Avenir Suisse: Herr Hannesbo, die Frage nach der richtigen Antriebstechnologie hat Züge einer parareligiösen Diskussion. Es gibt auf allen Seiten Propheten, Kreuzritter und Inquisitoren. Wo stehen Sie?

Morten Hannesbo: Es gibt zwei Welten: Einerseits kaufen die Leute das, was ihnen gefällt. Ein Kunde schaut 4–5 Jahre in die Zukunft, dann wechselt er normalerweise das Auto. Das ist weitgehend eine Welt der Verbrennungsmotoren: 2/3 Benziner, 1/3 Diesel. Und dann gibt es die Welt der neuen Technolo-
gien, die vor allem von der Politik gefördert und gefordert wird. Da gibt es die batterieelektrischen Antriebe, Plug-in-Hybride und Brennstoffzellenfahrzeuge, die vor allem unter den Personenwagen noch Exoten sind. Diese Welt wird von der Politik bejubelt, aber die Mehrheit der Kunden ist noch nicht bereit dafür. Wir haben immer noch Reichweiten-, Akzeptanz- und Kostenthemen. Das reduziert die Nachfrage – obwohl die Fahrzeuge weitgehend alltagsfähig sind.
 

Wie sehen die Verkäufe für Steckerfahrzeuge konkret aus?

Sie liegen immer noch weit unter dem gewünschten Niveau. Wir werden dieses Jahr rund 10% Steckerfahrzeuge verkaufen, aber das wird nicht reichen, um die CO2-Ziele einzuhalten. Nur jene Kunden kaufen neue Technologien, die sich das leisten können – und zwar nicht nur finanziell. Im Schweizer Markt wohnen 50–60% der Leute zur Miete. Viele dieser Mieter haben nicht die Hoheit über ihren Abstellplatz. Sie dürfen nicht einfach eine Wallbox montieren. Und laden an öffentlichen Ladestationen bedeutet, dass ich mehr Zeit einplanen muss.

Volkswagen ist doch ein Auto fürs Volk, wie der Name sagt

Ja, die meistverkaufte Marke. Und wir wollen das auch bei den CO2-Vorgaben sein. Doch wir sind im Rückstand, weil wir dieses Jahr während drei Monaten fast keine Produktion erhalten haben. Zuerst hat in Asien die Batterieproduktion stillgestanden, und dann in Europa die Werke. Weil im März, April und Mai keine neuen Produkte kamen, mussten wir das Wenige verkaufen, das wir an Lager hatten. Normalerweise würden wir unsere Verkäufe so steuern, dass wir die CO2-Vorgaben bestmöglich erfüllen. Das ist uns 2019 nicht ganz gelungen, und 2020 werden wir weit am Ziel vorbeischiessen. Ich kann das aufgrund der Corona-Situation gar nicht verhindern.

Morten Hannesbo, Amag-CEO. (pd)

Das heisst, Sie lenken Ihre Kunden sanft in die Richtung, die Sie haben wollen – oder vielmehr müssen

Eher müssen. Wir forcieren mit voller Kraft die Plug-in- und Elektrofahrzeuge. Aber wir bekommen einerseits nicht genug davon, um die CO2-Vorgaben für Neuwagen zu erreichen, anderseits können wir diese Fahrzeuge nur schwer absetzen. Daraus ergibt sich für uns eine sehr hohe Lenkungsabgabe.

Sie rechnen mit rund 100 Millionen Franken Busse 2020?

… offiziell heisst es Lenkungsabgabe …

Warum schlagen Sie diese Lenkungsabgabe nicht auf die
Autopreise drauf?

Das geht nicht. Wir haben in Europa einen freien, offenen Markt für Fahrzeuge. Wenn wir die Preise erhöhen würden, wären wir viel teurer als in Frankreich, Deutschland oder wo auch immer. Dann hätten wir einen starken Anstieg von Direktimporten. Wir sind bereits heute leicht teurer in der Schweiz, weil unsere Autos besser ausgestattet sind, weil wir bessere Garantieleistungen anbieten, aber auch aufgrund höherer Kosten.

Gibt es im umgebenden Europa keine Lenkungsabgaben?

In dieser Form, pro Land, nein. Die Schweiz ist eine Insel – in vielen Belangen – aber im CO2-Bereich sind wir wirklich eine! Wir müssen unsere CO2-Vorgaben hier erreichen, während die EU ihre Ziele auf 27 Länder verteilen kann. Da spielt Spanien mit Schweden zusammen, Deutschland mit Griechenland. Das sind verschiedene Märkte. Im Durchschnitt schaffen die EU-Märkte 2020 wahrscheinlich die geforderten 95g CO2/km. Doch Schweden z.B. erreicht die Zielwerte ebenso wenig wie die Schweiz. Wir verkaufen teurere Fahrzeuge mit höherer Motorkraft, viele mit Automatikgetriebe und Allradantrieb. Da stösst ein Skoda Octavia oder ein Golf rasch 160–170g CO2 aus. Wir haben viele Berge, Schnee im Winter, Stau. Schweden als Teil der EU kann das mithilfe von Spanien kompensieren, wo kleinere Autos gekauft werden.

