Der technische und medizinische Fortschritt hat die Behandlung und Heilung vieler schwerwiegender Krankheiten erheblich verbessert. Die derzeitigen Zugangs- und Erstattungsprozesse können allerdings mit dieser erfreulichen Entwicklung nicht Schritt halten. In der Schweiz warten Patienten nach wie vor zu lange, bis sie von innovativen Medikamenten profitieren können. Das ist insofern problematisch, als es sich dabei oft um lebensrettende Behandlungen handelt, für die es keine therapeutische Alternative gibt.
135 statt 60 Tage
Bevor ein neues Medikament in der Schweiz auf dem Markt zugelassen wird, muss Swissmedic dessen Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität überprüfen. Anschliessend wird der Preis zwischen dem Pharmahersteller und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) ausgehandelt. Erst wenn das Medikament auf die Spezialitätenliste aufgenommen ist, können die Kosten von den Krankenversicherungen übernommen werden. Bei Uneinigkeiten in der Preisgestaltung ziehen sich diese Verhandlungen jedoch über mehrere Monate hin. Obwohl das Gesetz eine Frist von 60 Tagen für die Preisfestsetzung vorsieht, wird diese Frist immer seltener eingehalten: 2015 betrug die durchschnittliche Dauer bis zur Aufnahme in die Spezialitätenliste noch 42 Tage, 2022 bereits 135 Tage. Patienten haben während dieser Zeit nur beschränkten Zugang zu innovativen Medikamenten: Die Kostenübernahme muss bei den Krankenkassen einzeln beantragt und ein individueller Preis ausgehandelt werden.
Vorläufiger Preis für schnelleren Zugang
Einzelfallanträge kosten die Erkrankten nicht nur Zeit und Energie in einer schwierigen Phase ihres Lebens, sondern beanspruchen auch erhebliche Ressourcen von Versicherungen und Pharmaunternehmen. Ausserdem besteht die Gefahr von Ungleichbehandlungen. Deshalb sollte auf solche Einzelfallanträge nur in Ausnahmefällen zurückgegriffen werden.
Es braucht somit ein neues Zulassungsverfahren für innovative Medikamente: Sobald eine Zulassung von Swissmedic vorliegt, sollten diese Arzneimittel zu einem vorläufigen Preis von den Krankenkassen übernommen werden. Der Preis sollte dabei «mechanisch», d.h. mithilfe einer Formel, festgelegt werden, um Zeit zu sparen und zu vermeiden, dass die nachfolgenden Verhandlungen durch einen als zu hoch oder zu niedrig erachteten vorläufigen Preis präjudiziert werden. Sobald der provisorische Preis festgelegt ist, hätten das BAG und die Pharmahersteller 365 Tage Zeit, um einen Endpreis auszuhandeln. Der Differenzbetrag zwischen dem provisorischen und dem definitiven Preis müsste dabei von den Pharmaherstellern an die Krankenkassen zurückerstattet werden oder auch umgekehrt.
Um Vertrauen in einen solchen Prozess zu gewinnen, müsste der provisorische Preisfestsetzungsmechanismus vom BAG bestimmt werden. Dabei könnte man sich an dem Durchschnittspreis orientieren, der in Europa für das gleiche Medikament verlangt wird. Erachtet das BAG diesen Betrag als zu hoch, könnte es die Hälfte dieses europäischen Richtwertes veranschlagen und später einen höheren Endpreis aushandeln. Allerdings wäre es bei dieser Alternative schwierig, der Öffentlichkeit zu erklären, warum der Endpreis letztlich höher ausfällt als der provisorische, insbesondere in einem Kontext steigender Gesundheitskosten.
Sollten sich die Parteien nach Ablauf der Frist nicht auf einen endgültigen Preis einigen können, wären die Verhandlungen um weitere 6 Monate zu verlängern. Ist nach Ablauf dieser zusätzlichen Zeit immer noch keine Einigung vorhanden, wiederholt sich der Verhandlungsprozess so lange, bis eine Übereinkunft getroffen wurde oder das Pharmaunternehmen seinen Zulassungsantrag zurückzieht. Nach jeder verstrichenen Verhandlungsfrist müsste der provisorische Preis aktualisiert und die zu viel gezahlten Beträge zurückerstattet werden.
Die Patienten statt die Verhandlungen priorisieren
Mit unserem Vorschlag würden Patienten einen schnelleren Zugang zu dringend benötigten Behandlungen erhalten, ohne einen Einzelfallantrag bei ihrer Krankenversicherung stellen zu müssen. Ihrerseits könnten die Pharmaunternehmen ihre Produkte früher und breiter auf den Markt bringen, als dies heute der Fall ist. Schliesslich hätte das BAG mehr Zeit, um einen passenden Preis zu erzielen, ohne seine Verhandlungsposition zu schwächen.
Am 28. April 2023 stimmte die Sozial- und Gesundheitskommission des Nationalrats (SGK-N) mit 17 zu 8 Stimmen einem entsprechenden Antrag zu. Bei diesem Beschluss beträgt die Frist für die Festlegung des definitiven Preises allerdings 24 Monate nach der Zulassung von Swissmedic. Die Modalitäten bezüglich des provisorischen Preises wurden nicht veröffentlicht.
Der Vorschlag von Avenir Suisse und jener der Nationalratskommission verfolgen das gleiche Ziel. Wer an einer schweren Krankheit leidet und keine therapeutische Alternative hat, soll rasch von einer Behandlung profitieren können, ohne einen aufwändigen administrativen Prozess im Einzelfallverfahren durchlaufen zu müssen.
Die Verhandlungen zwischen dem BAG und den Pharmaunternehmen sind wichtig und sollten ohne grösseren Termindruck geführt werden können. Dieser bürokratische Prozess muss jedoch im Hintergrund ablaufen und darf auf nicht zu Lasten der betroffenen Patienten gehen.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie in unserer neuen Publikation «Wann sind neue Medikamente zu teuer? – Raschen und finanzierbaren Zugang zu hochpreisigen Innovationen sichern».