Der Zugang zu und die Weiterentwicklung der Gesundheitstechnologie, dazu zählen beispielsweise Pharmazeutika, Medizintechnik oder die Diagnostik, ist einer der wichtigsten Faktoren für die weltweit steigende Lebenserwartung. In den vergangenen 35 Jahren ist sie um rund 10 Jahre gestiegen. So hatte eine 1980 geborene Frau im globalen Durchschnitt eine mittlere, geschätzte Lebenserwartung von 63,7 Jahren (Männer: 59,6). 2015 waren es schon 74,8 Jahre (Männer: 69,0). Malaria, eine der am meisten verbreiteten und gefährlichsten Infektionskrankheiten, forderte 2015 weltweit 730’500 Todesfälle. Dies sind immer noch zu viel, aber immerhin rund 37% weniger als noch zehn Jahre zuvor. Ein weiteres Beispiel für die positiven Wirkungen der Fortschritte im Bereich Health Tech ist die im weltweiten Durchschnitt stark sinkende Kindersterblichkeit. Starben von 1000 Lebendgeburten 1960 noch 180 Kinder unter fünf Jahren, waren es 2012 noch knapp 50. Auch die Todesfälle aufgrund von Krebs sind in den meisten Ländern stark zurückgegangen, Ursachen sind die Möglichkeit der früheren Diagnose sowie neue oder kombinierte Präparate zur Bekämpfung von Krebs. Gerade der Standort Schweiz hat dank der Forschung, Entwicklung und Produktion von Pharmazeutika massgeblichen Anteil an dieser globalen Entwicklung.

Auch die Digitalisierung, bzw. die Hard- und vor allem Softwarefortschritte der IT hatten und werden noch verstärkt Auswirkungen auf die Gesundheitsbranche haben. Länder wie Dänemark schöpfen das Potenzial zumindest teilweise aus, in der Schweiz stecken Erfahrungen, beispielsweise mit dem digitalen Patientendossier, noch in den Kinderschuhen. Gemäss der Untersuchung von digital.swiss beträgt der Ausschöpfungsgrad der neuen, digitalen Lösungen im Gesundheitswesen in der Schweiz noch magere 39%.

Hohe Nachfrage …

Die Nachfrage nach dem «Gut» Gesundheit ist hoch. Je höher das durchschnittliche Einkommen in einem Land ist, desto höher sind die Gesundheitsausgaben. Die Schweiz nimmt eine der Spitzenpositionen ein und liegt pro Kopf gemessen nach den USA an zweiter Stelle. Nicht nur absolut, sondern auch relativ zum Bruttoinlandprodukt (BIP) stiegen die Ausgaben für Gesundheit in der Schweiz stark an. Betrug der Anteil 1960 noch 4.8%, stieg er bis 2013 auf 10.9%. In den letzten Jahren dürfte der Anteil weiter gewachsen sein.

Die Ausgaben machen sich nicht nur in der überdurchschnittlichen Lebenserwartung bemerkbar, sondern zuallererst auch einmal an der Ausstattung. Im Vergleich mit dem Durchschnitt der OECD-Länder besitzt die Schweiz eine weit überdurchschnittliche Anzahl an CT-Scannern, MRI-Geräten, Mammografen oder Betten pro Kopf der Bevölkerung. Die Nachfrage nach «Gesundheit» wird trotz der jeweils herbstlichen Klagen über steigende Krankenkassenprämien wohl weiter hoch bleiben. Dies nicht nur aufgrund ausgeschalteter Anreize zum Kostensparen und regulierter Preise im Schweizer Gesundheitswesen, sondern auch aufgrund der demografischen Entwicklung. Altersabhängige Krankheiten werden dabei immer häufiger Behandlungsgrund sein.

Patrick Dümmler. (Screenshot Youtube)

Ein Klick auf das Bild führt zum Video von Patrick Dümmlers Rede. (Screenshot Youtube)

… stimuliert das zukünftige Angebot

Das Angebot an Gesundheitsprodukten und Behandlungsmethoden wächst. Neben bedeutenden Fortschritten, beispielsweise in der bildgebenden Diagnostik und der refraktiven Ophthalmologie (Operationen zur Korrektur der Gesamtbrechkraft des Auges, z.B. mittels Laserverfahren) befinden sich Geräte und Verfahren in der Entwicklung, die die Gesundheitstechnologie (Health Tech) weiter revolutionieren dürften. Dazu gehört insbesondere der verstärkte Einsatz von Robotern: Bereits heute unterstützen Roboter Chirurgen bei Operationen. In Zukunft werden behinderte Menschen von der Entwicklung von Exoskeletten und mechatronischen Prothesen profitieren. Patienten könnten in Zukunft auch von Nano-Robotern behandelt werden, die, einmal injiziert, Wirkstoffe direkt an die richtigen Stellen im Körper bringen. Versuche dazu wurden bereits erfolgreich abgeschlossen.

Herausforderungen bleiben bestehen, nehmen teilweise sogar zu

Eine der grössten Herausforderungen des Gesundheitswesens ist die Finanzierbarkeit. Digital basierte Lösungen verschlanken und verbessern Prozesse, sie dürften in vielen Fällen mittelfristig Kosten einsparen. Kurzfristig sind aber oft beträchtliche Investitionen zu tätigen, die kostentreibend sein können. Die heutige Finanzierungart der Gesundheitsleistungen ist kritisch zu hinterfragen. So bezahlt der Staat im stationären Bereich (Spital) 55%, die Krankenkasse 45% der Kosten, im ambulanten Sektor (Tagesklinik, Arztpraxis) übernimmt die Krankenkasse jedoch alles alleine. Die Behandlung sollte sich aber nicht an der politisch festgelegten Finanzierungsart, sondern an der Diagnose und der effizientesten Leistungserbringung ausrichten.

