Die Arbeitswelt befindet sich im steten Umbruch: Der technologische Fortschritt beeinflusst die Wirtschafts­struktur, die ausgeübten Berufe und Tätigkeiten, die Art und Weise, wie wir arbeiten, und nicht zuletzt auch, wie sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber organisieren. Die Sozialpartnerschaften haben in der Schweiz eine lange Tradition und sind in der Wirtschaftskultur fest verankert. Die Zusammen­arbeit zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen ermöglicht flexible, branchen­spezifische Lösungen.

Bei der Umsetzung der Sozialpartnerschaft gibt es jedoch Verbesse­rungsbedarf, denn das System ist komplex, unübersichtlich, kostspielig und führt zu Fehlanreizen für die mandatierten Organisationen. Wir nehmen den Tag der Arbeit deshalb als Anlass, um Reformvor­schläge für eine zeitgemässe Umsetzung der Sozialpartnerschaft zu präsentieren.

Die Arbeitswelt im Wandel

Die Schweizer Wirtschaftsstruktur erlebt eine Tertiärisierung. Gerade in der Schweizer Industrie hat sich das Wesen der Arbeit verändert. Zahlreiche Unternehmen produzieren nicht mehr nur Güter, sondern offerieren zunehmend auch Dienstleistungen. Selbst bei denjenigen Firmen, die keine Dienstleistungen anbieten, verändern sich die Anforderungsprofile der Mitarbeitenden. Die Menge der manuellen Arbeit und der Routinetätigkeiten nimmt tendenziell ab, diejenige der «intellektuellen Arbeit» eher zu. Nicht nur der Dienstleistungssektor, sondern auch die industrielle Wertschöpfung ist immer stärker von Dienstleistungen wie der Produktwartung oder dem Angebot von digitalen Lösun­gen geprägt. Im Nachgang zur Covid-19-Krise werden sich diese Tendenzen weiter verstärken und beschleunigen.

Damit einher geht ein steigender Akademiker-Anteil auf dem Arbeitsmarkt. Übten 1996 noch rund 650’000 Erwerbstätige einen akademischen Beruf aus, waren es 2019 bereits 1,25 Millionen. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung stieg in dieser Periode von 17,4% auf 26,5%. Die ICT-Fähigkeiten stellen dabei ein entscheidendes Element der Arbeitsmarktfähigkeit dar – auch weil die Digitalisie­rung stark voranschreitet. Zwischen 1997 und 2019 ist die Zahl der Stellen im digitalen Sektor um 60% gestiegen, während der physische Sektor nur ein Wachstum von 16% verzeichnete.

Bisher hat das Tempo des technischen Wandels die Anpassungsmöglichkeiten des Schweizer Arbeits­marktes nicht überstiegen. Vielmehr hat die Digitalisierung netto Arbeitsplätze geschaffen und wird als neuer «Job Kreator» auch in Zukunft die Hauptrolle spielen. Allein im Kanton Zürich fehlen bis im Jahr 2050 über 250’000 Erwerbstätige, gerade der Bedarf an ICT-Fachkräften ist gross. Die Angst vor einer «Robokalypse» – der raschen Verdrängung menschlicher Arbeit durch intelligente Maschinen – ist unbegründet.

Zudem ist unser Arbeitsmarkt durch eine hohe Dynamik geprägt. Jährlich wird rund ein Sechstel der bestehenden Arbeitsverhältnisse aufgelöst und neu besetzt. Zwischen 1996 und 2020 wurden rund 15 Mio. neue Stellen angetreten, bei 14,1 Mio. Abgängen. Insgesamt wurden in dieser Periode 925’000 zusätzliche Stellen geschaffen, durchschnittlich 40’000 pro Jahr.

Der Widerstand gegen die Flexibilisierung der Gesetzgebung und damit eine Anpassung an die Arbeitswelten des 21. Jahrhunderts wird massgeblich von den Gewerkschaften beeinflusst. (KEYSTONE/Valentin Flauraud)

Digitalisierung verlangt mehr Flexibilität

Mit der digitalen Durchdringung der modernen Arbeitswelten gehen neue und flexible Arbeitsformen einher, wie der Anstieg der Teilzeitarbeit, Homeoffice-Tätigkeiten oder auch die Plattformökonomie zeigen. Letztere ist jedoch in der Schweiz bisher wenig verbreitet.

