Es ist wieder Sommer. Das merkt man auch daran, dass die Medien täglich leere Seiten mit banalsten Tipps füllen, was in dieser «Gluthitze» zu tun sei. Sollten wir lieber unter dicken Decken schlafen oder unter dünnen, leichten? Sollen wir eher weniger oder mehr Wasser trinken als normal? Sollten wir den ganzen Tag an der Sonne Sport treiben oder uns eher entspannt im Schatten aufhalten? Ohne den hiesigen Qualitätsjournalismus wären wir verloren und lägen vermutlich bald tot unter der erbarmungslosen, sengenden Sonne.

Bei all den Schlagzeilen kann einem Angst und Bange werden: «Schweiz kommt nicht zur Ruhe» (nach dem dritten Tag mit Temperaturen über 30°C), «Komische Weltuntergangsstimmung» (zu einem Gewitter am Gurten-Festival), «Forschende besorgt: Hitze könnte uns blind machen» (Plot-Twist: Die im Artikel zitierte Studie sagt das nicht, die Überschrift schien der Redaktion aber attraktiv). Es ist jeweils nicht klar, ob diese Schlagzeilen aus ehrlicher klimapolitischer Besorgnis heraus gewählt werden, oder ob sie pures Clickbaiting sind. Fakt ist: Sie hinterlassen in weiten Teilen der Bevölkerung den Eindruck, die Schweiz sei besonders stark vom Klimawandel betroffen. Das ist – mit Verlaub – schlicht falsch.

Geringe Betroffenheit …

Die Schweiz gehört zur kühlgemässigten Klimazone und ist ein Binnenland (womit sie nicht direkt vom Meeresspiegelanstieg betroffen ist). Zudem verschafft ihr der hohe Wohlstand umfassende Möglichkeiten zur Klimaadaptation. Damit ist sie bezüglich der Auswirkungen des Klimawandels sogar in einer ziemlich prädestinierten Lage. Das behauptet übrigens nicht nur der Autor dieser Zeilen, sondern zu diesem Schluss kommt auch die Forschung: Von allen Ländern der Welt weist die Schweiz gemäss der University of Notre Dame die geringste Verletzlichkeit gegenüber dem Klimawandel («vulnerability) auf, und immerhin die zehnthöchste Bereitschaft zum Umgang mit dessen Folgen («readiness»).

Gemäss der University of Notre Dame weist die Schweiz von allen Ländern die geringsten Verletzlichkeit gegenüber dem Klimawandel auf. (Quelle: Notre Dame Global Adaptation Initiative)

Das Klima in der Schweiz dürfte in den nächsten Jahrzehnten eine Mediterranisierung erfahren. Das bedeutet neben der generellen Erwärmung: trockenere, sonnigere Sommer, nassere Winter, intensivere Niederschlagsereignisse. Das ist mit Herausforderungen verbunden: Mit Abstand am häufigsten angesprochen wird die Destabilisierung von Berghängen aufgrund des tauenden Permafrosts, was entsprechende Schutzverbauungen notwendig macht. Aber auch die Landwirtschaft wird nicht ohne Anpassungsprozesse auskommen. Doch die Mediterranisierung bietet auch Chancen: Die höheren Temperaturen und längere Vegetationszeit schaffen ein Potenzial für höhere Erträge in der Landwirtschaft. Wärmere Winter führen zu weniger Frostschäden (und – selbstredend – zu geringerem Heiz- und damit Energiebedarf). Der Wintertourismus könnte an hoch gelegenen Orten sogar profitieren, weil die Schweiz bezüglich solcher Lagen komparative Vorteile gegenüber anderen europäischen Destinationen hat. Für eine etwas ausführlichere Diskussion zu diesen Aspekten: Dümmler und Rühli, S. 62-67.

Bei den Anpassungsprozessen wird schnell nach dem Staat gerufen. Dabei gälte es auch hier,  den Sinn der Staatsaktivität danach abzuwiegen, ob sie ein öffentliches Gut ist oder hauptsächlich den betroffenen Akteuren zugutekommt. Schutzverbauungen von Berghängen fallen sicher eher in die erste Kategorie, Zusatzfinanzierungen für Bauern zum Umstellen ihrer Landwirtschaft eher in die letztere.