Die Informationstechnologie und die Digitalisierung von Daten schaffen dafür immer bessere Möglichkeiten, die Leistungen der Gesundheitsversorger lassen sich einfacher vergleichen. Es sollte selbstverständlich sein, dass Patienten und Versicherungen die Qualität und Kosten von Spitälern und Ärzten transparent vergleichen können. Doch der Widerstand ist gross, der Druck gering, die Effizienz und die medizinische Qualität weiter zu erhöhen. Ein Problembereich sind die oft tiefen Fallzahlen pro Indikation in einzelnen Spitälern. Daten belegen, dass mit einer steigenden Zahl der Operationen die Mortalität sinkt. Der Übergang von «überall alles» zu «an wenigen Orten mehr» muss gelingen. Neue, teure Apparaturen und Softwarelösungen für spezifische Anwendungen werden auch aus Gründen des Kostendrucks vermehrt zentral bereitgestellt werden müssen.

Neue technologische Lösungen haben und werden auch weiterhin die Gesundheitsversorgung revolutionieren. Wichtig ist dabei, den Nutzen neuer Angebote stets kritisch zu hinterfragen. In einigen Ländern, etwa im Vereinigten Königreich, gehören rigide Kosten-Nutzen-Analysen zu den Voraussetzungen für eine Vergütung. Dabei müssen neue Produkte oder Verfahren entweder mindestens gleich gute Resultate wie bestehende Lösungen bringen, aber zu tieferen Kosten, oder sie bringen einen markanten Nutzenzuwachs. Dies in Form einer rascheren Genesung, höherer Lebensqualität oder von zusätzlichen Lebensjahren für den Patienten. Die relevante Frage dabei ist, was konkret als markanten Nutzenzuwachs zu bezeichnen ist und welche (zusätzlichen) Kosten dafür in Kauf genommen werden sollen. Neue Behandlungsmöglichkeiten werfen damit auch immer drängendere, ethische Fragen auf.

Rigidere Zulassungsvorschriften verzögern Markteinführung

Eine Schwierigkeit ist, die Zusammenarbeit der einzelnen Akteure in der Wertschöpfungskette «Gesundheit» zu verbessern. Digitale Daten und Plattformen nützen wenig, wenn der Verwaltungsaufwand zu hoch ist und Nutzer keinen direkten, persönlichen Mehrwert erkennen. Viele Patienten würden zwar gerne selbst ihre Gesundheitsdaten digital verwalten, schrecken aber davor zurück, wenn es konkret wird. Ängste, dass die Daten in falsche Hände geraten könnten, sind weit verbreitet. Die Akzeptanz neuer Technik nimmt ab, sobald das Missbrauchspotenzial hoch ist oder Automatisierung die soziale Interaktion wie das persönliche Gespräch mit einem Arzt oder Pflegepersonal substituieren soll. Zukünftige Health Tech ist damit eher ein Enabler als ein Substitut. Nicht nur technologische, sondern auch regulatorische und mentale Hürden sind für die Digitalisierung des Gesundheitswesens zu überwinden.

Bei der Zulassung neuer Pharmazeutika oder von Medizintechnikprodukten kann das allerletzte Restrisiko trotz immer strengeren Vorschriften nie ausgeschlossen werden. Die regulatorischen Testanforderungen werden immer aufwendiger, sind kostentreibend und verzögern die Markteinführung. Damit gehen buchstäblich auch Leben verloren. Patienten, die von den Neuerungen profitiert hätten, sterben aufgrund der verzögerten Zulassung. Diese verlorenen Lebensjahre sind jenen Lebensjahren gegenüberzustellen, die eine rigide Regulation rettet. Eine Untersuchung für die Schweiz kommt bei Krebsmedikamenten zum Schluss, dass eine Verzögerung der Markteinführung von einem Jahr (aufgrund rigider Testanforderungen) zu einem Verlust von 5500 Lebensjahren aufgrund verhinderter Behandlung führt. Demgegenüber beträgt der Gewinn an Lebensjahren durch die Vermeidung von Todesfällen aufgrund der Tests nur 16 Jahre.

Innovationen fördern statt behindern

Die Entwicklung der Gesundheitstechnologie erfordert, bestehende Strukturen, Prozesse und Lösungen zu hinterfragen. Dies ist auch eine grosse Chance, das Gesundheitssystem für die Zukunft fit zu trimmen mit dem Ziel, die Versorgungsqualität zu vertretbaren Kosten weiter zu verbessen. Auf Seiten der Hersteller und Anbieter von Health-Tech-Produkten eröffnen technologische Fortschritte neue Chancen. Gerade für kleinere, softwarebasierte Unternehmen bieten sich Opportunitäten wie selten zuvor, in den Markt einzusteigen. Das regulatorische Korsett der Schweiz sollte deshalb möglichst lose gestrickt sein, so dass (digitale) Innovationen gefördert statt von Anfang an behindert werden. Die Schweiz ist sehr gut positioniert, um auch in Zukunft eine tragende, globale Rolle in der Gesundheitstechnologie zu spielen. Diese Chance sollte nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden, nicht zuletzt zum Nutzen von Millionen von Patienten weltweit.

Der vorliegende Text basiert auf dem Vortrag von Senior Fellow Patrick Dümmler am 11. Wirtschaftsforum des Kantons Schwyz, 25. Oktober 2016, zum Thema «Digitale Gesellschaft – Die Zukunft besteht aus Einsen und Nullen». Das Video des kompletten Vortrags «Fortschritte in der Gesundheitstechnologie – Chancen und Herausforderungen für die Gesellschaft» kann hier abgerufen werden.