Die Frage nach den rechtlichen Rahmenbedingungen für ein mobiles und flexibles Arbeiten stellt einen Dauerbrenner des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts dar: Auf diese Herausforderungen hat die Politik bisher stets schnell reagiert – allerdings nicht im Sinne einer Modernisierung, sondern einer Verteidigung des Bewährten. Verschiedene Teile unseres Arbeitsrechtes – insbesondere das Arbeitsgesetz – sind hoffnungslos veraltet und nicht mehr zeitgemäss.

Das Gesetz umfasst Konzepte und Begriffe, die typisch für das Industriezeitalter waren: fixe Arbeits­plätze, fixe Arbeitszeiten, die klare Trennung zwischen Tag- und Nachtarbeit sowie zwischen Arbeitszeit und Pausen; alles Kriterien, die einerseits durch die Technologie, andererseits durch den veränderten Arbeitsinhalt und die Gewohnheiten der Erwerbstätigen selbst zusehend obsolet gewor­den sind. Das heutige Arbeitsgesetz regelt samt fünf Verordnungen akribisch Arbeits- und Ruhezeit, Nacht- und Sonntagsverbot, maximale Wochen- und Überzeiten, den maximalen Tagesrahmen, die minimale tägliche Ruhezeit, die Arbeitssicherheit und vieles mehr.

Das Arbeitsgesetz geht von der impliziten Annahme aus, dass Flexibilität eine Gefahr für die Arbeit­nehmenden darstellt, obwohl die verschiedenen Formen der Flexibilität, mit denen sie die Hoheit über ihre eigene Zeitagenda erhalten, primär im Interesse der Arbeitnehmenden selbst und nicht der Arbeitgeber stehen. Dennoch: Der politische Widerstand gegen die Flexibilisierung der Gesetzgebung und damit eine Anpassung an die Arbeitswelten des 21. Jahrhunderts wird massgeblich von den Gewerkschaften beeinflusst. Aus liberaler Sicht ist hier Remedur angezeigt, weil gewisse Gewerk­schaften mit ihrer Fundamentalopposition die wertschöpfungsschaffende digitale Transformation des Arbeitsmarktes nach Kräften zu verhindern suchen.

Liberaler Reformvorschlag 1

Das Arbeitsgesetz ist flexibler zu gestalten und an die reale Arbeitspraxis anzupassen.

Gewinnt die Plattformarbeit zukünftig an Bedeutung, sollte mit dem «selbständigen Angestellten» eine neue Rechtsform geschaffen werden, um beispielsweise im Bereich der Plattformökonomien einen pauschalen, weniger umfangreichen und auf Freiwilligkeit beruhenden Sozialversicherungs­schutz einzuführen. Die Abdeckung enthält die AHV, den Mindestbeitrag an die Berufsvorsorge (ab dem ersten Franken und ohne Koordinationsabzug) sowie eine minimale Lohnfortzahlung im Falle von Krankheit oder Unfall. Da selbständige Angestellte über den Umfang der Arbeit entscheiden können (z.B. indem sie sich nicht auf der Plattform einloggen), soll das Risiko der Arbeitslosigkeit nicht gedeckt werden. Gleichzeitig würde die Beitragspflicht an die ALV entfallen (vgl. Adler und Salvi 2017).

Grosse Diskrepanz zwischen arbeitsmarktpolitischer Mitsprache der Gewerkschaften und ihrer realen Arbeitnehmervertretung

Waren 1960 rund 29% der Erwerbsbevölkerung in einer Gewerkschaft aktiv, lag dieser Anteil 2020 noch bei 13%. Dies schlägt sich auch in absoluten Zahlen nieder. Gehörten Mitte der 1970er Jahre über 900‘000 Arbeitnehmer zu den Gewerkschaften, sind es 40 Jahre später noch rund 685‘000 Personen – ein Minus von über 215‘000 Mitgliedern. Da im gleichen Zeitraum die Zahl der Beschäftigten um zwei Millionen gestiegen ist, vertreten die Gewerkschaften weder in absoluten noch in relativen Zahlen die Mehrheit der Werktätigen in unserem Land.