Wäre es zielführend, wenn sich die Schweiz für die CO2-Vorschriften bei der EU «andocken» könnte, um die Verbrauchswerte zu glätten?

Das haben wir von Auto Schweiz natürlich dem Bundesamt für Energie und dem Bundesrat von Beginn weg vorgeschlagen. Das wird jedoch abgelehnt, weil die Schweiz eine Vorreiterrolle einnehmen soll. Die Politik fordert, dass wir die Ziele schneller erreichen als alle anderen, ohne Rücksicht auf die Wirtschaft und Bevölkerung. Die Schweiz konnte sich das lange leisten. Die Frage ist, ob das auch in Zukunft noch der Fall ist. Wir haben die Finanzkrise erlebt, jetzt stecken wir in der Corona-Krise. Solche Krisen sind teuer und haben vielen KMU das Leben sehr schwer gemacht. Wenn jetzt obendrauf noch CO2- und andere Belastungen folgen, weiss ich nicht, ob die Wirtschaft das stemmen kann, ohne dass die Bevölkerung das merkt. Denn die Löhne bei den Wettbewerbern in Frankreich und Italien liegen um ein Drittel oder die Hälfte tiefer.

Wer bezahlt also die Lenkungsabgabe am Schluss?

Die ganze Branche wird nicht darum herumkommen, mit tieferen Margen und höheren Preisen das Geld irgendwie wieder hereinzubekommen, soweit es geht. Es gibt keinen anderen Weg.

Ändert sich mit den CO2-Vorgaben nicht auch die Rolle des Importeurs? Sie müssen nicht nur betriebswirtschaftlich denken, sondern auch ein Klimaziel erreichen.

Einen Modellmix anzubieten, der überhaupt lieferbar ist und an dem die Kunden Interesse haben, ist in der Tat schwieriger geworden. Am Ende entscheidet der Kunde mit dem Herz und dem Portemonnaie. Wer viel Herz hat, kauft neue Technologien, und wer wenig Geld hat, kauft sie nicht.

Die Probleme der Wirtschaft sind offensichtlich, jene mit dem Klima ebenso. Lässt sich der Zielkonflikt mit Elektromobilität alleine lösen? Oder kann man im Verkehrsbereich zusätzlich etwas machen, beispielsweise mit Brennstoffzellenfahrzeugen oder synthetischen Treibstoffen?

Elektromobilität bringt für den Kunden einen riesigen Nutzen. Die Nachteile sind heute noch die Kosten und die Reichweite. Beide Probleme lassen sich lösen. Für mich ist Elektromobilität der Schlüssel zum Erfolg. Brennstoffzellen sind für LKW, Busse, vielleicht auch für Schiffe interessant. Die Energiebilanz der Brennstoffzelle ist viel schlechter als bei Batterie-Fahrzeugen. Das lohnt sich nur, wenn es nicht anders geht, etwa bei Lastwagen. Sehr interessant wären natürlich synthetische Treibstoffe. Aber heute kostet ein Liter dieses Treibstoffes zwischen 7 und 8 Franken. Ausserdem können wir nicht in kurzer Zeit genügend davon produzieren. Aber die Technologie hat Potenzial, insbesondere wenn man diese Treibstoffe in Weltregionen herstellen könnte, wo es Wind- oder Sonnenenergie beinahe «gratis» gibt und die benötigte Grundfläche wenig kostet. Wir sprechen da aber von einer Perspektive von 30–40 Jahren.

Der grosse Vorteil von E-Fuels besteht darin, dass man mit steigender Produktion schrittweise fossile Brennstoffe substituieren kann. So könnte man sich kontinuierlich an das Klimaziel herantasten. Ein anderer Vorteil ist, dass die Infrastruktur bereits besteht.

Ich bin völlig einverstanden, nur sehe ich den direkten Weg dorthin noch nicht. Der viel schnellere und günstigere Weg ist die Umstellung auf Elektrofahrzeuge, trotz Investitionen in eine neue Infrastruktur.

Angesichts der verschiedenen technologischen Möglichkeiten, CO2 im Verkehr zu reduzieren, braucht es Rahmenbedingungen, die uns die Optionen effektiv offenhalten.

Die Politik tut immer gut daran, lösungs- und technologieneutral vorzugehen, sei es im Motorenbau, sei es im Bereich Auto gegen ÖV. Ich sage nur: Wenn ich eine Zeitschiene habe und darauf die technische Entwicklung aufzeichne, dann sehen wir in drei bis vier Jahren den Durchbruch für die Elektromobilität. Wir werden einen Drittel mit Elektromotor verkaufen. Bis Ende der Dekade fahren zwischen 60% und 65% der Neuwagen elektrisch. Aber die Fahrzeugflotte wird bis 2045 immer noch mehrheitlich mit Verbrennungsmotor unterwegs sein. Um das zu verhindern, müsste man die Verbrenner verbieten, was ich aber komplett ablehne. Denn aus heutiger Sicht ist ein Dieselmotor die bessere Lösung – besser als ein Elektrofahrzeug

Das ist sehr umstritten!

