Die Vorteile selbstfahrender Autos lassen sich nur voll nutzen, wenn ihr Einsatz klar geregelt wird. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, welche der schweizerische Städteverband vorgestellt hat. Besonders heikel ist die Regelung des Verhaltens der Fahrzeuge in Notsituationen. Diese müsse durch eine gesellschaftliche Diskussion legitimiert werden, fordert Daniel Müller-Jentsch im Interview mit der «Luzerner Zeitung».

«Luzerner Zeitung»: Daniel Müller-Jentsch, der Verkehr der Zukunft wird von selbstfahrenden Autos bestritten. Werden diese vollständig autonom fahren oder braucht es noch einen Fahrer?

Daniel Müller-Jentsch: Irgendwann wird das Fahren ohne Eingreifen des Lenkers möglich sein, aber der Übergang zum vollautomatisierten Fahren wird schrittweise erfolgen. Aber selbst wenn flächendeckend vollautomatische Fahrzeuge zum Einsatz kommen, wird es hier und da technische Störungen geben. Eine Lösung hierfür wären zentrale Kontrollzentren, von denen aus Fahrzeuge per Fernbedienung übersteuert werden können.

In Deutschland hat eine Ethikkommission moralische Kernpunkte für den Einsatz solcher Fahrzeuge definiert. Braucht die Schweiz das auch?

Es müssen Regeln festgelegt werden, wie sich das autonome Fahrzeug in einer Unfallsituation verhält, und dabei werden moralische Fragen aufgeworfen. Für die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Technologie ist es sinnvoll, nationale Gremien für die Ausarbeitung solcher Regeln einzusetzen – schliesslich handelt es sich um eine Technologie, die weitreichend in den Alltag der Menschen eingreift. Die Klärung dieser Fragen sollte man nicht allein den Herstellern überlassen.

Konkret geht es darum, wie sich ein Roboterauto in Unfallsituationen verhält. Etwa: Fährt das Auto einen Passanten an und schützt so die Fahrzeuginsassen oder umgekehrt?

Der menschliche Fahrer steht heute in diesen Situationen vor dem gleichen moralischen Dilemma. Nur befindet er sich in einer extremen Stresssituation und fällt unter Zeitdruck einen willkürlichen Entscheid. Die Festsetzung von Regeln für autonomes Fahren ermöglicht es uns, diese Situationen in Ruhe durchzuspielen und mit klarem Kopf nach reiflicher Diskussion eine gesellschaftlich legitimierte Entscheidung zu fällen. Das ist zu begrüssen.

Wie verhält sich ein selbstfahrendes Auto In einer Unfallsituation? Ein Waymo in Mountain View, 2017. (Wikimedia Commons)

Wird so der Tod nicht zum rationalen Entscheid? Heute kann man sich mit Zufall, Pech oder Schicksal trösten.

Insgesamt wird das selbstfahrende Auto durch Unfälle bedingtes Leid minimieren. Erstens, weil die Technologie viele Situationen verhindert, durch die Unfälle entstehen. Zweitens kann durch das Festlegen verbindlicher Regeln bei Unfällen die Zahl der Opfer minimiert werden. Es ist weniger schlimm, einen Menschen zu verletzen als vier. Solche Entscheidungen sind zwar hart, aber wenn man sie dem Zufall überlässt, macht es das nicht besser.

Also braucht es zwingend eine moralisch begründete rationale Entscheidung?

Ja, denn das, was Sie Schicksal nennen, ist in Wahrheit das Resultat einer unüberlegten oder willkürlichen Handlung eines menschlichen Fahrzeuglenkers.

Fürchten Sie nicht, dass durch solche Diskussionen die Akzeptanz dieser Technologie erschwert wird?

Nein, denn wir machen dadurch nur ein moralisches Dilemma sichtbar, das sich im Verborgenen täglich auf unseren Strassen abspielt. Wenn man beim Status quo bleibt, ist das eine Verdrängung einer wichtigen Entscheidung und moralisch heikler, als diese Dinge offen zu diskutieren und bewusst zu entscheiden.

Dieses Interview ist am 4. November 2017 in der «Luzerner Zeitung» erschienen. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.