Zu Beginn der Aufnahmeverfahren ins Gymnasium entbrennt regelmässig eine Diskussion um die richtige Höhe der Maturitätsquote. Die Debatte ist vielfach emotional, da Schüler, Eltern, Lehrer und deren Befindlichkeiten in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung gerückt werden. Dabei wird oft vergessen, dass ein starres Quotendenken und ein Ausblenden der Möglichkeiten einer Berufsmaturität zu falschen Zuteilungen führen können.
Die gymnasiale Maturitätsquote beschreibt die Anzahl gymnasialer Maturitätsabschlüsse im Verhältnis zur 19-jährigen ständigen Wohnbevölkerung. In der allgemeinen Debatte wird der Begriff aber verwendet, um den Prozentsatz eines Schülerjahrganges zu benennen, der für das Gymnasium zugelassen wird. Das Aufnahmeverfahren soll sicherstellen, dass hierfür die qualifiziertesten Schülerinnen und Schüler ausgewählt werden.
Selektion nach Schulzimmern statt nach Fähigkeiten
Heute besteht die Gefahr, dass entlang dem aufgebauten Fassungsvermögen der Gymnasien selektiert wird, anstatt vorwiegend auf die Fähigkeiten der Prüflinge abzustellen. Die Erfahrung zeigt, dass die öffentliche Hand die Kapazitäten der Gymnasien für geburtenstarke Jahrgänge unterproportional zur eigentlichen demografischen Entwicklung erhöhte. Kurzfristig ergibt sich die Maturitätsquote somit aus den bestehenden Kapazitäten der Schulhäuser sowie der Schülerkohorte eines Jahrganges. Engpässe oder Leerbestände der Infrastruktur sollten aber kein auschlaggebendes Kriterium im Selektionsprozess darstellen. Diese können, wie in anderen Bereichen auch, auf- und abgebaut werden. Eine künstlich tief gehaltene Maturitätsquote bewirkt eine übermässige Beschränkung, die einer Wissensgesellschaft nicht entspricht.
Die Abbildung zeigt die durchschnittliche Maturitätsquote für die gesamte Schweiz und unterscheidet dabei zwischen weiblichen und männlichen Absolventen. Entgegen der weit verbreiteten Meinung stieg die Maturitätsquote im Schweizer Durchschnitt seit der Jahrtausendwende nur geringfügig auf 20% an. Dieser Trend wurde vorwiegend von jungen Frauen gestützt, die vermehrt ins Gymnasium übertreten. Bei den jungen Männern verharrt die Quote konstant bei rund 16%. Von einer fortschreitenden Akademisierung kann daher – zumindest im «klassischen» Bereich des gymnasialen Bildungswegs – nicht die Rede sein.
Auch zwischen den Kantonen bestehen historisch gewachsene, grosse Unterschiede. In Basel Stadt, Genf und im Tessin lag die Quote im Jahr 2015 bei knapp einem Drittel, während sie in den Ostschweizer Kantonen Glarus, Thurgau und St. Gallen bei weniger als 15% stagniert. Die Chancen, ein Gymnasium zu besuchen, sind in der Genferseeregion und im Tessin somit sehr viel grösser als in der Ostschweiz. Eine landesweite Vereinheitlichung oder die Einführung einer Minimal- oder Maximalquote könnten den regionalen Gegebenheiten allerdings nicht gerecht werden.
Bildungswege nicht gegeneinander ausspielen
Während die gymnasiale Maturitätsquote nur moderat anstieg, verzeichnete die Quote der Berufsmaturität einen vergleichsweise rasanten Zuwachs. Im Gegensatz zur weiter aufgehenden Schere zwischen weiblichen und männlichen Absolventen bei der gymnasialen Maturität hat sich dieser Überhang bei der Berufsmaturität jedoch abgeschwächt.
Bei dieser Diskussion gibt es einen sehr wichtigen Aspekt: Die beiden Bildungswege dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es geht darum, den Begabungspool bestmöglich zu nutzen. Der Erfolg des schweizerischen Bildungssystems beruht gerade auf der Durchlässigkeit auf verschiedenen Stufen. Es gibt daher weder den einen richtigen Weg noch die eine richtige Quote. Die Wirtschaft braucht in Zukunft noch mehr hochqualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Eine Bildungsrationierung muss daher vermieden werden. Die Vielfalt bietet die Chance, den jeweils passenden Weg zu finden. Darin liegt die Stärke des schweizerischen Bildungssystems.
Lesen Sie dazu auch Teil 2 dieses Blogs: «Die Berufsmaturität attraktiver gestalten».