Hinter der Geschäftsnummer 16.3999 verbirgt sich die Motion des Berner SP-Nationalrats und Gewerkschaftsfunktionärs Corrado Pardini, in der dieser vom Bundesrat «Grundrechte und Charta für eine demokratische Digitalisierung» einfordert. Der Vorstoss ist von Skepsis gegenüber den technologischen Erneuerungen geprägt, da diese – so der Motionär – demokratische Grundrechte gefährden könnten. Entsprechend müsse es gelingen, Bedrohungen für die Solidarität abzuwenden.
Es verwundert schon etwas, dass die neue Plattformökonomie gerade von gewerkschaftlicher Seite vehement bekämpft wird, bieten doch flexible Arbeitsmodelle zahlreiche Vorteile für Arbeitnehmer. Vergessen wird zudem, dass die neuen Angebote vorab einem Bedürfnis der Konsumenten entsprechen. Rund 100’000 Kunden zählt der Fahrdienst Uber alleine im Raum Zürich. Alle sechs Monate verdoppelt sich sein Umsatz – und entsprechend eröffnen sich auf dem Arbeitsmarkt neue Beschäftigungsmöglichkeiten. Wer über ein sauberes Fahrzeug verfügt, soll via Uber die Möglichkeit haben, seine Transportdienste anzubieten. Und wer ein aufgeräumtes Zimmer in seiner Wohnung hat, für den bietet sich die Chance, über Buchungsplattformen à la Airbnb einen Zusatzverdienst als Kleinsthotelier zu erwirtschaften.
Die Schweizer Gesetze hinken diesen Entwicklungen hinterher. Sie wurden einst vor dem Hintergrund klassischer Industriearbeit gemacht, wo nach traditioneller Auffassung die Arbeit in einem Unternehmen stattfindet, als räumliche und zeitliche Einheit. Beim Erlass des Arbeitsgesetzes konnte die Arbeitszeit noch strikt von Freizeit getrennt werden, Smartphones und damit die Möglichkeit zum Lesen von E-Mails nach Feierabend gab es anno dazumal noch nicht. Doch unsere Arbeitswelten verändern sich: In den Dienstleistungsberufen können die Arbeitszeiten flexibel und angepasst an die individuellen Bedürfnisse festgelegt werden.
Das Ergebnis unserer Arbeit, oft in Form einer virtuellen Datei, ist immer seltener an einen fixen Ort gebunden. Und unsere Smartphones nutzen wir ebenso rege für den privaten Gebrauch. Die Höchstarbeitszeiten sind gemäss Arbeitsgesetz pro Woche definiert, obwohl der Arbeitsumfang oft schwankt und nicht jede Woche in gleichem Ausmass anfällt. Entsprechend drängt sich eine Reform auf, die statt der maximalen Wochenarbeitszeit eine durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit von 45 Stunden im Jahresdurchschnitt festlegt. Zusehends verschwimmen die Grenzen zwischen Selbstständigkeit und Angestelltenstatus. Plattformarbeiter haben grundsätzlich die Kompetenz, sich wie Selbstständige ihre Arbeitszeit frei einzuteilen. Nutzt ein Chauffeur z. B. Uber für seine Dienste, muss er die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Firma akzeptieren, womit er dem Status eines Angestellten nahekommt. Gleichzeitig wählt er selbst, welche Aufträge er annimmt und welche nicht. Rechtlich ist somit unklar, ob Uber den Status eines Arbeitgebers hat.
Entsprechend drängt sich ein neuer Arbeitsstatus, derjenige des «selbstständigen Angestellten», auf. Dieser würde – wie heute bei Angestellten üblich – einen Sozialversicherungsschutz bieten. Doch weil «selbstständige Angestellte» über den Umfang der Arbeit entscheiden können (z.B. indem sie sich nicht auf die Plattform einloggen), kann das Risiko der Arbeitslosigkeit nicht gedeckt werden. Somit entfiele die Beitragspflicht an die ALV.
Der neue Status des «selbstständigen Angestellten» wäre zudem als freiwillige Option für Arbeitgeber und Arbeitnehmer konzipiert. Damit könnte man Rechtssicherheit für die neuen Arbeitskräfte digitaler Plattformen und für Unternehmen schaffen. Heute erfolgt die Statuseinteilung durch die Sozialversicherungen selbst und verhindert die Wahlfreiheit im Einzelfall. Obwohl sich die Grenzen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der digitalen Ökonomie zunehmend auflösen, verweigern sich die Gewerkschaften dieser Entwicklung – und spielen lieber die alte Karte des Klassenkampfes. Tatsache ist aber, dass das Beschäftigungswachstum heute vorwiegend im digitalen Sektor stattfindet, mit einem Anstieg um fast 50 Prozent seit der Jahrtausendwende.
Dieser Beitrag ist in der «Luzerner Zeitung» und im «St. Galler Tagblatt» vom 27. März 2018 erschienen.