Am urbanen Horizont ziehen dunkle Wolken auf. Viele externe Faktoren, die den Schweizer Städten in den letzten 20 Jahre eine Sonderkonjunktur bescherten, verlieren merklich an Dynamik. Zugleich stellen Megatrends wie Digitalisierung und Migration die urbanen Zentren vor neue Herausforderungen.

Herausforderungen für die Zukunft

Aber wie krisenfest ist das Erfolgsmodell der Schweizer Städte? Aus drei Gründen ist es an der Zeit, sich ernsthaft mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Erstens scheinen einige der Treiber der städtischen Sonderkonjunktur an Kraft zu verlieren. Zweitens ziehen Risiken am Horizont auf, die auch die Schweizer Städte bedrohen. Drittens zeichnet sich hinter der glänzenden Fassade der Schweizer Städte bereits seit etlichen Jahren eine Reihe von Fehlentwicklungen ab, welche die Fundamente des Erfolgsmodells untergraben könnten.

Die grossen Städte müssen die politischen Weichen jetzt stellen: Zum Kulturzentrum umgenutzte Lokremise in St. Gallen. (Carmen Sopi)

Die grossen Schweizer Städte sind gut beraten, sich auf schwierigere Zeiten vorzubereiten, denn es gibt eine Vielzahl von Indizien dafür, dass sich ihre Rahmenbedingungen in den kommenden Jahren verschlechtern werden. Darauf deuten unter anderem die folgenden Entwicklungen:

Rückgang der qualifizierten Zuwanderung. Mit dem sich abschwächenden Zuzug gut ausgebildeter Arbeitskräfte aus der EU droht ein wichtiger Wachstumsmotor zu erlahmen. Der Nettozuzug von EU-Bürgern in die Schweiz hat sich zwischen 2013 und 2017 auf 31’000 pro Jahr halbiert und liegt damit auf dem niedrigsten Stand seit der vollen Einführung der Personenfreizügigkeit. Gleichzeitig könnte die Immigration tiefer qualifizierter Personen mit schlechteren beruflichen Perspektiven zunehmen. Deren Integration absorbiert administrative und finanzielle Ressourcen.

Wachsender Reformstau. Auf nationaler Ebene verdüstern sich die Wachstumsaussichten aufgrund ungelöster Reformaufgaben (z.B. AHV- und Unternehmenssteuerreform) sowie einer Vielzahl wirtschaftsfeindlicher Initiativen und Referenden.

Bedrohte Unternehmenssteuereinnahmen. Die Schweizer Städte profitierten bisher von der «Preisdifferenzierung», die aufgrund der privilegierten Besteuerung von Statusgesellschaften (Holdings-, Domizil- und gemischte Gesellschaften) möglich war. Diese Steuerregime werden von der EU aber nicht mehr akzeptiert, das (vorläufige) Scheitern einer entsprechenden Unternehmenssteuerreform hat zu temporärer Rechtsunsicherheit geführt, und auch ein Erfolg der Steuervorlage 17 könnte für viele Städte Einnahmeeinbussen bedeuten, da verschiedene Kantone mit allgemeinen Steuersenkungen auf den Wegfall der Sonderregimes zu reagieren gedenken. Auch die Steuerreform des US-Präsidenten Donald Trump bedroht die hiesigen Steuereinnahmen. Dazu droht Ungemach durch internationale Konflikte und ein Rollback der Globalisierung.

Demografische Entwicklung. Schon jetzt treten mehr Personen aus dem Arbeitsmarkt durch Pensionierung aus, als in diesen eintreten. Der Verlust an produktiven Arbeitskräften wird sich nicht nur in sinkenden Steuereinnahmen von natürlichen Personen spiegeln, sondern über kurz oder lang auch in zunehmenden Kosten für Pflege und andere Sozialleistungen. Auch die eidgenössische Finanzverwaltung warnt in ihren Langfristperspektiven vor den hohen finanziellen Belastungen, die auf die Gemeinden zukommen (EFV 2016). Hinzu kommt eine Reihe technologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umwälzungen, die mit den Megatrends Digitalisierung, demografischer Wandel und Individualisierung zusammenhängen. Die dadurch verbundenen Transformationsprozesse betreffen die grossen Städte in besonderem Ausmass. Diese Herausforderungen umfassen unter anderem:

Handel und Citylogistik. Die massive Zunahme des Onlineshoppings führt zu einem tiefgreifenden Strukturwandel im stationären Handel mit möglicherweise weitreichenden Folgen für die Innenstädte – aber auch zu neuartigen Verkehrsströmen bei der Güterverteilung mit Implikationen für das Verkehrsmanagement. In den zahlreichen grenznahen Städten der Schweiz wurden diese Veränderungen durch die Zunahme des Einkaufstourismus in den letzten Jahren verstärkt. Dazu kommt ein gewisses «Insel-Denken» der Städte selbst, d.h. ein zunehmender Widerstand der Städte gegenüber den Nebenwirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten (z.B. Lärm, Verkehr etc.).

