Der Entscheid der Schweizerischen Nationalbank (SNB), die Wechselkursuntergrenze des Frankens gegenüber dem Euro aufzuheben, wirkte für praktisch alle Betroffenen wie ein Schock. Die Folgen werden, darin sind sich alle einig, weitreichend sein. Aber der Schritt ist Chance und Herausforderung zugleich, nun mit mutigen wirtschaftspolitischen Reformen Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen. Wir werden in den nächsten Wochen auf Avenir Online im Rahmen einer Serie einige geldpolitische Überlegungen zum Vorgehen der SNB anstellen, vor allem aber den Möglichkeiten nachgehen, auf die Höherbewertung des Frankens mit klugen wirtschafts- und unternehmenspolitischen Massnahmen zu reagieren. Eröffnet wird die Serie mit Betrachtungen zur Unabhängigkeit der Nationalbank.
Der Schock, den die Schweizerische Nationalbank (SNB) mit der Aufhebung der Untergrenze für den Franken-Euro-Kurs im In- wie im Ausland ausgelöst hat, wird zunächst eher negative, nach aller Erfahrung mittelfristig aber positive Auswirkungen auf alle Bereiche der Schweizer Wirtschaft haben. Die grösste Gefahr besteht darin, dass Wirtschaft und Sozialpartner Forderungen nach Stützung erheben. Würde man aber den Druck zu Strukturwandel und Produktivitätssteigerung, der von der Frankenstärke ausgeht, dämpfen oder gar eliminieren, vergäbe man eine grosse Chance. Stattdessen sollte man den Schock viel eher zum Anlass nehmen, längst überfällige Reformen in Richtung mehr Wettbewerb, weniger Staatseinfluss, weniger regulatorische Behinderung und weniger Bürokratie anzupacken.
Der Entscheid vom letzten Donnerstag wird auch noch lange zu heftigen Diskussionen Anlass geben. War der Zeitpunkt richtig gewählt, hätte man nicht zuwarten müssen? Hätte es nicht weniger schmerzliche Zwischenetappen gegeben, etwa eine Senkung der Untergrenze oder eine Orientierung an einem Währungskorb? Durfte man bis zur letzten Minute behaupten, der Mindestkurs werde verteidigt, um dann mit einem Schlag den Wechselkurs frei zu geben? Klar ist: jedermann musste damit rechnen, dass die Politik die Anbindung des Frankens an den Euro irgendwann aufgeben würde, weil diese Politik von Anfang an nicht auf Dauer angelegt war. Nur der Zeitpunkt war ungewiss.
Die Rückkehr aus dem Interventionismus ist immer schmerzhaft
Und so lebte männiglich mit der nicht wirklich fundierten Hoffnung, die Nationalbank werde noch lange so weiter machen und nicht eine mit der Zeit recht komfortable Situation, an die man sich gewöhnt hatte, stören, ja völlig durcheinander wirbeln. Die Rückkehr aus einer Politik des Interventionismus in eine Welt des freien Marktes ist immer schmerzhaft, weswegen Massnahmen wie seinerzeit die Einführung des Mindestkurses nur in grösster Not und temporär gesetzt werden sollten. Die Bequemlichkeit, zu der solche Markteingriffe oft verführen, ist nämlich auf Dauer nie gut für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Zudem führt sie fast immer zu politischem Druck auf die zuständigen Behörden, die Marktinterventionen fortzuführen.
Deswegen ist ein Aspekt des Ausstiegs aus der Euro-Anbindung besonders wertvoll: dass das Direktorium mit seinem Vorgehen grosse politische Unabhängigkeit bewiesen hat. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich in der Geldpolitik die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine unabhängige Notenbank der beste Garant für langfristig stabile monetäre Verhältnisse ist. Die SNB hat für ihren Entscheid kein Plazet von anderen Währungshütern gebraucht, etwa der EZB oder dem Fed, sondern hat im Gegenteil wie schon 1973 fast eine Art Vorreiterrolle übernommen. Natürlich hat man sich ausgetauscht, aber der Entscheid war autonom. Die SNB hat sich ferner auch nicht mit dem Bundesrat abgesprochen, sondern ihn nur wenige Stunden vor der öffentlichen Bekanntgabe des Schrittes ins Bild gesetzt. So sollte es sein, und nicht so, dass nun eine Bundesrätin glaubt, in Interviews den richtigen, verträglichen Kurs benennen zu müssen.
Die SNB beweist Unabhängigkeit gegenüber der öffentlichen Meinung
Vor allem hat das Direktorium Unabhängigkeit gegenüber der öffentlichen Meinung bewiesen. Gewiss gab es Experten, die schon des längeren Ausstiegszenarien skizzierten und auch die nun umgesetzte Position vertraten, ein Ende mit Schrecken sei besser als ein Schrecken ohne Ende. Aber die grosse Mehrheit der Vertreter der verschiedenen Branchen und der Grossteil der veröffentlichten Meinung ging in die Richtung, man solle ja keinen abrupten Kurswechsel vornehmen. In einer solchen Situation gegen den Strom zu schwimmen braucht einiges Rückgrat bzw. eben nicht nur institutionelle, sondern auch mentale Unabhängigkeit. Sie muss man der SNB attestieren.
Allerdings konnte sich die SNB natürlich von einer Abhängigkeit nicht befreien – und das ist die Abhängigkeit von den globalen Finanzmärkten. Sie hat zwar Autonomie gewonnen, indem sie nun nicht mehr fast mechanisch am Devisenmarkt intervenieren muss, wenn der Franken stärker zu werden droht, aber mehr Freiheit macht das Leben nicht einfacher. Die Aufgabe der Notenbank ist nun insofern komplizierter als vorher, als sie immer wieder überlegen muss, an welchen Währungen sie sich orientieren will und ob sie Kurspflege betreiben soll oder nicht. Auch für die SNB gilt, dass mehr Unabhängigkeit auch mehr Verantwortung bedeutet.
Dieser Artikel erschien in der Aargauer Zeitung vom 22. Januar 2015.