Die Schweiz, Norwegen und Frankreich sind Länder, die einen optimalen Strommix für Elektroautos haben: Die Elektrizitätserzeugung erfolgt beinahe CO2-frei. In allen anderen Ländern ist der Strommix unter Umweltaspekten nicht optimal. Da ist ein sparsamer Diesel die bessere Lösung. Es gibt Tausende Themen, die man einbeziehen muss, bis hin zum Abrieb der Reifen, der sich erhöht, wenn das Auto aufgrund der Batterien schwerer wird. Es gibt keine einfache Antwort auf die Frage nach der richtigen Technologie für die Mobilität. Wenn ich mit dem Fahrrad auf dem Land unterwegs bin, sehe ich überall Subaru mit Allrad… und Traktoren. Das wird sich im Wallis, im Jura und in Graubünden so schnell nicht ändern. Deswegen brauchen wir technologieneutrale Ansätze, wo in den Städten eine andere Lösung zum Zug kommen kann als auf dem Land. Und für die Langstreckenfahrten braucht es nochmals andere Konzepte.

Dann teilen Sie als Fan von Elektromobilität die Einschätzung, dass wir mit dieser Technologie alleine nicht zum Ziel kommen?

Auf netto null kommen wir streng genommen nie, denn selbst die Windräder benötigen ja Strom, um produziert zu werden. Wir brauchen einen Pfad, auf dem wir unseren CO2-Footprint reduzieren. Aber das muss mit gesundem Menschenverstand gemacht werden. Wenn ich die Schweiz mit anderen Ländern vergleiche, muss man schon sagen: Wir spinnen total, wie wir unser CO2-Problem lösen wollen. Es ist sicher nicht falsch, was wir machen, nur die Geschwindigkeit, mit der wir vorgehen, stimmt nicht. Wir haben die strengsten Vorgaben für Autos weltweit, wollen auch sonst alles in der Schweiz erreichen. Das kann man natürlich machen, aber am Ende muss das Land auch wirtschaftlich überleben können. Deswegen sind wir zu naiv unterwegs. Wir wollen in der Schweiz die Welt retten, dabei sind wir für weniger als 1 Promille des weltweiten CO2-Ausstosses verantwortlich. Man vergisst auch, dass die Schweizer im Durchschnitt 14000 km pro Jahr fahren, die Deutschen fast das Doppelte. Das CO2 hat ja weniger damit zu tun, wie viel das Auto ab Fliessband ausstösst, sondern wie viel ich damit fahre.

Das heisst, wenn ich 30000 km pro Jahr mit einem umweltfreundlichen Auto fahre, emittiere ich mehr, als wenn ich mit einem schweren SUV wenig fahre.

Genau. Das Klischee des Porsche Cayenne auf dem Zürichberg ist zu relativieren. Wenn der nur 5000 km pro Jahr gefahren wird, kann das besser sein als ein Toyota Prius, der 20000 km zurücklegt. Die Probleme lösen wir, indem wir die Masse berücksichtigen. Die kleinen Fahrzeuge müssen wir elektrifizieren, damit erreichen wir viel.

Wäre es nicht klüger, statt den bestehenden CO2-Vorschriften für Neuwagen die realen Emissionen zu belasten? Dann hätte es der Konsument mit der Wahl des Fahrzeuges und seiner Fahrleistung selber in der Hand, CO2 und Geld einzusparen.

Man bestraft dann allerdings jene, die ein Auto unter anderen Rahmenbedingungen gekauft haben und die allenfalls viel fahren müssen, um z.B. zur Arbeit zu kommen, oder in ländlichen Gebieten wohnen. Was wir heute machen, ist nicht falsch. Aber wir sind etwas zu forsch unterwegs. Ich wäre happy, wenn wir die CO2-Ziele nur schon 2020 auf 2021 verschieben könnten. Das würde der Branche viel helfen.

Vielleicht steigen wir am besten aufs Fahrrad um.

Ich bin ja ein leidenschaftlicher Fahrradfahrer. Das ist nicht nur gesund, sondern entlastet auch die Strassen und den ÖV. Ich verkaufe gerne Autos, aber ich schätze den Trend in Richtung Fahrradfahren. Was ich hingegen nicht verstehe, ist, weshalb es die Schweizer Städte nicht schaffen, ihre Radwege richtig zu gestalten. In Kopenhagen, wo ich herkomme, gibt es eine bauliche Trennung zwischen Strasse, Radwegen und Trottoirs. Das könnte man hier viel, viel besser machen.

Weiterführende Informationen: Nachhaltige Antriebskonzepte

Morten Hannesbo

wurde 2007 Importchef des grössten Schweizer Autoimporteurs Amag und leitet den Konzern seit 2009 als CEO. Zuvor war der ausgebildete Schifffahrtskaufmann Direktor bei Ford in Grossbritannien, Frankreich und der Schweiz, Managing Director bei Nissan Dänemark sowie Marketingdirektor bei Toyota in Dänemark. Der 57-jährige Morten Hannesbo ist Vize-Präsident von Auto-Schweiz, der Vereinigung der offiziellen Automobilimporteure.