Mobilität und Verkehr. Die tiefgreifende Auswirkung von Uber auf die Taxibranche ist nur ein Vorbote der bevorstehenden Transformation des Verkehrssektors durch die Digitalisierung. Autonome Fahrzeuge, App-basierte Carsharing-Modelle und Parkplatzsuchsysteme, intelligente Ampelschaltungen, Big-Data-Anwendungen zur Stauvermeidung oder E-Bikes für den Pendlerverkehr innerhalb der Agglomerationen – all dies wird neue Infrastrukturen und Regeln erfordern.

Stadtgesellschaft. Die Bevölkerung der Schweizer Städte wird durch Migration heterogener, während die Filterblasen der sozialen Medien im schlimmsten Fall die Entstehung von Subgesellschaften begünstigen. Aber auch die Megatrends Individualisierung oder demografischer Wandel bringen Herausforderungen mit sich – beispielsweise durch eine wachsende Zahl älterer und pflegebedürftiger Menschen oder die zunehmende Zahl von Patchworkfamilien und Singlehaushalten.

Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Die Digitalisierung bringt in vielen Wirtschaftsbranchen einen Strukturwandel mit sich. Das gleiche gilt für den Arbeitsmarkt. Damit wird sich die wirtschaftliche Basis der Städte in vielschichtiger Weise verändern – etwa die Art, wie im urbanen Raum Güter produziert und Dienstleistungen erbracht werden, oder die am Arbeitsmarkt nachgefragten Qualifikationen. Dies hat Implikationen für die städtische Wirtschafts-, Standort- und Bildungspolitik.

Architektur und Städtebau. Wenn sich die Städte auf so vielfältige Weise verändern, wird dies Anpassungen an ihren baulichen Hüllen erfordern. Dies wiederum macht Änderungen in städtischen Baureglements, Zonenplänen, öffentlichen Infrastrukturen etc. notwendig. Da Planungs- und Bauprozesse langwierig sind und der Lebenszyklus vieler Bauten Jahrzehnte umfasst, müssen die planerischen und städtebaulichen Herausforderungen von morgen bereits heute in die Stadtplanung einfliessen.

Städtische Verwaltung. Eine Herkulesaufgabe ist die interne Digitalisierung der Verwaltung, z.B. die flächendeckende Einführung von Online-Diensten und papierlosen Prozessen («E-Government»). Aber auch die Digitalisierung in vielen externen Aufgabenfeldern macht in der Verwaltung neue Kompetenzen und Arbeitsweisen erforderlich. Zudem stellt die bevorstehende Pensionierungswelle der zahlenstarken Babyboomer-Generation die Stadtverwaltungen vor komplexe Herausforderungen im Personalmanagement (Neurekrutierung, Verlust institutionellen Wissens, Aufbau neuer Kompetenzen).

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen gerade auch auf Ebene der grossen Städte die notwendigen politischen Weichen jetzt gestellt werden – denn schliesslich konzentrieren sich in den Metropolen Bevölkerung und Wirtschaftsaktivitäten mit hoher Dichte. Entsprechend finden die skizzierten Veränderungen wie unter einem Brennglas statt. Wie gut die zehn grössten Schweizer Städte auf diese Herausforderungen vorbereitet sind, soll in diesem Städtemonitoring genauer untersucht werden.

Die «smarte» Wachstumsstrategie von Singapur

Eine internationale Grossstadt, die sich immer wieder mit ambitionierten Strategien neuen Herausforderungen gestellt hat, ist Singapur. In den 50 Jahren seit seiner Unabhängigkeit hat sich der Stadtstaat vom Armenhaus Südostasiens zu einer der wohlhabendsten Metropolen weltweit entwickelt, obwohl gleichzeitig die Bevölkerung rasant wuchs (von 1,6 auf 5,6 Mio.). Grundlage des Erfolgsmodells waren ein visionärer Staatsgründer, eine konsequent verfolgte Entwicklungsstrategie, eine kompetente staatliche Verwaltung sowie massive Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Städtebau. Dabei orientierte sich Singapur stets an anderen erfolgreichen Metropolen, passte dortige Entwicklungskonzepte an die eigenen Bedingungen an und perfektionierte sie. So gelang es dem Stadtstaat, sich als globale Handels- und Transportdrehscheibe, als Finanz- und Forschungszentrum und als internationaler Unternehmensstandort zu etablieren. Mit einer ethnisch gemischten Bevölkerung, zehntausenden Fachkräften aus aller Welt sowie Englisch als Amtssprache ist die Stadt ein erfolgreiches Beispiel für eine kosmopolitische Metropole. Visionäre Stadtplanung, hohe Umweltstandards, ein vorbildliches Verkehrsmanagement, niedrige Kriminalitätsraten und eine erstklassige Infrastruktur tragen zur hohen Lebensqualität bei. Der dichtbesiedelte Stadtstaat mit seinen vielen Naturschutzgebieten und gepflegten Parks und Grünflächen schmückt sich mit dem Namen «Garden City». Hinsichtlich seines autokratischen politischen Systems ist Singapur in keiner Art und Weise ein Vorbild. In Sachen Innovationskraft, Wettbewerbsfähigkeit und Umsetzung modernster Technologien setzt der Stadtstaat jedoch international Massstäbe, die auch für demokratisch geführte Städte «Best Practice» darstellen.

Weiterführende Informationen finden Sie in der Studie «20 Jahre Schweizer Stadtpolitik».