaben finanzieren können. Diese Summen verdeutlichen die potenziellen Belastungen, welche von höheren Schulden ausgehen. Sie haben, neben dem eigentlichen Nutzen der Ausgaben, eben auch Opportunitätskosten. Schulden sind kein «free lunch».

Lockerung der Schuldenbremse birgt Gefahren

Diese Erkenntnis geht in der heutigen Diskussion um eine Lockerung der Schuldenbremse oft verloren. Selbst wenn wie derzeit diskutiert «nur» Schulden von 15 Milliarden aufgenommen würden, hätte dies langfristige Kosten. Pro Jahr wären das zu den aktuellen Konditionen derzeit rund 100 Mio. Fr. an zusätzlichen Zinszahlungen. Nimmt man den durchschnittlichen Zinssatz für zehnjährige Bundesobligationen über die letzten 30 Jahre, wäre es gar das Dreifache. Bis 2050 würden sich die Zinsausgaben dadurch auf 8 Milliarden Franken summieren – das ist mehr als die Schweiz pro Jahr für die Landesverteidigung oder den Gesamtbereich Bildung und Forschung aufwendet.

Schulden sind weder grundsätzlich gut noch schlecht. Ihr Einsatz sollte jedoch immer unter der Prämisse erfolgen, dass die Kosten für zukünftige Generationen tragbar bleiben. Die grosse Gefahr einer Lockerung der Schuldenbremse liegt denn auch nicht in einem einzelnen schuldenfinanzierten Budgetposten, sondern in der schleichenden Ausweitung der Begehrlichkeiten. Heute sind es die Verteidigungsausgaben und der Wiederaufbau der Ukraine, morgen ein Klimafonds und eine Rentenerhöhung. Die Stärke der Schuldenbremse liegt darin, dass sie den Ausgabeneifer der Politik diszipliniert. Ohne sie drohen verschiedenste Interessengruppen, eine Ausnahme oder Zusatzausgaben für ihre Anliegen durchzusetzen. Das Problem ist nicht die einzelne Ausgabe, sondern die Kumulation über die Zeit.