Der Begriff «Wohnungsmarkt» ist eigentlich irreführend, denn die Preise von Mietwohnungen sind so stark administriert, wie man das sonst nur aus der Landwirtschaft kennt. Ein Markt existiert weitgehend nur bei Erstvermietungen neuer Wohnungen. Schon bei Wiedervermietungen existierender Wohnungen bestehen teilweise starke Preisregulierungen. Und bestehende Mieten verändern sich gar nicht mit Angebot und Nachfrage, sondern sind per (eidgenössischem) Gesetz seit 1990 an die Hypothekarzinsen gebunden. Obwohl die Nachfrage nach Wohnraum wegen des Wachstums von Pro-Kopf-Einkommen, Bevölkerungszahl und den veränderten Haushaltsstrukturen gestiegen ist, führte das Niedrigzinsumfeld der vergangenen zehn Jahre zu einem Rückgang der Bestandesmieten.

Damit öffnete sich eine Preisschere zwischen Bestandes- und Neumieten. Diese schränkt die Mobilität der Bevölkerung ein und führt zu ineffizienter Wohnflächenausnutzung: Langjährige Mieter werden ihre Wohnung auch dann eher nicht künden, wenn es Präferenzen und Lebensumstände eigentlich nahelegen würden, denn ein Wohnungswechsel wäre – da die Kosten für die gegenwärtige Wohnung mit zunehmender Mietdauer immer weiter unter dem Marktpreis der Angebotsmieten liegen – mit hohen zusätzlichen Mietkosten verbunden.

Die Werkbund-Siedlung der Genossenschaft Neubühl wurde während der Weltwirtschaftskrise in Zürich Wollishofen (1930–1932) als prototypische Gesamtüberbauung realisiert. (ETH Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

Die Städte – in denen die Nachfrage in den letzten 15 Jahren besonders stark gestiegen ist – verkommen damit zunehmend zu einem geschlossenen Zirkel der Glückseligen (der langjährigen Mieter), statt ein Hort der Offenheit zu sein, wie es dem Selbstbild vieler Stadtbewohner wohl eher entspräche. Zwar bewegen sich die Städte bei der Wohnungsmarktpolitik auf historisch verfahrenem Gelände, das wesentlich von einer nationalen Regelung geprägt wird. Im Rahmen ihrer kommunalen Kompetenzen können sie den negativen Auswirkungen dieser regulatorischen Sackgasse durchaus entgegenwirken. 

Das Städtemonitoring

Als Indikator für die Qualität der städtischen Wohnungsmarktpolitik wird untersucht, wie weit sich die Schere zwischen Angebotsmieten (also Neu- und Wiedervermietungen) und Bestandesmieten schon geöffnet hat. Die Zahlen dafür wurden vom Immobilienberatungsunternehmen Wüest Partner berechnet. Dessen Auswertungen sind nicht für einzelne Gemeinden verfügbar, sondern werden auf Ebene von MS-Regionen (MS=mobilité spatiale) durchgeführt. Schweizweit hat das BFS 106 MS-Regionen definiert. Da eine städtische MS-Region selten mehr als die Stadt plus die nächsten Umlandgemeinden umfasst, ist die resultierende Prozentzahl weitgehend durch die Entwicklung der Mieten innerhalb der administrativen politischen Grenzen der Stadt geprägt.

Ergebnisse

Die Unterschiede in der Grösse der Schere zwischen Angebots- und Bestandesmieten sind enorm. Die Städte lassen sich klar in zwei Gruppen einteilen: In sechs Städten (fünf Deutschschweizer Städte plus Biel) liegt die Differenz unter 10% und damit in einem Rahmen, der noch nicht zu erheblichen Effizienzverlusten im Wohnungsmarkt führen sollte. Spitzenreiter (im positiven Sinne) ist Luzern, wo die Mietpreisschere nur 4% beträgt. In vier Städten (Lugano, Lausanne und Genf, sowie Zürich) ist die Differenz dagegen grösser als 20%. Der hohe Wert in Lugano überrascht etwas: An sich ist Lugano für einen verhältnismässig liberalen Wohnungsmarkt bekannt, und auch die hohe Leerwohnungsziffer spricht eher gegen ein starkes Auseinanderdriften von Angebots- und Bestandesmieten.

Abgeschlagen an letzter Stelle liegt Genf mit einer Mietpreisschere von enormen 45%. Genf ist ein eindrückliches Mahnmal dafür, dass weitere Einschränkungen und Regulierungen des Wohnungsmarktes über das auf eidgenössischer Ebene vorgeschriebene Prinzip der Kostenmiete hinaus die Situation nicht verbessern, sondern verschlimmern. So hat Genf z.B. umfangreiche regulatorische Massnahmen gegen Mietpreiserhöhungen bei Wiedervermietungen getroffen. Würden diese ihr Ziel erreichen, müsste das die Mietpreisschere verkleinern (wenn auch auf Kosten eines Marktungleichgewichts mit Nachfrageüberhang). Die Realität zeigt, dass das Gegenteil erreicht wurde. Die Regulierung hält von sinnvollen Investitionen ab oder führt zu Fehlinvestitionen – das erhöht den Preis der am Markt verfügbaren Wohnungen weiter.

Weiterführende Informationen vgl. «20 Jahre Schweizer Stadtpolitik».