Repräsentative Sozialpartner auf Gewerkschaftsseite?
Eine wichtige Rolle spielen die gewerkschaftlichen Dachverbände Schweizerischer Gewerkschafts­bund (SGB) und Travail-Suisse, sowie deren Mitglieds-Gewerkschaften, auch bei zahlreichen aus­serparlamentarischen Kommissionen des Bundes. Wie der Motion Jositsch (21.3613) aus dem Jahr 2021 zu entnehmen ist, waren die beiden Verbände allein in den arbeitsmarktrelevanten Kommis­sionen zusammen mit 53 Sitzen vertreten, bei 55 Plätzen, die insgesamt den Arbeitnehmervertre­tungen zugeteilt wurden. Rund 30% der Gewerkschaftsmitglieder sind allerdings einem anderen Angestelltenverband zugehörig als von SGB und Travail-Suisse, welche vor allem Arbeitnehmende aus dem zweiten Wirtschaftssektor und aus bundesnahen Betrieben vertreten. Ein markanter Teil der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmenden wird somit in den Kommissionen gar nicht repräsentiert.

Dennoch haben die Gewerkschaften (infolge der fehlenden Durchsetzungskraft bürgerlicher Politik?) eine überaus grosse arbeitsmarktpolitische Mitsprache, bedingt durch die allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträge (GAV). Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) ermöglicht, den Wirkungsbereich eines GAV auf alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer des spezifischen Berufes oder Wirtschaftszweigs in einem Kanton oder der gesamten Schweiz auszudehnen. Durch die Allgemein­verbindlichkeitserklärung werden so auch jene (ausländischen) Firmen und Beschäftigten von Gesamtarbeitsverträgen erfasst, die nicht Mitglied in einem Verband oder einer Gewerkschaft sind.

Im Jahr 2018 waren schweizweit 54% der unterstellten Arbeitnehmenden Teil eines allgemeinver­bindlichen GAV. Zum Vergleich: 1999 lag diese Quote noch bei 27%. In absoluten Zahlen schlägt sich diese Gewichtsverschiebung in einem Plus der unterstellten Arbeitnehmer auf AVE-Seite nieder: Hat die Zahl aller GAV-Unterstellten zwischen 1999 und 2018 um fast 850‘000 Personen zugelegt, sind davon rund 800‘000 auf dem Konto der allgemeinverbindlichen GAV zu verbuchen. Die Anzahl dieser GAV ist in dieser Periode von 29 auf 69 gestiegen. Allein im Kanton Zürich waren im Jahr 2019 über 40 allgemeinverbindliche GAV vorhanden.

Öffentliche Institutionen als Helfer einer Vergewerkschaftung des Schweizer Arbeitsmarktes?

Dabei werden 70% der allgemeinverbindlichen GAV unter «besonderen Umständen», also unter Ver­zicht auf das sogenannte «Arbeitnehmerquorum» umgesetzt. Die Gewerkschaften haben die Absicht, den Abdeckungsgrad der GAV stetig auszubauen, beispielsweise indem die Hürden zur Allgemeinver­bindlichkeitserklärung vermindert werden. GAV sollen aus ihrer Sicht bei «öffentlichem Interesse» allgemeinverbindlich erklärt werden können und das Arbeitsgeberquorum sei zu streichen.

Drei Quoren für Einführung eines allgemeinverbindlichen GAV

Damit eine Allgemeinverbindlichkeit eines Gesamtarbeitsvertrages durch die beteiligten Vertrags­parteien beantragt werden kann, müssen laut dem AVEG grundsätzlich drei Quoren erfüllt sein:

– Arbeitnehmerquorum: Über 50% der Arbeitnehmer sind am bestehenden GAV beteiligt
– Arbeitgeberquorum: Über 50% der Arbeitgeber sind am bestehenden GAV beteiligt.
– Gemischtes Quorum: Die am GAV beteiligten Arbeitgeber beschäftigen im Falle einer Allge­meinverbindlichkeit über 50% der GAV-Arbeitnehmer.

Unter besonderen Verhältnissen kann vom Arbeitnehmerquorum abgesehen werden. Die GAV-Parteien müssen in ihrem Antrag zur Allgemeinverbindlichkeit begründen, warum die Organisation der Arbeitnehmer schwierig ist.