Kaum Einfluss

Wenn man den öffentlichen Diskurs – z.B. im Abstimmungskampf zum Klimaschutzgesetz – verfolgt, könnte man zweitens meinen, die Schweiz hätte mit ihrer Klimapolitik einen massiven Einfluss auf das Weltklima. «Wir brauchen dieses Gesetz, denn wir müssen unsere Gletscher schützen!» Dieser Aufruf ist gleich doppelt irreführend: Erstens ist der Einsatz der Schweiz zur Bekämpfung der Klimawandels als Emittentin, die für gerade einmal einen Tausendstel des globalen Treibhausgas-Ausstosses verantwortlich ist, rechnerisch völlig irrelevant. Zweitens werden unsere Gletscher auch bei Beschränkung der globalen Erwärmung auf 2°C weitgehend verschwinden. Die Frage ist nicht ob – denn der Kipppunkt für die alpine Gletscherschmelze ist schon überschritten –, sondern nur noch, wie schnell dies geschehen wird.

Griffige Massnahmen statt überteuerte Symbolpolitik

Wie stark das Leben in der Schweiz negativ (oder positiv) vom Klimawandel beeinflusst wird, kann allerdings ebenso wenig ausschlaggebend für unsere Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel sein wie die Frage, welchen Einfluss die Schweiz mit ihrem eigenen Ausstoss auf das Klima hat. Das Handeln nach diesen Kriterien hat nämlich überhaupt erst zum Problem «Klimawandel» geführt: Das Klima ist eine globale Allmende. Nicht nur einzelne Individuen, sondern auch ganze Staaten haben einen grossen Anreiz, Trittbrett zu fahren, weil sie von ihren eigenen Anstrengungen zum Klimaschutz nicht profitieren (und möglicherweise auch selbst kaum vom Klimawandel betroffen sind). Auch dass Länder nun zunehmend zu industriepolitischen Massnahmen (Subventionen statt einer umfassenden Bepreisung) greifen, ist auf dieses spieltheoretische Dilemma zurückzuführen: Sie glauben, mit den Subventionen wenigstens auch Profiteure der Klimapolitik im eigenen Land zu schaffen. Dass die grosse Masse – die Steuerzahler – diese Subventionen berappen muss, wird in der politischen Debatte unter den Tisch gekehrt.

Der Klimawandel hat weltweit per Saldo eine negative Bilanz. Er stellt das Leben in einigen Regionen vor existenzielle Herausforderungen (vgl. Abbildung). Die Schweiz wiederum hat einen sehr hohen Wohlstand und sie ist technologisch weitentwickelt. Zudem waren ihre Pro-Kopf-Emissionen in der Vergangenheit überdurchschnittlich, und nicht zuletzt fällt heute der Grossteil des CO2-Fussabdrucks unseres Konsums im Ausland an – bei der Produktion der importierten Güter. Die Schweiz steht deswegen sozusagen in einer moralischen Verantwortung, mit gutem Beispiel im Kampf gegen den Klimawandel voranzugehen.

Natürlich lassen sich politische Mehrheiten für Klimaschutzmassnahmen am einfachsten gewinnen, wenn man persönliche Betroffenheit auf der einen und erhebliche Einflussmöglichkeiten auf der anderen Seite suggeriert. Genau diese Selbsttäuschung öffnet aber teuren, ineffizienten oder sogar rein symbolpolitischen Massnahmen Tür und Tor. So ehrlich sollten wir – und die Politik – schon zu uns sein: Weder ist die Schweiz besonders stark vom Klimawandel betroffen, noch hat sie einen signifikanten Einfluss auf das Klima. Der Einsatz für effiziente Massnahmen gegen den Klimawandel folgt daher dem Kant’schen kategorischen Imperativ, nicht profanen Eigeninteressen.

Mit einer bezahlbaren, wirkungsvollen und imitierbaren Klimapolitik könnte die Schweiz als Blaupause für andere Länder dienen und damit indirekt ihren Einfluss auf das Weltklima etwas erhöhen. Ein starker Fokus auf gewisse überteuerte Massnahmen zur weiteren Reduktion der Treibhausgasemissionen im Inland erfüllt diese Kriterien nicht. Will die Schweiz das Maximum für sich und die Welt rausholen, sollte sie das Geld einerseits in Anpassungsmassnahmen im Inland und anderseits global in effiziente Projekte zur Reduktion der Treibhausgas-Bilanz investieren.