Sind der Bund (Seco) und die kantonalen Arbeitsämter dabei Gehilfen einer solchen schleichenden Vergewerkschaftung des Arbeitsmarktes? Sie verfolgen jedenfalls alles andere als eine restriktive Praxis. Sie hätten nämlich die Möglichkeit, allgemeinverbindliche GAV im Falle einer Nichterfüllung des Arbeitnehmer-Quorums zu verweigern.

Liberaler Reformvorschlag 2

Das Arbeitnehmerquorum ist bezüglich der Allgemeinverbindlichkeit der Gesamtarbeitsverträge konsequent durchzusetzen.

Staatlich finanzierte Monopolrenditen für paritätische Kommissionen – willkommene Einnahmen für Gewerkschaften?

Die Gewerkschaften finanzieren sich einerseits über ihre Mitgliederbeiträge. Dabei lässt sich ein degressiver Verlauf der Beiträge beobachten (Bourquin 2020). Im Jahr 2021 wurde öffentlich, dass ebenfalls Erlöse aus Aktien- und Immobilienanlagen die «Kriegskasse» der Gewerkschaften speisen. Dazu erzielen sie aber quasi als Monopolrendite Einnahmen im Rahmen der heutigen Kontrollmecha­nismen der Flankierenden Massnahmen (FlaM) durch die paritätischen Kommissionen. Diese Kon­trollleistungen werden durch die öffentliche Hand in der Regel nicht öffentlich ausgeschrieben und bleiben damit den von den Behörden definierten Sozialpartnern vorbehalten, woraus diese wieder Monopolrenten erzielen. Durch die Führung der Sekretariate von paritätischen Kommissionen erwirt­schaftete alleine die Unia im Jahr 2020 rund 29 Mio. Franken.

Diese setzen sich zusammen aus Vollzugskostenbeiträgen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen dabei einen Prozentsatz des Lohnes oder einen Pauschalbetrag für die Kontrolle der Arbeitsbedin­gungen an die paritätischen Kommissionen abgeben. Wird ein GAV allgemeinverbindlich erklärt, sind auch die aussenstehenden Firmen und Arbeitnehmer zur Abgabe verpflichtet. Mit der Ausdehnung der Allgemeinverbindlichkeit gehen also monetäre Anreize für die Sozialpartner auf Gewerkschafts­seite einher, gerade mit Blick auf die schwindenden gewerkschaftlichen Mitgliederzahlen und deren Beiträge. Für das Jahr 2019 beliefen sich die Einnahmen der paritätischen Kommissionen aus den Vollzugskostenbeiträgen auf rund 214 Mio. Franken (NZZ 29.06.2021).

Liberaler Reformvorschlag 3

Über die (öffentlichen) Gelder, welche den paritätischen Kommissionen im Rahmen ihrer Kontroll­funktion für die flankierenden Massnahmen zufliessen, ist mehr Transparenz bezüglich des genauen Zuflusses und des Verwendungszwecks zu schaffen.

Liberaler Reformvorschlag 4

Es ist zu prüfen, ob die Kontrollaufgaben der paritätischen Kommissionen und der staatlich besol­deten Arbeitsmarkt-Inspektorate als öffentlicher Auftrag unter Wettbewerbsbedingungen ausge­schrieben werden können.

Eine Analyse von 35 Jahresrechnungen zeigt, dass jede dritte paritätische Kommission Reserven aus­weist, die den Jahresumsatz übersteigen. Dabei werden die Gelder als «Rückstellungen» ausgewie­sen, die in bestimmten Fällen auch schon für die Bewerbung von Weiterbildung verwendet oder in verlustreichen Wertschriften parkiert wurden  NZZ (01.04.2021, 29.06.2021). Zwar ist es grundsätz­lich erlaubt, Mittel aus dem Vollzugskostenbeitrag für Massnahmen im Bereich der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes sowie für die Weiterbildung zu nutzen, sofern dies im GAV vorgesehen ist. Bei der Weiterbildung ist gerade bei Entsendefirmen aus dem Ausland Vorsicht geboten, weil sie erst ab dem 91. Tag GAV-bedingte Beträge für die Weiterbildung schuldig sind.

Finanzierung der paritätischen Kommission auch durch den Bund

Der Bund finanzierte laut dem FlaM-Bericht des Seco die Kontrolle der FlaM im Jahr 2020 mit 15,7 Mio. Franken. Davon wurden 7,9 Mio. Fr. den Kantonen zugeteilt, 7,8 Mio. Fr. flossen an die pari­tätischen Kommissionen.

Der Bund übernimmt 50% der Löhne der kantonalen Inspektoren, die mit den Kontrollen beauf­tragt sind. Die Anzahl der kantonalen TPK-Inspektoren ist von 86 im Jahr 2007 auf 115 im Jahr 2020 geklettert.

Die paritätischen Kommissionen werden ihrerseits für den Vollzug der FlaM in Branchen mit einem allgemeinverbindlichem GAV mit einer Pauschale in der Höhe von 650 Fr. je Kontrolle bei Entsand­ten und Selbständigen vom Bund entschädigt. Bei Spezialkontrollen gilt ein Stundentarif von 100 Franken.

Liberaler Reformvorschlag 5

Die missbräuchliche Bildung von Reserven und Rückstellungen durch paritätische Kommissionen ist zu unterbinden. Freiwerdende Mittel sind für die Reduktion der Vollzugskostenbeiträge zu ver­wenden.

Innerhalb der GAV werden zudem Kautionen und Konventionalstrafen durch die Sozialpartner festge­legt, die bei Verstössen gegen die GAV ausgesprochen werden. Gewisse GAV setzen Mindest- und Höchstbeträge der Konventionalstrafen fest, bei anderen wird die Strafe durch die zuständige Kom­mission mit Hilfe eines Berechnungsverfahrens festgesetzt, das nach dem Seco durchaus auch mit degressiven Strafen (im Verhältnis zur Schwere des Vergehens) operiert.

Die Zahl der festgestellten Verstösse gegen Mindestlöhne ist dabei einerseits von der «Kontroll­philosophie» und dem «repressiven Stil» der Kommissionen abhängig, anderseits bei ausländischen Arbeitstätigen vom «Interpretationsspielraum» beim Lohnvergleich.

Arbeitsmarktkontrollen im Kanton Zürich

Im Kanton Zürich wurden zwischen dem 1. Januar und 31. März 2022 in Branchen mit allgemein­verbindlichen GAV 14 Sanktionen aufgrund von Lohnunterbietungen und 34 Sanktionen wegen dem Verstoss gegen die Meldepflicht vergeben, sowie 43 Dienstleistungsverbote verhängt.

Laut dem FlaM-Bericht des Seco belegte im Jahr 2020 der Kanton Zürich als grösster Kanton der Schweiz nach dem Tessin den zweiten Platz bei den vergebenen Bussen und Sperren.

2020 wurden im Kanton Zürich fast 4000 Betriebskontrollen durch die paritätischen und tripartiten Komissionen durchgeführt. Bei den Personenkontrollen betrug die Zahl 12’854 kontrollierte Personen.

Liberaler Reformvorschlag 6

Die Handhabung der Konvetionalstrafen in den GAV und durch die zuständigen Kommissionen ist zu überprüfen.

Fehlende Transparenz bei den Arbeitslosenkassen

Nebst den Mitgliederbeiträgen und den Entschädigungen aus der Durchsetzung der flankierenden Massnahmen ergibt sich für die Gewerkschaften aus dem Unterhalt der Arbeitslosenkassen eine Ein­nahmemöglichkeit: Die Unia, Syna und Syndicom gehören hierbei zu den einzigen Gewerkschaften, die heute jeweils eine private Arbeitslosenkasse betreiben. Laut erstgenannter Gewerkschaft wären die Entschädigungen aus der Arbeitslosenkasse gerade ausreichend, um die daraus entstehenden Kosten zu decken. Dass hier zumindest Zweifel angebracht sind, zeigt sich in einem Bericht des Seco über das Steuerungssystem der Arbeitslosenkassen aus dem Jahr 2018: Zu einfach wäre es für Pau­schalkassen, erhebliche Gewinne zu erzielen. Die Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau erzielte so im selben Jahr einen Gewinn von 2 Millionen Franken. Bei der Unia, die ebenfalls nach Pauschalbe­trägen abrechnet, lässt sich durch die öffentlich zugängliche Erfolgsrechnung zumindest auf den erwirtschafteten Ertrag schliessen – dieser belief sich 2020 auf über 50 Mio. Franken – und machte somit über einen Drittel des Gesamtertrags aus.

Ob die Gewerkschaften nun mit einer pauschal abrechnenden Arbeitslosenkasse Gewinn erzielen und wie diese allenfalls verwendet werden, weiss auch der Bundesrat nicht genau. Zwar müssen mit der aktuell gültigen Leistungsvereinbarung der Arbeitslosenkassen auf Anfrage Angaben zu den effektiven Kosten gemacht werden. Falls dies aber mit einem grossen Aufwand für die Kasse verbun­den ist, kann die Befreiung von der Reportingpflicht beim zuständigen Bundesdeepartement bean­tragt werden. Das heutige System der Pauschalabrechnungen ist entsprechend zu hinterfragen.

Liberaler Reformvorschlag 7

Die Transparenz bei den pauschal abrechnenden Arbeitslosenklassen ist ungenügend. Eine Abschaffung der Pauschalabrechnung ist zu prüfen.

Fazit

Im Sinne einer funktionierenden Sozialpartnerschaft braucht es neben einer Arbeitgebervertretung auch eine Vertretung der Interessen der Arbeitnehmenden. Das heutige Mandat der Gewerkschaften für die Vertretung der Arbeitnehmenden ist historisch gewachsen. Durch die schwindenden Mitglie­derzahlen, aber auch die neuen Arbeitsformen erscheinen Teile der heutigen Ausgestaltung der Sozialpartnerschaft als Anachronismus. Was es braucht, ist eine Erneuerung der Sozialpartnerschaft. Zwar sind diese weitaus besser als ein staatliches oder kantonales Diktat und etwa kantonalen Min­destlöhnen vorzuziehen. Dennoch ergeben sich liberale Ansätze, um die Sozialpartnerschaft neu zu denken. Denn das heutige System ist komplex, unübersichtlich, kostspielig und führt zu Fehlanreizen.

  1. Insgesamt ist das Arbeitsgesetz flexibler zu gestalten, um auf die tatsächliche Arbeitspraxis einzugehen. So könnte eine neue Rechtsform des «selbständigen Angestellten» die spezifi­schen Bedürfnisse der neu entstehenden Arbeitsformen wie der Plattformökonomie besser abdecken.
  2. Die heutige Ausgestaltung der allgemeinverbindlichen GAV ist zu überprüfen, um damit auch der «Vergewerkschaftung» des Arbeitsmarktes entgegenzutreten. Das übermässige Anfüh­ren «besonderer Umstände» bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist einzustellen. Es braucht eine konsequente Durchsetzung des Arbeitnehmerquorums durch die zuständigen Behörden.
  3. Über Gelder, welche den paritätischen Kommissionen im Rahmen ihrer Kontrollfunktion für die Umsetzung der flankierenden Massnahmen zufliessen, ist mehr Transparenz über den Zufluss und den Verwendungszweck zu schaffen.
  4. Es ist zu überprüfen, ob die Kontrollaufgaben der paritätischen Kommissionen und der staat­lich besoldeten Arbeitsmarkt-Inspektorate als öffentlicher Auftrag unter Wettbewerbsbedin­gungen ausgeschrieben werden können.
  5. Die missbräuchliche Bildung von Reserven und Rückstellungen durch paritätische Kommissio­nen ist zu unterbinden. Freiwerdende Mittel sind für die Reduktion der Vollzugskostenbei­träge zu verwenden.
  6. Die unterschiedliche Ausgestaltung der Konventionalstrafen in den GAV und deren Umset­zung durch die zuständigen Kommissionen ist zu überprüfen.
  7. Die Transparenz bei den pauschal abrechnenden Arbeitslosenklassen ist ungenügend. Eine Abschaffung der Pauschalabrechnung ist zu prüfen.

Um das bewährte Schweizer System der Sozialpartnerschaft auf zukunftsfähige Basis zu stellen und weiterhin für alle Parteien tragbar zu gestalten, benötigt es liberale Reformen. Der Arbeitsmarkt befindet sich im Zeitalter der Dienstleistungsgesellschaft und der Digitalisierung. Nun gilt es, die Sozial­partnerschaft ebenfalls für das 21. Jahrhundert fit zu machen.